Rund wie die Seifenblase
- Was ist das Merkmal dieser Seifenblasen, dieser Bubbles?
- Einatmen
- Überbrücken
- Transparent sein
- Wachsen
Das Motto für unser Jahresfest an Himmelfahrt hieß überBrücken. Ein Wort, aus dem Willen und der Suche geboren, in einer Zeit zunehmender Polarisierung die Brücke zum anderen zu bauen, in Verbindung zu bleiben trotz unauflösbarer Unterschiede. Es ist im Grunde doch so: Nicht nur im Umgang miteinander suchen wir Brücken, unser ganzes Leben besteht aus Brückenerfahrungen, wir sind jeden Tag herausgefordert, den Fuß auf wackligen Untergrund zu setzen und unbekanntes Land zu betreten. Wir müssen täglich Abgründe der Ungewissheit überbrücken. Das verbindet alle Menschen, das ist die Erfahrung in jedem Menschenleben.
Was ist der Beitrag unserer christlichen Hoffnung für den Brückenbau zu anderen Menschen? Was könnte das Alleinstellungsmerkmal sein von Christen in dieser Welt?
Wir Christen erleben uns manchmal wie in einer Bubble: Und das sehen wir als Nachteil. Die Herausforderung ist also: Raus aus der Bubble! Aber wo hinein? Ich möchte das Bild der Bubble mal anders einordnen.
Wo Christen leben, entsteht um sie herum ein Raum der Gnade. Diese Gnaden-Bubble dient nicht der Aus- oder Abgrenzung, sondern sie wird ein einladender Raum. Die Bubble als Raum der Gnade. Diesen Begriff habe ich übrigens vom Schweizer Theologen Paul Bruderer ausgeliehen, der Gemeinde so beschreibt.
Ein paar dieser Merkmale passen ganz gut zu unserer christlichen Bubble als Raum der Gnade:
Was ist das Merkmal dieser Seifenblasen, dieser Bubbles?
- Sie sind von einer Haut umgeben,
- sie umschließen bei kleinstmöglichster Oberfläche den größtmöglichen Raum,
- sie sind transparent,
- sie sind durchlässig,
- sie platzen schnell,
- sie sind federleicht,
- sie schillern in allen Farben und sie bestehen aus simplen Zutaten.
Die leichte Haut, die die Blase erst zur Blase macht, die ihr Gestalt gibt, ist dem Inneren ganz nahe, umschließt es ganz. So nah ist uns Gott! Er, der uns umgibt und unserem Leben Form gibt. Ohne diese leichte Haut, die das Innere umschließt, bleibt nichts als ein formloser, feuchter Tropfen. Einem Vogelschiss ähnlich – nichts, was die Welt braucht. Die Nähe Gottes in Christus – das ist das Geheimnis, das unser Leben zum Strahlen bringt. Das ist das, was den formlosen Tropfen zur schillernden Kugel macht. Diese Hülle kann leicht platzen.
Wie entsteht sie neu? – Durch Pusten, eine Seifenblase braucht unseren Atem.
Einatmen
Ruach, der Heilige Geist, belebt uns wieder, wenn wir das Gefühl haben, die Nähe zu Gott verloren zu haben, wenn wir denken, da ist jetzt was geplatzt. Gott blies dem Menschen seinen Atem ein und der Mensch wurde eine lebendige Seele. Das tut er wieder und wieder. Nach jedem Platzen bringt uns Gottes Hauch wieder in Form.
Das nächste Merkmal der Seifenblase: Sparsamkeit. Das ist nun ein seltsamer Begriff. Gemeint ist damit, dass die Seifenblase bei kleinstmöglicher Oberfläche den größtmöglichen Raum umschließt. Was heißt das für uns als Christen? Was ist der größtmögliche Raum?
Der größtmögliche Raum ist der Raum der Gnade. Größer geht gar nicht.
Was ist die kleinstmögliche Oberfläche? Was sollte am wenigsten Raum einnehmen bei uns? Das ist das, was wir an Regeln, Gewissheiten, To-dos und No-gos raushauen. Das sollte möglichst klein sein, um mehr Innenraum zu ermöglichen. Wie schnell nimmt gerade dieses Regelwerk einen riesigen Raum ein – und verdrängt das Eigentliche. Zinzendorf hat mal gesagt: In den großen Dingen Einheit, in den kleinen Freiheit, in allem die Liebe.
Überbrücken
Ich gestehe: Meine eigenen Überzeugungen und Prägungen lassen immer wieder wenig Raum für die Gnade. Ich habe dann kein Interesse am Brückenbau.
Und in der Regel sind es nicht mal die Menschen mit einem ganz anderen Lebensentwurf, die „Ungläubigen“, zu denen ich keine Brücke hinkriege, oft sind es meine christlichen Brüder und Schwestern, die etwas an sich haben, die ihren Glauben so ausdrücken und leben, dass ich nicht mitkann, dass es mir fremd ist, dass ich skeptisch darauf blicke. Das erlebe ich an mir selbst immer wieder: Ich krieg dann so eine innere Hab-Acht-Haltung, wenn ich mit Christen anderer Prägung zusammen bin. So einen Vorbehalt. Einen Willen, mich davon abzugrenzen. Mit denen nicht in eine Ecke gestellt zu werden. Meine Einteilung in richtig oder falsch geschieht dann ganz schnell und automatisch. Ich bin auf jeden Fall bei „richtig“.
