Wahrhaftig Leben. Dietrich Bonhoeffer – ein Nachfolge-Christ. Foto von Dietrich Bonhoeffer im Pinkton.

Wahrhaftig Leben

Dietrich Bonhoeffer – ein Nachfolge-Christ

Am 9. April 1945 ist Dietrich Bonhoeffer auf persönlichen Befehl Hitlers unmittelbar vor Kriegsende hingerichtet worden. Heute gehört er weltweit zu den bekanntesten Christen. Die spezifische Form seiner Hingabe an Jesus Christus war die Nachfolge. So wie Luther ein Weihnachtschrist war, weil für ihn das Kind in der Krippe der klarste Spiegel der väterlichen Liebe Gottes war, kann Bonhoeffer als Bergpredigt-, als Nachfolgechrist, bezeichnet werden.

Ein seltenes Phänomen im Protestantismus, sehen wir einmal von der Täuferbewegung ab. Bonhoeffer hat in einer baptistischen Schwarzengemeinde in New York die Bergpredigt als Verhaltensregel für evangelische Christen wiederentdeckt. Seitdem verstand er sie nicht länger als Sündenspiegel, sondern als den konkreten Willen Jesu für seine Nachfolgerinnen und Nachfolger. Sein ganzes Bestreben bestand fortan darin, die Weisungen der Bergpredigt möglichst wörtlich zu erfüllen. Im Zentrum stand für ihn dabei der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden – mit allen Konsequenzen, die das möglicherweise mit sich bringen konnte. Dazu gehörte für ihn die Erkenntnis, dass zur Nachfolge Jesu auch das Sterben, das Martyrium, gehören könnte.

Für die deutsche Christenheit ist anders als für Bonhoeffer der Gedanke des Martyriums fremd geworden. Angesichts des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg und von 80 Jahren Frieden haben Theologie und Kirche ausschließlich die lebensbejahenden Aussagen der Bibel ins Zentrum ihrer Verkündigung gerückt. Der mögliche positive Wert von Leiden ist darüber aus dem Blick geraten. Anders der Apostel Paulus und viele Christen nach ihm: Sie waren überzeugt, dass Leiden eine Auszeichnung durch Gott darstellen kann. Es macht Christen nämlich dem Schicksal Jesu Christi, seiner Passion und seinem Sterben, ähnlich. Auch Martin Luther war der Ansicht, dass Gott sich besonders durch die Fenster des „dunklen Glaubens“ sehen lässt. Er meinte: Wenn es einem Menschen gut geht, kostet es ihn nicht viel, an Gott zu glauben. Das, was Menschen im Glück als Glaube bezeichnen, ist häufig nicht mehr als ein frommes Gefühl. Der Glaube beginnt erst in dem Moment interessant zu werden, in dem Menschen in Nöte und Schwierigkeiten geraten. Dann zeigt sich, ob sie ihr Leben wirklich Gott anvertraut haben und ob sie ihn um seiner selbst willen lieben oder ihn lediglich als Erfüllungsgehilfen ihrer Wünsche missbrauchen.

Bonhoeffer hat sich schon mit 21 Jahren in einer Kindergottesdienstansprache in der Berliner Grunewaldkirche mit der Möglichkeit des Martyriums auseinandergesetzt. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg war die politische und kirchliche Situation in Deutschland äußerst instabil. Bonhoeffer hatte als Schüler wenige Jahre vorher erlebt, wie der deutsche Außenminister auf offener Straße vor seiner Schule ermordet worden war. 15 Jahre später, 1937, als es unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zwar wirtschaftlich wieder aufwärtsging, diese aber die Bekennende Kirche zu zerstören suchten, schrieb er in seinem Buch „Nachfolge“: „Christus würdigt das Leben nur weniger seiner Nachfolger der engsten Gemeinschaft seines Leidens, des Martyriums. Hier erweist das Leben des Jüngers die tiefste Gleichheit mit der Todesgestalt Jesu Christi.“ Bonhoeffer hatte in den vergangenen Jahren über die Bedeutung des Martyriums weiter nachgedacht. Er erkannte, dass zur Nachfolge, zur Hingabe an Jesus, die Gleichgestaltung in dessen Bild gehört. Das Bild Jesu Christi umfasst für ihn gleichermaßen die Menschengestalt, die Todesgestalt und die Gestalt des Verklärten und Auferstandenen, wobei sich die irdische Gestalt Jesu in der Gestalt des Gekreuzigten vollendet.

