Ölgemälde: St. Paul Preaching on the Areopagus von Leonard Porter

Sei keine So-da-Brücke!

Apologetik braucht Begegnung

Predigt zu Apg 17,16ff

Wisst ihr, was So-da-Brücken sind?
So-da-Brücken werden Brücken genannt, die einfach nur so dastehen. Allein in Deutschland gibt es Dutzende davon. Brücken, die aufgrund von Planungsfehlern gebaut wurden und jetzt im besten Fall nur noch eine einzige Funktion haben: Sie bringen Menschen wie mich zum Lachen.
So-da-Brücken entstehen erstens, wenn der Zweck für die Brücke nicht geklärt ist. Und zweitens, wenn die gegenüberliegende Seite nicht im Blick behalten wird. Wenn einfach losgebaut wird und die Brücke nicht auf ihr Ziel trifft, verfehlt sie jede Funktion.
Welche Brücken wollen wir als Christinnen und Christen, als Nachfolger Jesu bauen? Wen wollen wir verbinden?

Warum brauchen wir Brücken?

Der Apostel Paulus hat diese Frage für sich geklärt, bzw. sie wurde für ihn geklärt. Durch eine entscheidende Erfahrung, durch die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus. Paulus ist nicht Verfechter einer Theorie, die er irgendwie an den Mann bekommen möchte, sondern er erzählt, was er selbst erlebt hat. Er verkündet eine Person. Seine Motivation, anderen von diesem Jesus zu erzählen, ist so stark, dass sie ihn bis nach Athen bringt. Einen Ort, an dem er niemanden kennt. An dem kein Mensch weiß, wen er meint, wenn er „Jesus Christus“ sagt.

Wie baut Paulus Brücken?

In der Apostelgeschichte steht, dass Paulus auf den Marktplatz ging und die gute Nachricht von Jesus und von der Auferstehung verkündete. Darum geht es ihm. Paulus weiß, warum. Das ist das eine. Das andere ist: Paulus behält die andere Seite, die Menschen, zu denen er spricht, im Blick. Paulus schaut hin. Er hört hin. Er liefert ein Meisterstück in Sachen Kommunikation, von dem wir viel lernen können.

Paulus sagt zu seinen Gesprächspartnern: „Nach allem, was ich sehe, seid ihr sehr fromme Leute.“ Das ist empathisch und wertschätzend. Obwohl sein „fromm“ etwas ganz Anderes meint, lässt er ihnen ihres. Dann sagt er: „Ich bin durch die Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angeschaut.“ Er zeigt echtes Interesse an der Welt seiner Zuhörer.
Weiter sagt er: „Dabei habe ich auch einen Altar gefunden, auf dem stand: ‚Für einen unbekannten Gott‘.“ Er benennt konkrete Beispiele und belegt, dass er sich wirklich umgeschaut hat.

Paulus kennt Kultur und Geschichte seiner Zielgruppe und sagt: „Oder wie es einige eurer Dichter gesagt haben: ‚Wir sind sogar von seiner Art‘.“ Das ist brillant. Paulus zitiert aus dem Bauch heraus den Zeushymnus des griechischen Dichterphilosophen Kleanthes, einen Text, den seine intellektuellen Gesprächspartner natürlich kennen.
Jetzt verbindet Paulus diese Aussage mit seiner jüdisch-christlichen Schöpfungstheologie. Wow. Was für ein Gesprächspartner!

Das bleibt nicht ohne Wirkung bei den Athenern, den Epikureern und Stoikern – der intellektuellen Elite im Epizentrum antiker Philosophie und Geisteswissenschaft. Paulus fährt fort und baut inhaltlich eine Brücke auf der Ebene, die ihn selbst und die anderen hundertprozentig miteinander verbindet: „Wir sind Menschen“. Sind wir doch, oder? „Ja klar, wissen wir“, sagen die schlauen Philosophen. „Wir haben uns nicht selbst gemacht, oder?“ „Nein, haben wir nicht“, sagen auch die Athener. „Und wir fragen uns alle, wo wir herkommen und wo wir hingehen?“ „Ja“, sagen die Athener. Kein Widerspruch.

Zwei Grenzen

Wir nehmen wahr: Unser Leben ist von zwei Grenzlinien markiert. Es gibt einen Anfang und es gibt ein Ende. Weder Stoiker noch Epikureer halten viel von der Unsterblichkeit. Sie nicken schon etwas vorsichtiger. Aber sie sind neugierig.
Paulus fährt fort: „Ich bin heute hier, um über diese beiden Grenzen mit euch zu sprechen.“ Sie markieren die Fragen, die uns und den Rest der Menschheit auch heute verbinden. Warum gibt es mich? Und wohin gehe ich?

Der Mensch ist ein Suchender und er fragt immer nach dem Wovonher und dem Woraufhin, so formulierte es der katholische Theologe Karl Rahner. Diese Frage muss ihn über sich selbst hinausführen: Selbst, wenn wir das, wonach wir suchen, nicht Gott nennen, sondern ein anderes Wort benutzen, andere Götter, Ideale oder Prinzipien, oder auch, wenn wir so tun, als ließen wir die Frage offen. Am Ende bleibt, dass der Mensch selbst „die Frage nach Gott ist“.

