Abraham zog aus. Und was zog ihn? Zu sehen ist ein Mann, der Abraham darstellen soll. Das Bild ist mit einem Grünton versehen.

Abraham zog aus

Und was zog ihn?

Elie Wiesel beschreibt Abraham so: „Es war einmal ein außergewöhnlicher Mann mit Namen Abraham, der alle Gaben und Tugenden besaß und aller Dankbarkeit würdig war. Ein Gesandter Gottes unter den Menschen, die zu selbstgefällig und blind waren, um seine Größe zu erkennen. Die Tradition stellt ihn über Moses, dessen Gesetz er befolgt, und sogar über Adam, dessen Irrtümer er berichtigt. Abraham ist der erste Feind des Götzendienstes. Der erste zornige junge Mann, der erste Rebell, der sich gegen das ‚System‘, gegen die Gesellschaft, gegen die Autorität auflehnt.“

„Er ist der erste, der die offiziellen Tabus entmystifiziert und die rituellen Verbote aufhebt und der erste, der allgemeine Konventionen verwirft, um eine Minorität des Einzelnen zu bilden. Der erste Glaubende, der allein gegen alle steht und sich für frei erklärt. Allein gegen alle trotzt er dem Feuer und der Menge und behauptet, dass es nur einen Gott gibt, der dort gegenwärtig ist, wo man ihn anruft und dass das Geheimnis des Himmels und das Geheimnis des Menschen wieder zusammenfügt.“ (Elie Wiesel, Adam oder das Geheimnis des Anfangs. Herder, Freiburg 1980, S. 76)

Der Textabschnitt in 1 Mo 12, 1-3 +5b-9 führt uns mitten in eine abenteuerliche Geschichte, die Geschichte von Abraham, dem ersten der drei Erzväter, dem Vater von Isaak, dem Großvater von Jakob und Urgroßvater von Joseph, der nach Ägypten verkauft worden war. Mit Abraham, Isaak und Jakob treffen wir die drei Riesen, auf deren Schultern das ganze Volk Israel steht. Und seit Jesus auch wir Christen. Zunächst fällt auf: Gott spricht den einzelnen Menschen an! Bis dahin sprach Gott die Menschen meistens als Gruppe an, die Sippe, einen Stamm, ganze Städte. Hier spricht Gott einen einzelnen Menschen an, einen Mann mit einer Lebenswunde, die ihm großen Kummer bereitete. Er hatte keine Kinder, keinen Sohn. In patriarchalischen Zeiten das größte denkbare Unglück, denn er hatte damit keinen Erben, dem er seinen Reichtum hinterlassen konnte und der die Familie weiterführte.

In diese Wunde hinein packt Gott ihn bei seiner Sehnsucht: Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen. Und du sollst ein Segen sein. Das ist schon merkwürdig. Dieser noch unbekannte, ja fremde Gott macht große Versprechungen. Er verspricht Unmögliches, Unvorstellbares. Wie soll aus einem schon älteren Ehepaar ein großes Volk werden?

An dieser Stelle leuchtet etwas auf, was sich wie ein roter Faden durch das Erste und durchs Neue Testament zieht: Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich (Mk 10,27). Abram vertraut sich Gott an. Darin ist er Vorbild, auch für uns, als Vater des Glaubens. Kleiner Exkurs ins Englische, dort kann man das besser unterscheiden: Es geht hier nicht um Möglichkeiten im Sinne von „possibility“, sondern um „potency“, die Möglichkeit, die mit dem Wort Potenzial zusammenhängt. Jemand ist potent, weil ihm die Möglichkeit gegeben ist, zu halten, was er verspricht. Auf den kann man sich verlassen. Gott ist also der, dem alles möglich ist, weil er potent ist. Selbst eine schon ältere, bis dahin unfruchtbare Frau wird schwanger. Und Abram vertraute sich Gott an! Er verlässt Haran und die Sippe und zieht los ins Unbekannte.

Wortwurzel für den Glauben

Sehr vieles von dem, was ich zum Thema Glauben gelernt habe, leitet sich von den Worten her. Die Wurzel des Wortes „glauben“ heißt im Alt- und im Mittelhochdeutschen „ge-lôven“. Per Lautverschiebung wurde ô zu au und v wurde im späteren Hochdeutsch zu b. In dem Wort glauben steckt „geloben“. Das finden wir im Schwur: „Ich gelobe, dem deutschen Volk zu dienen.“ Oder bei der Verlobung. Sich verloben heißt eine Verbindung mit jemandem eingehen, einem Bund zustimmen. Ich prüfe, ob das Bestand hat, ob wir beide zusammen eine Zukunft aufbauen können. In diesem „lôven“ steckt auch das Wort „love“. Leben, lieben, loben und Gott loben kommen aus der gleichen Wortwurzel. Das nennt die Bibel Glauben, sich jemandem anvertrauen. Wem ich mich anvertraue, wem ich Nachfolge gelobe, dem gehöre ich an! Mit dem will ich was zu tun haben. Diese Zugehörigkeit ist aber kein leckeres Sahnehäubchen, sondern sie fordert uns heraus. So wie Gott von Abram alles gefordert hat.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber sagte in einem seiner vielen Vorträge, dass Juden einen Beziehungsglauben haben. Es ist weniger wichtig, welche Sätze ich für glaubwürdig halte, sondern wem ich glaube. Abrahams Geschichte zeigt uns, dass Gott eine Beziehung zu den Menschen will. Der Mensch ist frei, auf dieses Beziehungsangebot einzugehen oder auch nicht. Aber wenn wir uns darauf einlassen, bedeutet es für uns, immer wieder die Gedanken, den Willen, die Vorlieben, die Ängste, Sorgen, die Scham oder auch die Freuden und Hoffnungen mit Gott in Verbindung zu bringen. Wie geht das?