Als Bonhoeffer im April 1943 verhaftet wurde, mussten sich seine theoretischen Gedanken aus der „Nachfolge“ im Gefängnisalltag bewähren. In der Haft in Berlin-Tegel gehörte er, der Sohn aus großbürgerlichem Elternhaus, nun selbst zu den Gescheiterten und erlebte die Ereignisse der Weltgeschichte erstmals von unten. In dieser Zeit erkannte er, dass im persönlichen Leiden ein fruchtbarerer Schlüssel zur Erkenntnis der Welt liegt als im persönlichen Glück. Unter zahlreichen inneren Kämpfen lernte er, in der Inhaftierung Gottes Führung für sich zu erkennen. Durchaus verständlich, war er doch zu diesem Zeitpunkt mit 37 Jahren immer noch sehr jung. Zudem hatte er sich unmittelbar vor seiner Verhaftung mit einer attraktiven Frau verlobt.

In der „Nachfolge“ schreibt Bonhoeffer: „Das Leben Jesu Christi ist auf dieser Erde noch nicht zu Ende gebracht. Christus lebt es weiter in dem Leben seiner Nachfolger.“ Er ist überzeugt, dass Jesus Christus durch den Glauben in den Herzen seiner Nachfolger Wohnung nimmt. Nur wenn Jesus selbst in ihnen lebt, ist es ihnen möglich zu tun, was er getan hat (Joh 13,15), und zu lieben, wie er geliebt hat (Eph 5,2). „Weil er selbst sein wahrhaftiges Leben in uns führt, darum können wir ‚wandeln gleichwie er gewandelt ist‘ (1 Joh 2,6).“

Bonhoeffer ist in diesem Zusammenhang vorgeworfen worden, dass er sich mit Jesus derart identifizierte, als habe Gott auch ihn zum Opferlamm für die Welt ausersehen. In Wirklichkeit unterscheidet Bonhoeffer jedoch in der „Nachfolge“ sehr genau zwischen dem Leiden Jesu Christi und dem Leiden seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger: „Allein sein Leiden ist erlösendes Leiden. Aber auch die Gemeinde weiß nun, dass das Leiden der Welt einen Träger sucht. So fällt in der Nachfolge Christi das Leiden auf sie, und sie trägt es, indem sie selbst von Christus getragen ist. Stellvertretend steht die Gemeinde Jesu Christi für die Welt vor Gott, indem sie nachfolgt unter dem Kreuz.“

Hier klingt schon ein entscheidender Gedanke an, warum Bonhoeffer sich 1939 dem aktiven Widerstand gegen den Nazistaat angeschlossen hat: Stellvertretend für das deutsche Volk war sein Bestreben – koste es, was es wolle – Hitlers Völkermord an den Juden ein Ende zu machen. Bonhoeffer konnte nicht untätig zusehen, sondern musste sich um des Gebotes der Nächsten- und Gottesliebe willen für die entrechteten, gequälten und tödlich bedrohten Brüder und Schwestern einsetzen. Der Preis, den Bonhoeffer dafür zu zahlen hatte, waren Gefangenschaft und Hinrichtung. Weil er aber glaubte, dass Jesus Christus in ihm lebte, konnte er gefasst und hoffnungsvoll in den Tod gehen. Das belegen seine letzten Worte an seine Mitgefangenen, die überlebt und diese glaubwürdig überliefert haben: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“

Am 1. November 2025 laden wir zu einem Tagesseminar mit Prof. Peter Zimmerling auf Schloss Reichenberg in Reichelsheim ein. Thema: Auf den Grund der Dinge sehen. Dietrich Bonhoeffer über die Wirklichkeit Gottes.

1936, im Alter von 30 Jahren, schrieb Dietrich Bonhoeffer einen Brief an seine langjährige Freundin Elisabeth Zinn. In ihm berichtet er von einem spirituellen Umbruch in seinem Leben:

„Ich stürzte mich in die Arbeit in sehr unchristlicher und sehr undemütiger Weise. Ein wahnsinniger Ehrgeiz, den manche an mir gemerkt haben, machte mir das Leben schwer und entzog mir die Liebe und das Vertrauen meiner Mitmenschen… Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert hat und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel. Das ist auch wieder schlimm zu sagen. Ich hatte schon oft gepredigt, ich hatte viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben – und ich war noch kein Christ geworden, sondern ganz wild und ungebändigt mein eigener Herr. Ich weiß, ich habe damals aus der Sache Jesu Christi einen Vorteil für mich selbst, für eine wahnsinnige Eitelkeit gemacht. Ich bitte Gott, dass das nie wieder so kommt. Ich hatte auch nie oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreitnd insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden.“

Brief vom 27.1.1936, zit. nach DBW, Bd. 14, 113

Buchempfehlung: Peter Zimmerling, … und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, 2. Auflage, Benno Verlag, Leipzig 2025

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