Woher?

„Ihr seid nicht so weit weg“, sagt Paulus. „Ihr habt einen Altar für den ‚unbekannten Gott‘ errichtet, ihr verehrt ihn. Ich möchte euch sagen, wen ihr da verehrt, ohne ihn zu kennen.“ Jetzt spricht Paulus über die erste Grenze: Wisst ihr, wer am Anfang war? Der Gott, der uns alle gemacht hat. Nicht anders herum. Er wollte, dass es dich, dass es mich gibt. Wir sind ins Leben gerufen. Und nicht nur wir, sondern alles, was lebt. Deshalb, ihr lieben Philosophen, ergibt es keinen Sinn, dass wir Bilder aus Gold, Silber oder Stein anfertigen, um sie dann anzubeten. Wenn er doch uns selbst angefertigt hat.

Paulus steht in der Mitte des Areopags, dieses geschichtsträchtigen Ortes griechischer Machtdemonstration, und verkündet den Athenern: „Dieser Gott, den ihr kennt und doch nicht kennt, ist größer als wir.“ Er ist größer als alle Menschen, als alle Sorgen, als jede Krankheit, als jede noch so ausweglose Situation. Dieser Gott ist größer als alle Vernunft.
Die Philosophen hören von Paulus, dass dieser Gott will, dass die Menschen nach ihm suchen, denn er ist keinem von uns fern.

Paulus verkündet keine Moral, keine bestimmte Lebensführung, keine Do‘s and Dont’s. An anderer Stelle tut er das auch, aber nicht bei diesem Versuch, eine Brücke zu schlagen. Er spricht von „uns“. Von den „Menschen“. Er ist keinem von uns fern – wir können diesen Gott entdecken, der uns allen nahe ist.

Paulus redet frei und selbstbewusst über die Gegenwart Gottes in dieser Welt und baut damit eine Brücke. Könnten wir das nicht auch tun? Im guten Marketing heutzutage weiß man ja längst: Alles steht und fällt damit, wie überzeugt ich von meinem eigenen Produkt bin!

Warum nicht anders fragen?

Vor eineinhalb Jahren wurde die neueste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD veröffentlicht. Neben der Erkenntnis, dass die Kirchenmitglieder zum ersten Mal weniger als 50% der Bevölkerung stellen, wurde ein Ergebnis der Untersuchung immer wieder kommuniziert. Zwei Drittel der noch vorhandenen evangelischen Kirchenmitglieder und drei Viertel der katholischen Kirchenmitglieder tendieren zum Kirchenaustritt. Warum wird danach überhaupt gefragt? Könnte es nicht sein, dass Leute durch diese Frage erst auf die Idee kommen? Kann irgendjemand mit dieser Info etwas Positives anfangen?

2022 wurde in Großbritannien eine ähnliche Studie veröffentlicht. „Glaube und Religiosität im Vereinigten Königreich.“ Die groben Daten sind denen in Deutschland ziemlich ähnlich. Knapp unter 50% der Bevölkerung sind Mitglied einer christlichen Kirche, Tendenz weiter abnehmend. Der große Unterschied lag in der Kommunikation nach außen. Der erste Satz auf der Website zu der Studie lautet: 53% der Nicht-Christen in unserem Land kennen eine praktizierende Christin oder einen praktizierenden Christen – zwei Drittel der Gruppe kennen diese Person sogar sehr gut. „This is great news for us“ – sagen die Leiter der Studie. 53% der Nicht-Christen haben Zugang zu einer Jesus-Person. Sie sind nicht weit weg vom Evangelium. Was für eine Chance! Die Studie wurde übrigens nicht „Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung“ genannt, sondern einfach „Talking Jesus“.

Wohin?

Paulus erster Brückenkopf zu seinen Zuhörern ist unser gemeinsamer Anfang, unsere Herkunft, unsere Zugehörigkeit. Die zweite Grenzlinie, an der niemand vorbeikommt, ist unser Ende. Das mit jeder Minute näher rückt, und vielleicht nur noch eine Stunde oder vielleicht auch Jahrzehnte entfernt ist. Auch wenn viele Menschen nicht gerne über das Sterben nachdenken, kann man sich dieser Frage nicht einfach entziehen.

Paulus spricht die Athener darauf an, aber nicht, indem er eine Rede von einem ewigen Fluss der Dinge dagegensetzt – das wäre den Griechen gar nicht so unbekannt gewesen. Er spricht auch nicht von der Unendlichkeit oder Unsterblichkeit der Seele.
Paulus spricht von Auferstehung. Von der Auferstehung der Toten. Und davon, dass Gott seinen Sohn in diese Welt brachte, um die Grenze des Todes zu überwinden. Er hat damit dem Tod die Macht genommen. Die Perspektive für die Menschen ist Auferstehung. Überwindung des Todes. Neues Leben. Ein neuer Anfang. Für die Athener, immer auf der Suche nach etwas Interessantem, sind das tatsächlich echte Neuigkeiten.