Wie mit Gott reden?

Die Wüstenväter sprachen vom Hinlenken der denkenden Seele zu Gott. Das kann ganz klein sein: Ich sitze z. B. morgens um sechs in meinem Bett, vielleicht schon die erste Tasse Kaffee neben mir. Ich bin aber müde und der Bibeltext ist langweilig. Was will mir Gott denn dadurch sagen? Ich weiß doch schon, was ich heute zu tun habe.
Da lese ich lieber doch noch ein paar Seiten in meinem Krimi. Wahrscheinlich ist das den meisten nicht ganz unbekannt. Wenn ich jetzt meine denkende Seele Gott zuwende, kann ich ihm sagen: „Weißt du, dein Text ist ganz langweilig. Ich finde es blöd, dass ich so früh aufstehen muss. Und das ist doch richtig idiotisch, dass ich heute schon wieder die Treppe putzen muss. Wo bleibt da das Abenteuer? Und ich soll dir deine Liebe glauben? Nee, das geht so nicht.“ Schon bist du im Gespräch mit Gott und man weiß im Voraus nie, was er antwortet.

Zurück zu Abram. Er vertraut sich dem fremden Gott an, zieht mit allem Hab und Gut los Richtung Süden. Und die Verheißungen und Versprechungen Gottes an Abram gehen weiter. Da erschien der Herr dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dies Land geben (1Mo 12,7). Deinen Nachkommen? Weit und breit ist kein Sohn zu sehen, kein einziges Kind von Abram. Als wolle Gott ihn verspotten. Wunderbarerweise vertraute sich Abram wieder Gott an: Und er baute dort einen Altar dem Herrn, der ihm erschienen war (1Mo 12,7b). Gott hat sich ihm gezeigt und Abram baut ihm einen Altar als Zeichen der Ehrfurcht, des Dankes und der Freude, denn er hat einen Gott, der mit ihm redet.

Was ist ein Altar? Das hebräische Wort ist abgeleitet von Schlachten und Opfern. Ein Altar ist ein Ort für Schlachtopfer, mit denen die Götter gnädig gestimmt werden sollten. Abrahams Altar soll an die Erfahrungen, die mit Gott gemacht wurden, erinnern. Das Volk Israel soll sich daran erinnern, wie Gott es geführt hat. Auch wir können Orte der Erinnerung für uns bestimmen (oder uns einen kleinen Hausaltar bauen) und neugierig darauf bleiben, wie die Hand Gottes in unserem Leben wirkt. Aus diesem Sich-Erinnern wird dann Dank.

Mit dem Bauen der Altäre zeigt Abram, dass er sich ganz bewusst und willentlich an Gott hält. Und gleichzeitig schafft er damit Orte, an denen eine neue Kultur sichtbar wird. An diesen Altären sehen wir, wie Abram dem Gott, der ihn angesprochen hat, Platz macht in seinem Leben. Ihn bestimmend sein lässt. Schwerwiegend.
Das hebräische Wort für schwerwiegend ist das gleiche Wort, das die Bibel benutzt für die Herrlichkeit Gottes. Das ist das, was schwer wiegen soll in unserem Leben. Dem dürfen wir Raum geben.

Unsere Sehnsucht zu Gott bringen

Das Wunderbare an der ganzen Geschichte ist, dass Abram so wie er ist, mit Ecken und Kanten, mit Sorgen und Sünden, Ängsten und Gemeinheiten, diesem noch namen- und bildlosen Gott folgt und sich ihm immer wieder zuwendet. Er vertraut sich ihm immer wieder an, immer wieder sagt er sinngemäß: „Ich will dir mehr glauben als mir und meiner Skepsis.“

Ebenso spricht Gott ihn immer wieder an, in seine Sehnsucht hinein. Und natürlich hat er seine Versprechen erfüllt. Abraham wurde zum Vater großer Völker. Er ist der Stammvater der Araber durch seinen älteren Sohn Ismael. Er ist der Stammvater der Juden durch seinen Sohn mit Sara, Isaak, und durch den Bund mit Jesus ist er auch unser Stammvater. Gott hat sein Versprechen gehalten und erfüllt. Ich will dich zu einem großen Volk machen. Ich segne dich und will dir einen großen Namen machen. Und du sollst ein Segen sein.

Von Abraham können wir lernen, dass Gott, wenn er beruft, uns herausfordert aus dem gewohnten und abgesicherten Leben, hinein in ein lebenslanges Abenteuer. Das Kostbare daran ist, dass Gott mitgeht, dass er mit uns redet. Denn er ist der, der Beziehung will und alle Hindernisse in der Beziehung mit uns zusammen wegräumt.

Diese Bibelarbeit wurde am 5. März 2025 in der OJC-Gemeinschaft gehalten. Wir geben sie gekürzt und redigiert wieder.

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