Stilierte Handynutzer - Illustration

Handy, Handy in meiner Hand

Der blinde Spiegel Social Media

Nichts ist so einprägsam wie das Bild. Es wirkt sofort und intuitiv. Es bedient mehrere Ebenen zugleich: die Neugier des Menschen, sein Wissen und seine Emotionen. Bilder lösen unmittelbare Reaktionen aus, Bewunderung, Neid, Freude, Ekel oder Ablehnung. Sie sprechen das limbische System an und wirken damit schneller als Sprache oder Text. Kein Wunder, dass Soziale Medien so attraktiv sind. Der Mensch braucht Bilder – von sich selbst, von seiner Vergangenheit und von seiner Zukunft. Auch junge Menschen brauchen ein Bild von sich, um zu verstehen, wie sie auf andere wirken, und ein Bild davon, wie ihre Zukunft aussehen kann. Gerade in der Adoleszenz entwickelt ein Mensch ein Selbstbild, das er mit dem eigenen Ideal und mit den Wunschbildern anderer abgleichen muss. Die Selbst- und die Fremdwahrnehmung spielen eine zentrale Rolle in der Identitätsbildung und im psychischen Wohlbefinden.

Zwischen Faszination und Gefahr

„Verbieten oder nicht verbieten?“ – das ist die Frage, wenn es um die Nutzung Sozialer Medien durch Jugendliche geht. Australien hat Ende 2024 als erstes Land ein Gesetz verabschiedet, das die Nutzung Sozialer Medien für alle unter 16 Jahren verbietet. Der französische Präsident forderte kürzlich ein Verbot für Jugendliche unter 15 Jahren. Auch in Deutschland ist die Debatte in vollem Gange – und die Meinungen gehen weit auseinander.

Was sagt die Forschung?

Ob und wie stark Soziale Medien die Psyche und das Verhalten von Kindern und Jugendlichen beeinflussen, hängt von viele Faktoren ab: Persönlichkeit, Alter, Reife, Selbstwertgefühl, familiärer Hintergrund und soziales Umfeld.1
In einem stabilen Umfeld wirken sich Soziale Medien deutlich weniger negativ aus. Jugendliche, die einsam sind, unter geringem Selbstwert leiden oder wenig soziale Unterstützung erfahren, sind anfälliger für die negativen Effekte. Wie bewusst Jugendliche ihre Mediennutzung steuern, wie sie mit Inhalten umgehen und wie stark sie Bilder und Darstellungen auf sich selbst beziehen, wird davon beeinflusst. Für manche sind Soziale Medien ein Ort der Inspiration und des Austauschs – bei anderen verstärken sie bestehende psychische oder soziale Probleme.

1. Körperunzufriedenheit, Gefühl der Unzulänglichkeit, negatives Selbstkonzept

Soziale Medien wie Instagram oder TikTok prägen zunehmend das Körperbild von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, weil sie unrealistische Schönheitsideale vermitteln. Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper führt zu einem niedrigen Selbstwertgefühl und zu psychischen Belastungen – besonders bei Mädchen, aber auch bei Jungen.
Begriffe wie thinspiration (Inspiration, dünn zu sein) und fitspiration (Inspiration, muskulös und fit zu sein) zeigen, wie stark Körperideale über Soziale Medien normalisiert werden. Der gesellschaftliche Druck, einem idealisierten Bild zu entsprechen, betrifft mittlerweile alle Geschlechter – und macht deutlich, wie wichtig Aufklärung und präventive Maßnahmen sind.2

2. Angst, Depression und Essstörung

Empirische Forschung zeigt, dass Jugendliche, die Soziale Medien sehr stark nutzen, anfälliger für Angstzustände und Depressionen werden. Sie kennen häufig das Gefühl, nicht den Schönheits- oder Lebensstilstandards zu genügen, die von Gleichaltrigen oder Influencern präsentiert werden. Der Druck, ein perfektes Image zu verkörpern, kann die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigen und die Entwicklung einer stabilen Identität erschweren.3
Daten des Statistischen Bundesamtes belegen, dass sich die Zahl der jungen Mädchen, die wegen Magersucht, Bulimie oder anderer Essstörungen stationär behandelt werden, in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat – und dass die Betroffenen immer jünger werden.4 Soziale Medien wirken hier als Verstärker bereits bestehender Probleme.

