Immer neu ein Ja. Charakterbildung ist kein Spaziergang. Zu sehen sind viele Fotos von jungen Menschen, dazu liegen viele zerrissene Briefe drumherum.

Immer neu ein Ja

Charakterbildung ist kein Spaziergang

Meine Reise zur Hingabe begann, als ich als junge Amerikanerin in Deutschland bemerkte, dass Freundschaften hier tiefer zu gehen scheinen. Es dauerte viel länger als ich es gewohnt war, echte Verbindung zu Menschen aufzubauen, und erst nach zehn Jahren, in denen ich Simone MEINE beste Freundin nannte und wir eine Krise in der Beziehung überstanden hatten, gab sie mir diesen Titel. Dann lernte ich meinen zukünftigen Ehemann kennen, der zu diesem Zeitpunkt das Scheitern seiner Ehe zu bewältigen hatte.

Erst nachdem er diese Krise überwunden hatte, verliebten wir uns ineinander. Wir heirateten und zwei Wochen später war ich schwanger. Vier Jahre und drei Fehlgeburten später hatten wir Mühe, an dem Versprechen Gottes festzuhalten, dass er uns zu Eltern machen würde. Doch dann schenkte uns Gott unseren Sohn Joshua und sechzehn Monate später unsere Tochter Hannah. Diese Zeit der Prüfung – und das Wunder unserer beiden Kinder – stärkte meinen Glauben und gab mir das Vertrauen zurück, wieder an seine wundersame Fürsorge glauben zu können.

Woher kommt die Kraft?

Die Kraft für eine langanhaltende, selbstlose Hingabe stammt nicht aus menschlicher Stärke oder Willenskraft, sondern einzig aus der lebendigen Beziehung zu Gott. Paulus formuliert es klar: Alles vermag ich durch den, der mich stark macht, Christus (Phil 4,13). Wenn wir uns in unseren Herausforderungen Gott anvertrauen und ihm täglich neu begegnen, entwickeln wir eine Charakterfestigkeit, die unabhängig von äußeren Umständen bleibt.

In Jesus selbst finde ich ein vollkommenes Vorbild für Hingabe. Sein Leben zeigt, was vollkommene Selbstaufopferung bedeutet: Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele (Mk 10,45). Die Hingabe, die Jesus verkörpert, fordert mich auf, Komfortzonen bewusst zu verlassen, um Gott und anderen zu dienen.

Hingabe erfordert täglich die Entscheidung, Gottes Pläne über persönliche Wünsche zu stellen. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb treffend: „Wenn Christus einen Menschen ruft, fordert er ihn auf, zu kommen und zu sterben.“ Dabei geht es nicht unbedingt um physisches Sterben, sondern darum, Selbstzentriertheit und Egoismus aufzugeben und Gott Priorität einzuräumen. In meinem Leben musste mein Ego oft sterben, damit ich den Menschen, die ich am meisten liebe, dienen konnte. Kein leichter Weg, aber im Rückblick so lohnend!

Treue in Zeitlupe

Hingabe wächst im Alltag durch beständige Treue. In den vergangenen zwölf Jahren erlebten wir dies intensiv bei der Pflege meiner Schwiegereltern. Als wir uns dazu entschlossen hatten, im Alter für sie zu sorgen, waren wir noch kinderlos. Einige Jahre und zwei Wunder später hatten wir kleine Kinder und mussten die schwierige Entscheidung treffen, meine Schwiegereltern aus ihrer Heimat in Remscheid in unser über vier Stunden entferntes Haus am Rande des Schwarzwaldes zu bringen. Mein Schwiegervater litt an fortgeschrittener Demenz und die beiden kamen nicht mehr alleine zurecht. Gott half uns, ein geeignetes Haus zu finden, in dem sie eine eigene Wohnung im Erdgeschoss bewohnen konnten.

Wir pflegten meinen Schwiegervater, bis er vierzehn Monate später starb. Meine Schwiegermutter trauerte tief um ihren Mann, mit dem sie 62 Jahre verheiratet gewesen war. In den folgenden Jahren beobachteten wir erstaunt, wie Gott ihr half, an diesem neuen Ort Freundschaften und neue Lebensfreude zu finden. Sie ging jeden Sonntag mit uns in den Gottesdienst, obwohl sie zu dem Zeitpunkt nicht gläubig war. Im Alter von 82 Jahren hat sie sich bekehrt und taufen lassen! Vor sechs Jahren verschlechterte sich ihre Gesundheit dramatisch. Diese Phase erforderte unsere Aufmerksamkeit, Geduld und Hingabe in einem Maß, wie wir es zuvor nicht kannten. Unser Alltag drehte sich vollständig um ihr Wohlergehen. Die tägliche Pflege, die Arztbesuche und die Sorge beanspruchten alle unsere emotionalen Ressourcen. Als sie dann nach kurzer Erkrankung heim zu Jesus ging, spürte ich die Last der Verantwortung von meinen Schultern fallen. Mir wurde plötzlich bewusst, wie viel wir über so viele Jahre getragen hatten.

