
Dieses eine Leben machte den Unterschied
One Life. Ein Film
Das Filmdrama One Life erzählt die Geschichte von Nicholas Winton, einem Londoner Börsenmakler. 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, sieht der 29-Jährige bei einem geschäftlichen Besuch in Prag die Not der jüdischen Familien und ihrer Kinder, die nach der Besetzung durch die Nationalsozialisten aus Deutschland und Österreich geflohen sind. Hier helfen scheint ein Ding der Unmöglichkeit! Es ist bitterkalter Winter, und viele haben weder ein Dach über dem Kopf noch etwas zu essen. Er entschließt sich spontan, möglichst viele Kinder nach England zu bringen. Zu seinem Chef sagt er am Telefon: „Plan geändert. Ich bleibe hier.“ Auf die Fragen, woher Papiere und das Geld denn kommen sollen, wie er Pflegeeltern finden wolle, sagt er: „Ich weiß es nicht, aber wir müssen etwas tun.“
Und dann gelingt die Rettung von 669 jüdischen Kindern! In acht Zügen. Im achten Zug sitzt auch ein Junge namens Ilan Brunner, mit dem die OJC viele Jahre später Freundschaft schloss und ein spannendes Projekt begann.
Ilan war nach Israel gezogen und gründete 1999 gemeinsam mit seiner Frau Esti das „Disraelis“-Projekt (Disabled Israelis) und regte an, dass Opfer von Anschlägen und beim Militärdienst verwundete junge Soldaten zu einer Auszeit nach Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeladen werden. Als OJC hatten wir seit 2002 eine ganze Reihe Disraelis-Gruppen in Reichelsheim und Greifswald zu Gast und auch Gruppen zu Gegenbesuchen nach Israel gebracht. Das waren überaus bewegende Begegnungen. Brücken des Vertrauens wurden gebaut.
Nicholas Winton bezeichnete sich selbst als Agnostiker. Auf die Frage, warum er sich so vehement für die Rettung der Kinder einsetzte, sagte er, dass er selbst jüdischer Herkunft sei und das Schicksal der Juden in Prag ihn ergriffen habe. Er war ein ganz normaler junger Mann, aber mit Mitgefühl, Zuversicht und Durchhaltewillen schaffte er das Unmögliche. Er sagte zu seiner Mutter Babette, die Angst um ihn hatte, denn es war gefährlich, nach Prag zu reisen: „Du musst es am besten verstehen. Du hast es mir beigebracht. Du hast mich so erzogen.“ Mit ihrer Hilfe fanden sich ganz viele Menschen, die ihn unterstützen. Auch Mitarbeiter auf Ämtern ließen sich bewegen, schnell und unkonventionell einzugreifen. Sie sammelten Spenden – für jedes Kind mussten 50 Pfund aufgebracht werden – und fanden Pflegefamilien für die nach England geholten Kinder.
Der Film packt ein schweres Thema an und präsentiert es in erstaunlich leichter Weise. Man sieht in Rückblenden den jungen Mann in all den Schwierigkeiten und Widerständen, die er überwinden musste. Wir erleben den alten Nicholas, der 1988 mit fast 80 Jahren die Unordnung in seinem Büro beseitigt, worum ihn seine Frau gebeten hatte: „Du musst loslassen!“ Dabei findet er die Listen und Fotos der Kinder, die sie in Sicherheit gebracht hatten. Diese Unterlagen landen in den Händen des Produktionsteams von That’s life, einer vom BBC produzierten TV-Show. Nicholas wird in die Sendung eingeladen und gebeten, sich ins Publikum zu setzen. That’s life überrascht ihn mit Vera, einer Frau, die direkt neben ihm sitzt und die er als Kind gerettet hatte.
Er wird ein weiteres Mal in die Sendung eingeladen und die Moderatorin bittet die Anwesenden im Publikum aufzustehen, die ohne seine Hilfe heute nicht hier wären, die nicht überlebt hätten. Alle stehen auf! Ein bewegender Moment.
Am Ende des Films kommt Vera mit ihrer ganzen Familie zu Nicholas nach Hause zu Besuch. Eine große Familie mit Kindern und Enkeln. Sie stehen für so viele gerettete Leben.
Sind 669 Gerettete denn viel? Nun, die Nazis haben in der Tschechoslowakei 15.000 Kinder in die KZs abtransportiert, von denen nur 250 überlebten. Und im Film erfährt man, dass „seine Kinder“ – fünfzig Jahre später – mit Kindern und Enkeln auf 6000 Menschen angewachsen sind.
Der Kinofilm One Life feierte im September 2023 beim Toronto International Film Festival seine Premiere. Im Januar 2024 kam der Film in die Kinos im Vereinigten Königreich, in Deutschland Ende März 2024. Er schenkt Hoffnung für dunkle Zeiten.