3. Suchtverhalten

Wenn Jugendliche exzessiv Zeit online verbringen und dabei reale Kontakte oder Verpflichtungen vernachlässigen, spricht man von Mediensucht. Immer mehr Studien belegen dieses Suchtverhalten Jugendlicher. Typische Anzeichen zeigen sich oft schleichend5: Eine Toleranzentwicklung, wenn es immer mehr Zeit braucht, um die gleiche Befriedigung zu erleben. Eine gedankliche Vereinnahmung, wenn sich das Leben zunehmend um die Sozialen Medien dreht. Stimmungsregulation, wenn Online-Aktivität dazu dient, Stress zu lindern oder sich besser zu fühlen. Gescheiterte Abstinenzversuche, wenn wiederholte Bemühungen, die Nutzung einzuschränken, erfolglos bleiben. Entzugserscheinungen, wenn Unruhe, Gereiztheit oder Angst einsetzen, sobald das Handy beiseitegelegt wird. Und schließlich Konflikte, wenn Beziehungen, Schule oder Ausbildung darunter leiden.

4. Einsamkeit

Soziale Medien erhöhen paradoxerweise das Risiko sozialer Isolation. Reale Kontakte werden vernachlässigt, und die Fähigkeit, Beziehungen im echten Leben aufzubauen und zu pflegen, kann darunter leiden. Für Jugendliche, die sich ohnehin einsam fühlen, können Soziale Medien zu einem trügerischen Zufluchtsort werden: scheinbar nah und doch innerlich fern.

5. Schlafentzug

In Großbritannien nutzt etwa jeder fünfte Jugendliche Soziale Medien mindestens fünf Stunden täglich. Viele gehen deutlich später ins Bett, leiden unter Schlafmangel und Tagesmüdigkeit.6 Befragte berichten, dass es ihnen schwerfällt, sich abends von Sozialen Medien zu lösen.
Hinzu kommt: Die Angst, etwas zu verpassen (Fear of Missing Out – FOMO) erschwert das Einschlafen7 oder die Schlafqualität insgesamt. Darüber hinaus hemmt das blaue Licht der Bildschirme die Melatoninproduktion und verschiebt den Schlaf-Wach-Rhythmus8. Das wiederum verstärkt Angstzustände, Depressionen und ein geringes Selbstwertgefühl.9

Was ist geboten?

Was anfangs nur ein ungutes Bauchgefühl war, wird mittlerweile durch zahlreiche Studien bestätigt: Der Einfluss Sozialer Medien kann gravierend sein – und das, ohne dass Inhalte wie Gewalt, Extremismus oder Pornografie berücksichtigt sind.
Immer jüngere Kinder besitzen heute ein eigenes Endgerät – oft ohne ausreichende Begleitung. Es braucht eine ernsthafte Debatte darüber, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen – auch über Verbote oder altersspezifische Einschränkungen – im Wissen, dass man nicht alles verhindern kann. Eine Altersverifikation und entsprechende Beschränkung ist technisch möglich, wenn der politische Wille vorhanden ist. Der Schutz von Kindern darf nicht dem Bequemlichkeitsargument der Anbieter geopfert werden.

Was können Eltern, Schule und Gesellschaft tun?

Begleitung

Kinder brauchen Begleitung – auch in der digitalen Welt. Der Staat kann Rahmen setzen, die Schule Medienkompetenz vermitteln, aber letztlich bleibt es eine Frage der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Naives Wegsehen hilft hier nicht weiter. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe guter Info-Seiten für Eltern und Jugendliche zu dem Thema:
www.jugendschutz.net
www.saferinternet.at
www.klicksafe.de

Zeitliche und altersspezifische Begrenzung

Moderne Betriebssysteme bieten integrierte Kinderschutzfunktionen, die leicht einzurichten und über das eigene Handy zu steuern sind. Sie ermöglichen feste Bildschirmzeiten und Pausen – eine einfache, aber wirksame Maßnahme.10 Außerdem kann es hilfreich sein, das Handy/Tablet am Abend zu einer vereinbarten Uhrzeit zu einer Ladestation zu bringen, die außerhalb des Zimmers liegt. Sollten Kinder trotzdem wichtige Nachrichten erwarten, können diese an der Ladestation gelesen und beantwortet werden.

Mediennutzungsvertrag

Eltern sollten gemeinsam mit ihren Kindern verbindliche Regeln festlegen. Unter www.mediennutzungsvertrag.de lassen sich solche Vereinbarungen einfach erstellen und individuell anpassen. Das ist außerdem ein guter Anlass, über diese Themen zu reden.

Digitale Pausen

Eine Studie hat gezeigt, dass bereits eine einwöchige Abstinenz von Sozialen Medien bei jungen Frauen zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl und einem positiveren Körperbild führt. Besonders profitierten jene Frauen, die das gesellschaftliche Schlankheitsideal stark verinnerlicht hatten.11
Was für diese Gruppe von jungen Frauen hilfreich ist, kann letztlich allen guttun: Es lohnt sich, regelmäßig Pausen einzulegen – und sie auch bewusst einzufordern. Die dabei entstehende Langeweile ist kein Mangel, sondern schafft Raum für Kreativität, Reflexion und neue Ideen.

