Fixpunkte. Zum Commitment meiner Generation. Ausschnitt eines Mannes mit dem Blick nach oben gerichtet. Umgeben von abstrakten Formen.

Fixpunkte

Zum Commitment meiner Generation

Nachdem ich mir mal wieder genügend Witze über meine Zukunft als Taxifahrer angehört hatte, besuchte ich letztes Semester ein Seminar mit dem wohlklingenden Namen „Berufsperspektiven für Politikwissenschaftler“. Mit ca. 15 Studierenden tauschte ich mich ein Wochenende lang darüber aus, wie man mit unserer Ausbildung auf dem Arbeitsmarkt zu etwas kommt. Die Vorstellungen darüber, was ein guter Job ist, gingen weit auseinander.

Beim Versuch, die verschiedenen Präferenzen ein bisschen zu kategorisieren, konnten wir uns aber schnell auf zwei wichtige Elemente einigen: Unsere zukünftigen Berufe sollten genug Geld abwerfen, um den Rest unserer Lebensträume zu ermöglichen, und sie sollten uns Spaß machen und es ermöglichen, uns selbst zu verwirklichen. Völlig selbstverständlich fügte ich noch hinzu, dass mein Beruf eine sinnvolle Tätigkeit sein sollte, eine, die nicht nur ich interessant finde, sondern die anderen etwas nützt, die um ihrer selbst willen relevant ist. Ich musste überrascht feststellen, dass mein Vorschlag überhaupt nicht mehrheitsfähig war.

Das Einfachste wäre, es bei der hundertfach gestellten Diagnose der Unfähigkeit zur Hingabe in meiner Generation zu belassen, aufzuzählen, von welchen identitätsstiftenden Lebensaspekten sie sich zugunsten des schnöden Hedonismus verabschiedet hat, und anzuhängen, wie dienstbereit man früher noch dem Kollektiv verpflichtet war. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Wenn ich genau hinschaue, entdecke ich, dass Hingabe auch in meiner Generation ein wichtiges Thema ist. Den Unterschied macht der Fixpunkt, um den sich mein Leben dreht.

Nur weil das Ziel nicht mehr im gleichen Maße ist, das Gute und Richtige zu tun, nur weil es gut und richtig ist, kommen die Möglichkeiten zur Hingabe nicht abhanden. Auch Selbstverwirklichung erfordert Hingabe. Die Verwirklichung echten Individualismus ist viel mehr und viel anstrengender als die Suche nach oberflächlichem Glück oder kurzfristiger Befriedigung. Wir haben nicht mehr nur die Freiheit, uns selbst zu verwirklichen. Es ist eine Verpflichtung geworden, ein maßgeschneidertes Leben zu leben, alles Gestaltbare auch zu gestalten. Es geht nicht vorrangig um den eigenen Spaß, sondern um die Frage der selbst festgelegten Identität. Diese Frage ist, und da liegt vielleicht auch der wesentliche Unterschied zu älteren Generationen, zunächst weitgehend ungeklärt. Folgerichtig sind erst die Feststellung und dann die vollständige Entfaltung der eigenen Identität, nicht selten mit unwahrscheinlicher Zielstrebigkeit verfolgt, die Fixpunkte des Lebens geworden. Forschen tut man nicht für den Fortschritt oder der Wissenschaft wegen, sondern für einen positiven Eintrag auf LinkedIn.

Am politischen Prozess beteiligt man sich nicht wegen der Pflicht als guter Staatsbürger, sondern für Kontakte und Karriere. In Gesprächen, die ich mit Kommilitonen und Kommilitoninnen über das Konzept Ehe und Treue führe, bemerke ich, dass Treue nach wie vor ein wichtiges Konzept ist, „aber doch bitte nicht lebenslang. Warum sollte man eine Beziehung denn weiterführen, wenn sie einen nicht mehr glücklich macht?“ Wer könnte jemandem, der eine moralische Letztbegründung durch etwas anderes als das eigene Empfinden ablehnt, eine solche Position verübeln? Bei aller Aufopferungsbereitschaft für das eigene Leben gibt es kaum Bereitschaft, sich selbst hinter eine Aufgabe und ein höheres Ziel zurückzustellen.

Einen ganz anderen Eindruck bekommt man vor diesem Hintergrund von Aktionen wie denen der Gruppe „Letzte Generation“. Junge Menschen drücken in der Öffentlichkeit ihre Sorge um die Zukunft aus, gehen auf Demonstrationen oder kleben sich auf die Straße. Die Mitglieder nehmen bei ihren Aktionen teilweise empfindliche Strafen in Kauf, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, das ihnen wirklich wichtig ist. Egal, wie man das findet, eine gewisse Hingabe an das größere Ziel muss man der „Letzten Generation“ lassen. Oft drückt sich in ihren Aktionen aber auch einfach Verzweiflung darüber aus, dass der Mensch an seiner Verantwortung scheitert. Der Fixpunkt bleibt der unvollkommene Mensch.

In meinen Philosophiekursen habe ich mich mit verschiedenen Theorien des Relativismus und vielen Ideen, die man im weitesten Sinne als „postfundamentalistisch“ und „postmaterialistisch“ bezeichnen kann, beschäftigt. Alle ringen um die Befreiung des Menschen von objektiven, durch absolut feststehende Vorannahmen festgelegten Regeln. Ich habe noch keine Philosophie entdeckt, für die der Verzicht auf einen vorangenommenen Fixpunkt kein inhärentes Problem war. Alle kollidieren am Schluss mit dem Hindernis, dass die menschliche Fähigkeit zur Begründung von Wahrheit zu unvollkommen ist.

Der Unique Selling Point der Christen ist es, eine Antwort auf die Frage nach diesem Fixpunkt zu haben. Wir wissen, wer am Anfang steht. Wir können unsere Identität nicht nur in einem Prinzip begründen, sondern in einer Person, die sogar von sich aus Initiative zeigt und nach Beziehung mit uns sucht. Ein Gott, der immer war, ist und immer sein wird, kann zu unserem Fixpunkt werden.

In meinem studentischen Umfeld merke ich, dass es noch unzählige Möglichkeiten gibt, sich von diesem eigentlichen Kern der Hingabe ablenken zu lassen. Ein auf Selbstverwirklichung fokussierter Mensch hat Zugriff auf eine verwirrende Vielfalt von Gemeinden, Konfessionen, Gottesdienststilen und anderen Christen. Mich selbst hat das am Anfang meines Studiums zu jahrelangem „Church-Hopping“ bewogen. Ich wollte mich nicht festlegen, mich nicht einer Gemeinde mit all ihren Verpflichtungen hingeben, sondern die „perfekte Gemeinde für mich“ finden. Erschreckt stellte ich irgendwann fest, dass die Bibel mit Hingabe viel öfter das fordert, wofür meine Generation das Wort „Commitment“ eingedeutscht hat. Eine persönliche Herausforderung ist es für mich seitdem geworden, immer wieder zu prüfen, ob ich Hingabe im Sinne von Verbindlichkeit aufbringe, wo sie gebraucht und erwartet wird. Ich werde mich dazu aber niemals selbst motivieren können. Die Hingabe an Jesus Christus kommt immer zuerst. Dann kann das Gute und Richtige folgen.

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