Über die Brücke?

Aber mit der Lehre der Auferstehung, mit dieser Hoffnung, die durch einen lebendigen Gott entsteht, verlässt Paulus auch den Bereich der Gemeinsamkeiten, der ihn mit seinen Gesprächspartnern verbindet. Die Reaktionen der Athener fallen deshalb auch unterschiedlich aus. Wir lesen von drei Gruppen:
Für die erste Gruppe sind diese Gedanken so neu, so anders, dass es ihnen zu viel wird. Sie lachen über Paulus – eine klassische Reaktion der Überforderung. „Auferstehung, was?“
Eine zweite Gruppe lacht nicht, aber braucht jetzt erst mal eine Pause – verständlicherweise. Diese Leute sagen zu ihm: „Darüber wollen wir ein andermal mehr von dir hören!“ Eigentlich eine gute Reaktion, zivilisiert, freundlich, der Faden ist nicht abgerissen – vermutlich der wertschätzenden Art und Weise geschuldet, in der Paulus mit ihnen kommuniziert hat. Sein Interesse an ihnen hat verhindert, dass die Tür ins Schloss fällt. Das Gespräch wird an anderer Stelle wieder aufgenommen. Wenn man aufgrund von Differenzen nicht weiterkommt, dann ist Pausieren gut.
Dann gibt es noch eine dritte Gruppe. Von der heißt es: „Sie kamen zum Glauben und schlossen sich ihm an.“ Irgendetwas traf sie und sie fanden Zugang zu dieser Hoffnung, die in Jesus liegt. Vielleicht die Hoffnung auf einen Neuanfang, oder die Hoffnung auf Überwindung – auch der letzten Grenze. Sie konnten zum ersten Mal Vertrauen fassen zu einem Gott, der diese Welt und alles Leben schafft. Und der ihnen schon immer nahe war.

Was nun?

Wie hören wir diese Geschichte als Nachfolgerinnen und Nachfolger von diesem Jesus? Wie können wir Brücken schlagen, um andere zu erreichen? Oder sind wir vielleicht gar nicht auf der Suche nach Tipps, wie wir selbst gut kommunizieren können? Was ist die gute Nachricht für uns, hier und heute?
Die gute Nachricht: Gott baut keine So-da-Brücken. Ihm ist der Zweck seiner Brücke zu uns sonnenklar: Er möchte uns erstens bei sich haben. Und zweitens behält Gott die andere, die menschliche Seite immer im Blick. Er ist keinem von uns fern und baut und baut, bis er am Ziel ist, bis er punktgenau bei uns landet. Diese Erfahrung, dass er zu uns kommt, dass seine Güte jeden Morgen neu ist, die brauchen wir – jeden Tag.

Wir sprechen ganz menschlich immer von Brücken, die von zwei Seiten gebaut werden und sich in der Mitte treffen – wenn es klappt. Bei der Brücke zwischen Gott und uns Menschen ist das vollkommen anders. Diese Brücke wird von einer Seite gebaut. Bis sie ganz bei uns ist. Wir können nichts dazu beitragen. Uns unterscheidet nichts von den ahnungslosen Epikureern und Stoikern auf dem Areopag. Am Ende sind wir darauf angewiesen, dass wir erreicht werden, dass uns etwas trifft, berührt und dann, ja, auch überzeugt.

„Jesus wurde in allem den Menschen gleich“, schreibt Paulus. „In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.“ Er kam zu uns. Nicht andersherum.
Er lebte unser Leben. Er starb unseren Tod. Und deshalb gewinnt er unser Vertrauen. Er zieht uns zu sich – aus lauter Güte und Liebe (Jeremia 31,3). Und diesen Jesus verkündigen wir – in der Hoffnung, dass er anderen auch begegnet.

Zwei völlig unterschiedliche Brücken?

Haben die Brücke zwischen den anderen Menschen und mir und die, zwischen Gott und mir überhaupt etwas miteinander zu tun? Vielleicht gehören die beiden Brücken viel enger zusammen, als wir manchmal meinen. Wen diese Botschaft der bedingungslosen und unverdienten Zuwendung Gottes wirklich erreicht hat, wer im Tiefsten überzeugt sein kann, dass er tatsächlich nichts dazu beigetragen hat, diese Liebe zu erhalten; der glaubt, dass er wirklich „allein aus Gnade“ gerettet ist; der weiß, dass Gott die ganze Brücke baut; der aus Gnade und Dankbarkeit lebt und der ahnt, dass er keinen Vorsprung gegenüber anderen Menschen hat, den er sich irgendwie selbst zuschreiben könnte. Der hat das Potential für Demut und für Geduld. Der kann glauben, dass Gott auch dem anderen Geschöpf nahe ist, dass er mir durch dieses andere Geschöpf sogar begegnen möchte. In dieser Haltung können Brücken zu Menschen entstehen, die an einem anderen Punkt sind als wir.
Paulus fasst es an einer Stelle ganz knapp zusammen:

Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
(1 Korinther 15,10)

Das ist der Startpunkt für jede Brücke.
Amen.