Herrschaftszeiten
- Leitbild Reich Gottes
- Folgende Aspekte sind ein wesentlicher Ausdruck der Gottesherrschaft in den Evangelien
Die Bibel ist voller Bilder – und ein von Jesus häufig in Bildern veranschaulichtes Wort ist der Begriff vom Reich Gottes. Dieser wird allerdings durch unterschiedliche Interpretationen strapaziert.
Die Versuchung ist groß, politischen Einfluss zu erlangen, indem man den christlichen Glauben vor den Karren politischer Ziele spannt. Oder andersherum: kirchliche Macht durch Unterstützung politischer Akteure auszubauen sucht. So wird der Begriff vom Reich Gottes aufgeladen mit einer politischen Bedeutung und als Vorwand genutzt, um an der Macht der politisch Herrschenden teilzuhaben.
Heiligt der Zweck die Mittel? Und wo verläuft der feine Grat zwischen Jedermann sei untertan der Obrigkeit (Röm 13,1) und Gebt Gott, was Gott gehört (Lk 10,25)? Es ist perfide, die Worte Jesu in leichter Abwandlung neu zu schattieren. Genau das geschieht in vielen Diskursen und Aktionen.
Der folgende Text soll daher eine Verständnishilfe sein, was Reich Gottes meint, eine Orientierungshilfe im Dschungel der religiösen und politischen Marktschreier, eine Lupe, fokussiert auf die Reich-Gottes-Lehre Jesu. Damit wir antworten können und eine klare Sicht behalten. (red)
Leitbild Reich Gottes
In letzter Zeit werden Vorwürfe gegen zahlreiche Gruppen und Netzwerke engagierter Christen in Deutschland erhoben. Man unterstellt ihnen eine Sicht des Reiches Gottes, die theologische Fehlentwicklungen in den USA kopiert und einen politischen Herrschaftsanspruch erhebt. Deswegen hier folgende inhaltliche Klarstellung:
Das „Reich Gottes“ bzw. die „Herrschaft Gottes“1 ist der zentrale Leitbegriff für das Auftreten und den Dienst Jesu in den ersten drei Evangelien und darüber hinaus.2 Dabei knüpft Jesus an die Heilserwartung Israels an und interpretiert das alttestamentliche Konzept der „Herrschaft Gottes“ in neuer Weise: Gottes Reich kommt in seiner Person, seinem Reden und Handeln, nicht etwa mit politisch-militärischen Mitteln. Überall, wo Menschen in der Begegnung mit ihm Versöhnung, Heilung, Befreiung und Bevollmächtigung erfahren, erleben sie und ihr Umfeld Veränderung. Hier bricht die Herrschaft Gottes sichtbar auf Erden an.
Theologiegeschichtlich bleibt die Spannung zwischen dem „Schon-Jetzt“ des begonnenen und dem „Noch-Nicht“ des vollendeten Reiches Gottes, seiner Unverfügbarkeit und der gleichzeitigen Verantwortung der Kirche dafür. Diese Spannung ist Gegenstand weitreichender Debatten. Deshalb liegt hier das Augenmerk ausschließlich auf dem allen gemeinsamen neutestamentlichen Zeugnis. Christen beten täglich im Vaterunser um das Kommen seines Reiches und sind berufen, sich im Sinne dieses Reiches in der Welt zu engagieren. Dabei ist der Unterschied zwischen irdischen Vorstellungen von „Herrschaft“ und den Wesensmerkmalen der biblischen Reich-Gottes-Verkündigung Jesu entscheidend für die Unterzeichner dieser Klarstellung.
Folgende Aspekte sind ein wesentlicher Ausdruck der Gottesherrschaft in den Evangelien
1. Hingabe statt Dominanz
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt, sonst würden meine Anhänger dafür kämpfen!“3 Diese Aussage Jesu macht dem Machthaber Pilatus klar: Das Reich Gottes kommt nicht durch politische oder gesellschaftliche Dominanz – es kommt durch die Hingabe des eigenen Lebens4.
