
Blütenlesen
Ich liebe es, Dinge selber zu machen. Wann immer ich irgendwo ein Rezept, eine Anleitung finde für etwas, von dem ich denke, dass ich es dann auch nutze, setze ich das um. Am liebsten verwende ich Dinge, die ich schon habe oder mit sehr einfachen Mitteln beschaffen kann – lange bevor Upcycling ein populäres Konzept wurde.
Wenn ich eine Idee habe, ein neues Projekt, dann kann ich in der Planung komplett versinken. Wie lässt sich die Anleitung anpassen? Wo finde ich, was ich dafür brauche? Ich höre und sehe nichts um mich herum, Zeit und Raum werden belanglos, aber in meinem Kopf geht die Post ab. Irgendwann tauche ich wieder auf. Dann kann ich es kaum abwarten, bis ich mich an die Umsetzung machen kann. Ich nippe wie ein Schmetterling, der von Blüte zu Blüte fliegt, an den vielen interessanten und schönen Dingen, die die Welt so bietet. Es gibt so viel zu entdecken… Im Laufe der Jahre habe ich dabei einiges gelernt über die praktische Anwendung hinaus.
Lektion 1
Wahrscheinlich hat mein Sohn keinen Satz so oft zu hören bekommen wie „das können wir selber machen“. Dazu gehörten blaue Bonbons, die aussahen wie eine gefährliche Droge genauso wie Kostüme aus Stoffresten. Heute sagt er das zu mir: „Mom, kannst du mir ein neues T-Shirt nähen? Ich trage fast nur noch die selbstgeschneiderten.“ Ich hoffe, dass ich ihm eine gute Mischung mitgegeben habe von Ich-komme-mit-wenig-klar und Ich-weiß-mir-zu-helfen.
Lektion 2
Bei Origami entstehen aus schnödem zweidimensionalem Papier wunderbare Sachen. Mich macht das einfach nur glücklich. Manche Objekte sind lustig (jedes Kind lacht, wenn man mit ihm ein Roly-Poly faltet), manche praktisch (ich wünschte, ich könnte dereinst in einer selbstgefalteten Schachtel beerdigt werden), manche einfach nur schön (man googele Tomoko Fuse!). Von der Ernsthaftigkeit, mit der Mathematiker, Lehrer, Künstler, Therapeuten Papier falten und daraus Freude, aber auch Nutzen ziehen, kann man etwas über Hingabe lernen. Papierfalter sind weltweit verbunden, nahezu jedes Land hat einen Origamiverein mit Treffen, Kongressen, Veröffentlichungen. Mir scheint, sie wissen, dass das, was sie tun, eher schräg ist und gleichzeitig wundervoll. Ich habe schon manches Mal gedacht, dass sie da etwas mit Gläubigen gemeinsam haben.
Lektion 3
Überhaupt ist der Austausch und die Begegnung mit anderen ein absoluter Bonus, z. B. bei Kräuterwanderungen, wo jeder schon mal etwas anderes versucht hat. Für mein Leben gerne lasse ich andere etwas probieren, was ich gerührt habe, begleitet von dem Satz: „Du kommst nie darauf, was da drin ist!“ Wer vermutet schon Haselnusskätzchen im Müsliriegel oder Gundermann in der Schokolade! Die Welt ist voller Überraschungen und unser Schöpfer hat sich bei allem etwas gedacht. Und das kann ich mit anderen teilen.
Lektion 4
Beim Pilzesammeln habe ich eine wichtige Lektion gelernt. Gottes Schöpfung ist unverfügbar. Beeren finde ich jedes Jahr am gleichen Strauch, mal mehr, mal weniger. Auch Kräuter tauchen zuverlässig in ihren Ecken auf. Pilze tun das nicht, ich erlebe sie als sehr eigenwillig bei Standort und Zeitpunkt. Ob ich erfolgreich bin beim Sammeln, hat in meinem Fall mehr mit Glück als mit Kenntnis zu tun. Umso größer ist die Freude und die Dankbarkeit, wenn sich das Körbchen füllt.
Lektion 5
Nicht alles, was ich ausprobiere, bewährt sich. Manches bleibt, wie die selbstgemachte Haarseife mit der Schachtelhalmspülung, anderes verwerfe ich wieder wie die Putzmittel mit Natron und Zitronensäure als Hauptzutaten. Die sprudeln zwar schön, aber die Reinigungswirkung ist bescheiden. Chemie bleibt Chemie, auch wenn ich sie Zuhause anrühre, das überlasse ich lieber den Profis.
Lektion 6
Jede Liebe hat ihre Tücken. Mir fällt es schwer, Dinge wegzuschmeißen. Diesen Bindfaden, jenen Karton kann ich doch noch mal brauchen. Allerdings braucht es dafür ein gutes Ordnungssystem. Wie oft habe ich schon tausend Schachteln und Schubladen durchwühlt – ich weiß, dass ich das aufgehoben habe, nur wo! Denn jedes Teil hat seinen Wert, er muss nur entdeckt werden.
Bei aller Freude an der Schönheit, die wir in allem Geschaffenen entdecken können, und der Sinnhaftigkeit, wenn wir selber kreativ etwas tun können, frage ich mich manchmal, woher dieser Drang zum Selbermachen rührt. Ob sich dahinter nicht ein Wille zur Unabhängigkeit verbirgt, der auch zum Unguten werden kann? Lasst mich bitte wissen, wenn ich es übertreibe. Ich bin angewiesen auf die Menschen um mich herum, hier genauso wie in vielen anderen Bereichen meines Lebens.