Aktive statt passive Nutzung

Viele Studien unterscheiden zwischen einer „aktiven“ und einer „passiven“ Nutzung sozialer Medien – also der Frage, ob man selbst gestaltet oder nur konsumiert. Wer eigene Inhalte teilt, anstatt sich lediglich durch die Beiträge anderer zu scrollen, zeigt meist mehr Selbstbewusstsein und erlebt eine höhere Eigenwirksamkeit. Vielleicht verfügen diese Menschen ohnehin über ein stärkeres Selbstwertgefühl – vielleicht stärkt aktives Gestalten einfach.
Sicher ist: Mitzumachen ist heilsamer als nur zuzuschauen.

Interesse zeigen

Jugendliche brauchen Eltern, die sich interessieren – nicht für jede App, aber für das, was ihnen wichtig ist. Mein Großvater verstand nichts von Computern, doch er hörte zu. Dieses Interesse war ein Ausdruck von Liebe – und das Gefühl, ernst genommen zu werden, bleibt bis heute.

Vertrauen

Vertrauen ist die größte Währung zwischen den Generationen. Jedes Verbot lässt sich umgehen, jedes Passwort knacken. Aber Vertrauen, das gelebt und gepflegt wird, bleibt bestehen – auch dann, wenn es einmal enttäuscht wurde.

Mut zur Zumutung

Die digitale Welt fordert uns mehr denn je heraus, Verantwortung zu übernehmen, statt sie an Algorithmen oder Plattformen abzugeben. Erziehung und Begrenzung in digitalen Zeiten braucht Mut – Mut, Grenzen zu setzen, aber auch Mut, im Gespräch zu bleiben. Kinder brauchen keine perfekte Kontrolle, sondern präsente Erwachsene, die sie begleiten, herausfordern und lieben – online wie offline.
So wächst in ihnen ein anderes Bild: nicht das flüchtige einer Timeline, sondern das bleibende einer Beziehung. Ein Bild, das trägt, wenn der Bildschirm dunkel bleibt.


  1. Ferdi Fathurohman et al. „The Influence Of Social Media Use On The Self-Perception And Social Relations Of Teenagers In The Digital Era.“ Jurnal Kajian Pendidikan dan Psikologi (2023). doi.org/10.61397/jkpp.v1i2.89. 

  2. Zulfa Ilma Nuriana et al. „The Impact of Social Media on Body Image and Self-Perception Among Teenagers: Risks, Resilience, and Policy Implications.“ Sinergi International Journal of Psychology (2025). doi.org/10.61194/psychology.v2i3.524. 

  3. Estefanía Martínez-Iniesta et al. „Associations of social network use and social network addictive behaviors with self-esteem in adolescents: the EHDLA study.“ Frontiers in Psychiatry, 16 (2025). doi.org/10.3389/fpsyt.2025.1499679. 

  4. Siehe Meldung in der Tagesschau: www.tagesschau.de/inland/gesell-schaft/gesundheit-essstoerung- frauen-maenner-100.html 

  5. Estefanía Martínez-Iniesta et al., a.a.O. 

  6. H. Scott et al. „Social media use and adolescent sleep patterns: cross-sectional findings from the UK millennium cohort study.“ BMJ Open, 9 (2019). doi.org/10.1136/bmjopen-2019-031161. 

  7. J. Hamilton et al. „Associations Between Social Media, Bedtime Technology Use Rules, and Daytime Sleepiness Among Adolescents: Cross-sectional Findings From a Nationally Representative Sample.“ JMIR Mental Health, 8 (2020). doi.org/10.2196/26273. 

  8. Louise AS. Brautsch et al. „Digital media use and sleep in late adolescence and young adulthood: A systematic review.“ Sleep medicine reviews, 68 (2022): 101742 . doi.org/10.1016j.smrv.2022.101742. 

  9. H. Woods et al. „#Sleepyteens: Social media use in adolescence is associated with poor sleep quality, anxiety, depression and low self-esteem..“ Journal of adolescence, 51 (2016): 41-9 . doi.org/10.1016/j.adolescence.2016.05.008. 

  10. Estefanía Martínez-Iniesta et al., a.a.O. 

  11. Smith, Olivia E., Jennifer S. Mills, and Lindsay Samson. 2024. „Out of the Loop: Taking a One-Week Break from Social Media Leads to Better Self-Esteem and Body Image among Young Women.“ Body Image 49 (101715): 101715.