2. Umkehr statt Selbstzentriertheit
Die Umkehr bedeutet den Eintritt in die Herrschaft Gottes. Sie ist die Abkehr von einem selbstzentrierten Leben hin zum Leben nach Gottes Weisung aus der Kraft des Geistes Jesu. Da sich dieser Ruf zur Umkehr unterschiedslos an jeden Einzelnen richtet, wird er zugleich zur Absage an Lagerdenken und gesellschaftliche Ausgrenzung. „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“5
3. Nachfolge statt Beliebigkeit
Jesus nachzufolgen heißt ihn nachzuahmen („Jüngerschaft“, imitatio Christi). Dieser Lebensstil ist geprägt durch Dienen statt Herrschen; in letzter Konsequenz heißt das, „sein Kreuz auf sich zu nehmen“. Zugleich bedeutet es ein Leben im Miteinander mit allen, die ihm nachfolgen, unabhängig von Nationalität, Geschlecht, Rasse oder Status. Dieses Miteinander ist von gegenseitiger Versöhnung, Wertschätzung und Dienst bestimmt. „Komm und folge mir nach!“6
4. Gebet statt Eigenmächtigkeit
Gebet von ganzem Herzen ist in seinen verschiedenen Formen ein zentraler Faktor der Herrschaft Gottes; es vertraut darauf, dass Gott selbst wirkt. Lob und Anbetung, Bitte und Fürbitte helfen, die Gegenwart Gottes in Gemeinde und Welt zu vermitteln. Gebet ist also kein Ausdruck spiritueller Militanz, auch nicht gegen himmlische Mächte, sondern richtet sich immer an Gott.7 „Vater: Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme!“8
5. Sendung statt Selbstverwirklichung
Die Missio Dei – die Sendung Gottes – zielt auf die Erlösung der Schöpfung durch die heilbringende Herrschaft Gottes. Sie gilt der ganzen Welt: allen Menschen, Völkern, Lebensbereichen und Kulturen. So hat Jesus seine Nachfolger gesandt, d. h. beauftragt und bevollmächtigt, diese Gottesherrschaft in Wort, Tat und Leiden zu verkündigen. „Geht hin und lehrt alle Völker nachzufolgen …“9
6. Einheit statt Polarisierung
Die Herrschaft Gottes ist größer als jeder Einzelne, jede Gemeinschaft und jede Kirche; sie gilt allen gleichermaßen. Deshalb ist die gelebte Einheit – ob zwischen Kirchen oder Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen – ein entscheidender Faktor dafür, dass die Welt Jesus erkennen und glauben kann, „…dass sie alle eins seien, … und so die Welt glaubt“10.
Dieses Leitbild wurde erarbeitet von Manfred Schmidt und Johannes Hartl, 2025
Die Wiedergabe des neutestamentlichen „basileia tou theou“ mit „(Königs-)Herrschaft Gottes“ akzentuiert den vorwiegend dynamischen Charakter, den sie bei Jesus hat. Die traditionelle Wiedergabe „(König-)Reich Gottes“ hat dagegen stärker das vollendete Reich Gottes im Blick. ↑
Vgl. die Zusammenfassung der Botschaft Jesu in Markus 1,14-15. Der Begriff „Gottesherrschaft“ kommt 14x im Markusevangelium vor, 5x im Matthäusevangelium – neben dem dominanten Synonym „Herrschaft der Himmel“ (32x) –, 32x im Lukasevangelium (sowie 6x in der Apostelgeschichte), und 10x bei Paulus. Hinzu kommt die Verwendung des Begriffs „Herrschaft“ ohne die Näherbestimmung „Gottes“. ↑
Johannes 18,36. Vergleiche auch Philipper3,20: „Unser Bürgerrecht (d.h. unsere Staatsbürgerschaft) liegt im Himmel.“ ↑
Deshalb verkündet Jesus die Nächstenliebe bis hin zur Feindesliebe, z.B. Mt 5,43-48. ↑
Markus 1,15. ↑
Z. B. Markus 1,17; Matthäus 9,9; 10,38; 11,28; 16,24; 19,21.27-28; 27,55; Johannes 1,43; 10,4-5; 12,26. ↑
Im Blick auf den Kampf destruktiver himmlischer Mächte gegen die Nachfolger Jesu lautet der Auftrag des Paulus „stehen zu bleiben“ bzw. „Widerstand zu leisten“, nicht sie niederzuwerfen (Eph 6,11.13.14). Überwunden werden sie aus der Sicht des Neuen Testaments allein durch den gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Christus (1 Kor 15,24-25). ↑
Lukas 11,2; vgl. Matthäus 6,10. ↑
Matthäus 28,19; Markus 16,15. ↑
Johannes 17,20-23; vgl. auch Galater3,28; 1 Korinther 12,13; Kolosser 3,11. ↑