Charakter wächst nur langsam

Unser geistliches Leben und unsere Hingabe lassen sich mit dem Wachsen eines Baumes vergleichen. In unserem geistlichen Eifer sprechen wir gefährliche Gebete wie: „Schaffe in mir ein treues Herz“ oder „Lehre mich Geduld“. Wissen wir eigentlich, worum wir bitten? Die Saat unserer Gebete wird in unsere Herzen gepflanzt. Mit der Zeit gibt es ein Pflänzchen, dann einen jungen Baum, aber wir sind noch weit von den Früchten entfernt. Uns werden Menschen und Lebensumstände anvertraut, um die wir nicht gebeten hatten (oder doch?), und die jungen Bäume werden heftigen Stürmen ausgesetzt. Charakter bildet sich nicht in windstillen Zeiten, sondern gerade in den stürmischen Phasen des Lebens. Wie ein Baum starke Wurzeln entwickelt, wenn er Stürmen trotzt, formen sich Geduld, Treue und Hingabe durch herausfordernde Umstände, in denen wir uns Gott vertrauensvoll zuwenden.

Und so wie junge Bäume regelmäßig gepflegt werden müssen, damit sie in späteren Jahren stark und widerstandsfähig stehen können, brauchen auch wir starke Gemeinschaften, die uns in schwierigen Zeiten Halt und Unterstützung geben. Alleine sind wir oft nicht stark genug. Doch mit Menschen, die mit uns beten, uns ermutigen und auch korrigieren, wachsen wir zu einem Charakter heran, dessen Stärke in Gottes Wahrheit verwurzelt ist.

Keine Umwege

Der Apostel Paulus beschreibt den Prozess der Charakterbildung klar in Römer 5,3-4: Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Es gibt keine Umwege. Diese Eigenschaften werden Entscheidung für Entscheidung geformt, in jeden Schritt müssen wir vertrauensvoll einwilligen. Dabei würden wir so gerne um die Ecke in die Zukunft sehen, um zu sehen, welche Belohnung sich da verbirgt. Aber wenn wir sein Wort lesen und Zeit mit ihm verbringen, schüttet Er seine Hoffnung in unsere Herzen aus.

Um dauerhaft hingebungsvoll leben zu können, brauchen wir Gottes Kraft und stetige Erneuerung. Jesaja 40,31 gibt uns diese Zusage: Die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, wandeln und nicht müde werden. Nur Gottes Kraft ermöglicht es uns, langfristig zu dienen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich dieser Verheißung nicht immer geglaubt. Oft war ich im Hamsterrad der Geschäftigkeit gefangen, meinte, dass alles von mir abhängt, habe geschnauft und gejammert, dass diese Aufgabe meinem Naturell gar nicht entspricht. Ich bin zu selten an den Tisch der Gnade getreten, um mich an den Gnadengaben zu laben, aber wenn, fand ich nicht einen strafenden, enttäuschten Gott vor, sondern nur Verständnis und das Angebot, ihm wieder neu zu vertrauen.

Zum Schluss

Eine atemberaubende Erkenntnis habe ich in den letzten Jahren gewonnen: Die Früchte des Geistes sind nicht in erster Linie für mich! Wenn ich, wie ein Baum, meine Wurzeln in Jesus immer tiefer einwachsen lasse, wenn ich mich hingebungsvoll um meine Mitmenschen kümmere und den Stürmen des Widerstandes trotze, beginne ich eines Tages zu blühen und es wachsen Früchte heran, die ANDERE Menschen genießen können. Kein Baum isst seine eigenen Früchte! Das, was sich so mühevoll in mir geformt hat, ist das, was unsere Welt braucht! Wenn wir unser Leben als lebendiges Opfer hingeben, profitieren eines Tages andere von der reichen Ernte. Sie dürfen den Geschmack des Himmels kosten! Das ist die Zutat, die diese Welt nachhaltig verändert. Diese Sicht motiviert mich, noch hingebungsvoller zu leben. Ich bete, dass mein Herz und meine Hände offenbleiben für kommende, auch schwierige Aufgaben und dass Gott eines Tages sagen möge: „Gut gemacht, meine treue Dienerin.“

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