Wir sind im Bilde

Liebe Freunde,

Vor wenigen Wochen habe ich die Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall besucht. Dort läuft zurzeit die Ausstellung „Die dritte Dimension im Bild“. Werke von Hologramm-Künstlern, aber auch Op-Art-Bilder werden gezeigt. Ich war absolut fasziniert von der Möglichkeit, durch den Wechsel von der Zwei- zur Dreidimensionalität das Gehirn Dinge für wahr halten zu lassen, die eben nur durch Effekte erzeugt sind. Ein Zitat von Patrick Hughes dazu: „Der Verstand wird dazu verleitet, das Unmögliche zu glauben…“ Das lässt sich wunderbar übertragen auf andere Erfahrungen in unserem Leben: dass es eine weitere Dimension gibt, die uns Dinge sehen lässt, die über das rationale Verstehen hinausgehen. Wenn wir das Gebiet der Illusion nun verlassen – ist das nicht eine passende Beschreibung für Glaube? Überhaupt für Vertrauen? Gleichzeitig scheint hier auch eine Gefahr auf, denn offensichtlich ist unsere Wahrnehmung manipulierbar. Lange stand ich vor einem Bild von Vasarely, das ständig vor meinem Auge in eine neue Perspektive kippte und oben und unten durcheinanderwarf. Auf was ist Verlass? Spätestens jetzt muss man den Satz „Ich glaube nur, was ich sehe“ ad acta legen.

Was für Bilder gilt, gilt auch für Narrative. Jede Generation muss entscheiden, ob sie die Narrative der Vorgängergeneration übernimmt oder eigene dagegensetzt. Dabei stellt sich die Frage, wie es um die Wahrheit bestellt ist und ob sie unter diesen Gesichtspunkten überhaupt zu definieren ist. „Als annehmbare Wahrheit gilt […] einzig und allein das, was uns am besten führt“, hat der im Jahr 1910 verstorbene Psychologe und Philosoph William James gesagt. Heute lautet das Narrativ unserer Gesellschaft: Jeder kann seine eigene Wahrheit bestimmen. Macht uns das freier und gerechter?

Inwieweit uns Bilder helfen können, etwas hinter ihnen zu entdecken und eine Saite in uns zum Klingen zu bringen, die uns der Wahrheit näher bringt, darum soll es in diesem Heft gehen. Das ist tatsächlich ein Auftrag an uns Christen: Lebensfördernde Bilder und Narrative unter die Leute zu bringen. Die reine Empörung über den falschen Gebrauch christlicher Symbole reicht nicht. Diese Fehlinterpretationen zeigen nur, wie sehr wir Menschen Bilder brauchen. Und wenn die traditionellen Erzählungen abgeschafft sind, rücken andere an ihre Stelle. Denn ohne gehts nicht. Wir haben eine Verantwortung dafür, welche Bilder und Narrative in unserer Gesellschaft lebendig sind und wie wir Raum schaffen, damit die Dimension Gottes in unsere begrenzte Wahrnehmung hineinleuchten kann. Bonhoeffer bringt es auf den Punkt: „Klug ist, wer die Wirklichkeit sieht, wie sie ist, wer auf den Grund der Dinge sieht. Klug ist darum allein, wer die Wirklichkeit in Gott sieht. Erkenntnis der Wirklichkeit ist nicht dasselbe wie Kenntnis der äußeren Vorgänge, sondern das Erschauen des Wesens der Dinge.“

Unser Leben könnte als zeugnishafte Ausstellung den Titel tragen „Die vierte Dimension in unserer Welt: Wie Gott hereinbrach und nicht wieder rausging“. Das ist das Bild von Weihnachten. Im Zugehen darauf wünsche ich allen Lesern hoffnungsvolle Bilder und eine neue Entdeckung des alten Narrativs vom menschenfreundlichen Gott.

Gottes Segen für alles Schauen und Erleben rund um die vierte Dimension,

Gerlind Ammon-Schad, Priorin der OJC
Reichelsheim, 13. November 2025

P.S.: Für die freien Mußetage zwischen den Jahren könnte man einen Besuch in der Kunsthalle Würth einplanen oder dem Werk von Patrick Hughes auf diesem Link folgen:
www.patrickhughes.co.uk


Artikel aus diesem Heft

Gott auf der Spur

Das Bilderverbot ist nicht die Ablehnung von Bildern an sich, sondern von falschen und festlegenden Bildern. Unser Gott ist unverfügbar.
Nicolas Poussin, Die Anbetung des Goldenen Kalbes, 1633-34

Hameluja, hameluja!

Weihnachtsgeschichte zu einem Ölgemälde aus dem 16. Jahrhundert. In der Anbetungsszene sind Engel abgebildet, die das Down-Syndrom haben
Jesuskind in der Krippe. Ölgemälde von 1515, Künstler unbekannt