Gottes ausgestreckte Hand
Als ich Ende Oktober 2024 meine Time-Out in der OJC begann, war ich nicht großartig überzeugt von der Idee, ein Jahr lang in einer Kommunität, so weit weg von „allem“, zu sein. Ich hatte nach einem Ort für Ruhe und Regeneration gesucht und gleichzeitig wollte ich Zeit mit Gott erleben dürfen.
Hinter der Notwendigkeit dieser Auszeit steht meine medizinische Vorgeschichte. Mit 17 Jahren hatte ich eine Hirnblutung. Ich stand noch am Anfang meines Lebens, war aufgeweckt und fröhlich und hatte viele Pläne und Ziele. Daraus wurde leider nichts, sondern ich war damit konfrontiert, nichts mehr zu können. Auch Merkfähigkeit und Wortfindung hatten gelitten. Ich bin eigentlich wortgewandt und absolut nicht schüchtern und konnte mich immer auf mein Reden und Singen verlassen. Jetzt musste ich wieder laufen und sprechen lernen. Das war anstrengend, und vor allem fand ich es erniedrigend.
Wer war diese Mariana? Wer bin ich heute? Und wer will ich sein?
Ich bekam von der OJC ein Ja, als ich mit diesen heftigen Fragen aufkreuzte. Hier konnte ich entdecken, dass Gottvertrauen zu Selbstvertrauen führt, und mit wachsendem Selbstvertrauen konnte ich auch Stück für Stück wieder Ich werden.
Vor meiner Erkrankung hatte ich kaum Hilfe benötigt, konnte sehr viel sehr gut, und mir war nie bewusst, dass jeder auf göttliche Hilfe angewiesen ist. Im Rückblick finde ich es richtig schade, dass ich erst einmal so hilflos sein musste, in einer Situation, in der ich mir mehr als einmal zu sterben wünschte, um zu sehen, wie viele Menschen ich um mich habe, die mir helfen wollen und können. Denen es sogar eine Freude ist. Und ich musste nicht nur menschliche Hilfe annehmen, schätzen und lieben lernen, sondern auch Gottes ausgestreckte Hand ergreifen und einwilligen, mit ihm auf das Abenteuer der Heilung zuzugehen.
Ich bin in einem christlichen Haushalt aufgewachsen und es gewöhnt, in die Kirche zu gehen, zu beten, Glauben zu leben und zu fühlen. Aber anfangs fand ich die täglichen Mittagsgebete mit den für mich fremden Gesängen und Gebetsformen arg merkwürdig. In meinem Kopf läuft Worship in Dauerschleife. Aber bereits nach kurzer Zeit ertappte ich mich dabei, wie ich manche Lieder vor mich hin summte. Ich entdeckte, dass sich durch das Wiederholen die Worte mit ihrer tiefen Bedeutung in meinem Herzen und Gehirn verankern. So wurde Gott ein lebendiger Bestandteil meines Alltags. Gleichzeitig hatte ich den Freiraum, meinen persönlichen Zugang zu Gott neu zu entdecken. Ich durfte auf meine Art beten, weniger liturgisch, aber ganz ich.
Während meiner Genesung hatte ich Phasen, in denen es mir schwerer fiel, an einen liebenden und guten Gott zu glauben. Das Leben, mein Leben, zu schätzen und zu lieben. In Phasen von unfassbaren Schmerzen und Selbsthass durfte ich meinen Gott neu erfahren, Ihn hören, wie Er mir immer wieder von neuem sagte: Mariana, du bist mein geliebtes Kind, ich habe noch so einiges mit dir vor, allerdings benötige ich deine vollkommene Aufmerksamkeit und etwas Geduld.
Wer mich kennt, weiß, dass Geduld mit mir selbst zu haben nicht meine Stärke ist. Ich musste die neuen Umstände akzeptieren, kämpfte dafür, dass es mir wieder besser geht, und gleichzeitig wollte ich nicht zu arg auffallen. Und ich wollte auch mit Gott gehen und an Ihm festhalten. Das ist absolut nicht leicht und verursachte nach fünf Jahren einen gewaltigen Druck, und so suchte ich mir einen Ort für eine Auszeit.
Die Regelmäßigkeit der OJC-Tagesabläufe und der Kontakt zu so vielen unterschiedlichen Menschen halfen mir, meinen Fokus wegzunehmen von dem, was nicht gut lief, hin zu dem, um das es wirklich geht: In Beziehung sein mit Gott, mit anderen Menschen und mit mir selbst. Gebet fällt mir nicht immer leicht. Manchmal habe ich das Gefühl, Sätze sagen zu müssen, damit mein Gebet „echt“ oder „richtig“ ist. Und trotzdem geschieht nicht, was ich mir wünsche. Ich musste lernen, dass es Gott nicht primär um das geht, was ich sage, sondern mit welcher Motivation ich es sage. Will ich Beziehung mit Ihm oder will ich nur cool wirken? Dabei ist es egal, ob ich laut oder leise bete, ausformuliert oder nur einzelne Wörter stottere. Gott hört einem aufrichtigen Herzen zu.
Jedem, der sich nicht hundertpro sicher ist, was er mit seiner Zeit oder seinem aktuellen Zustand tun soll, kann ich nur empfehlen: So ein Jahr zu machen, ist kein Fehler oder vergeudete Zeit, sondern heilsam und gut. Bei der OJC bekommt das Leben automatisch einen Rhythmus und man hat gar keine Chance, in eine depressive Einsamkeit zu verfallen.
Die Schmerzen, meine zweifelnden Gedanken und die ganzen offenen Fragen bleiben und werden mich vermutlich noch eine ganze Weile begleiten. Die Art, damit umzugehen, hat sich in dem knappen Jahr geändert. Ich habe mehr Hoffnung und vor allem habe ich lernen dürfen, auf Gott zu hören, Ihn zu spüren und Ihm völligen Handlungsfreiraum zu geben.