Das ist ein altes Problem und hat schon im Jahr 325 die verschiedenen Kirchen an einen Tisch gebracht: Ziemlich genau auf den Tag heute vor 1700 Jahren suchten die Vertreter der verschiedenen christlichen Prägungen eine Formulierung, um den Kern des christlichen Glaubens in Worte zu fassen. Herausgekommen ist das Nizäische Glaubensbekenntnis. Den Inhalt des Glaubens kondensiert auf die kleinstmögliche Oberfläche, die den größtmöglichen Raum umschließt. Ein Zeugnis des Brückenbaus aus dem Jahre 325.
Brücken bauen. Damit Räume der Gnade entstehen. Die Frage ist ja: Wie lange halten wir es wirklich aus, Menschen nahe zu sein und ihr Schritttempo, ihre Denkweise stehen zu lassen? Nur in einem Raum der Gnade aber können Menschen wachsen und reifen – ich auch. Wachsen ist ein lebenslanger Prozess. Wachsen und reifen im Raum der Gnade ist das, was wir alle nötig haben und täglich erleben können. Und dabei wissen: Die eigentliche Bewegung geht ja nicht von uns aus, sie geht vom Heiligen Geist aus. Er bewegt Menschenherzen. Meins und deins. Beide haben es nötig.
Transparent sein
Eine weitere Eigenschaft: Transparenz. Das eigentlich Schöne an den Seifenblasen ist ihre schillernde Transparenz. Sie sind lichtdurchlässig, sie sind wunderschön und schillern in allen Regenbogenfarben. Wie transparent sind wir? Ich erwische mich selbst immer wieder dabei, dass ich vor lauter „Ich will niemandem zu nahe treten“-Bestrebungen meine Aussagen über den Glauben dermaßen verschwurbele und verwische, dass Eindeutigkeit und Transparenz verloren gehen.
Es ist eine schlichte Wahrheit, das Evangelium von Jesus Christus.
Einer starb für dich und für mich. Er ist auferstanden – das Alte ist vergangen, siehe, er macht alles neu.
Diese Wahrheit soll uns durchleuchten und in ihrer Schönheit anziehend wirken. Wenn das Geheimnis „Christus in uns“ ist, dann soll dieser Christus sichtbar sein, durchscheinen. Dann will ich transparent sein, eine saubere Scheibe haben. Wie geht das? Für Dietrich Bonhoeffer bedeutet transparent sein nicht nur Ehrlichkeit und Offenheit, sondern auch die Bereitschaft, eigene Überzeugungen und Handlungen zu hinterfragen und zu diskutieren. Wow. … nicht nur Ehrlichkeit und Offenheit, sondern auch die Bereitschaft, eigene Überzeugungen und Handlungen zu hinterfragen und zu diskutieren.
Wenn meine Meinungen sich vor Gottes Wahrheit schieben, dann verdunkelt sich meine Transparenz, dann werde ich lichtundurchlässig. Die freimachende Wahrheit ist: Wir sollen nichts verbergen, weil wir nichts zu verbergen haben. Das Geheimnis ist: Christus in uns!
Wachsen
Räume der Gnade. Gnade, was für ein schönes Wort. Es wird hergeleitet von „genade“, sich niederlassen, nahe sein. Es hat zu tun mit der unverdienten Hinwendung Gottes. Wo Räume der Gnade entstehen, hat Gott sozusagen eine Niederlassung. Wenn Gemeinden, Hauskreise, Nachbarschaften, Familien ein Raum der Gnade sind, bedeutet das:
Ein Raum des zur Ruhekommens, ein Raum, wo Gott sich niederlässt, ein Raum, in dem ich mich Gott nahen kann, wo er sich mir naht, wo wir uns annähern. Ein Raum der verzeihenden Güte, der Nachsicht, der Schonung, der Barmherzigkeit Gottes, ein Raum der Vergebung, des Wohlwollens.
Nicht schlechthin alles gutheißen, nein, diese Gnade ist nicht billig, sie hat Jesus das Leben gekostet. Gnade kostet auch mich etwas. Gnade beinhaltet die Aufgabe, zu wachsen. Inklusive Wachstumsschmerzen. Aber: Wachstum und Entwicklung gehören zu den sechs Grundeigenschaften des Lebens. Es wäre brutal, das jemandem abzusprechen. Nein, du kannst nicht mehr wachsen, du kannst dich nicht entwickeln, du bist halt so, du wirst so bleiben – sorry, gell.
Vielleicht ist die Brücke zum anderen die Ahnung, wie es auch sein könnte. Die Sehnsucht, was vielleicht auch noch werden könnte. Bei dir und bei mir. Auch ich lebe davon, jeden Tag neu anfangen zu können.
Am Anfang des Jahres haben wir uns in der Kommunität Gedanken gemacht, was wir als OJC in diesem Jahr verkörpern wollen. Zwei Worte sind dabei besonders ins Zentrum geraten: Verbundenheit und Versöhnung. Ich finde, das sind zwei echte Brückenworte. Die Brücke ermöglicht eine Verbindung zwischen zwei auseinanderliegenden Ufern, zwischen den Polen Plus und Minus, zwischen Alt und Jung. Verbundenheit hilft überbrücken. Schafft Versöhnung. Das Wort der Versöhnung zwischen Nationen, Generationen und Geschlechtern geht von Anfang an mit der OJC mit.
Kardinal Schönborn hat mal gesagt:
Wer weite Brücken bauen will, muss feste Pfeiler haben. Verbundenheit und Versöhnung sind solche festen Pfeiler. Sie ermöglichen den Brückenbau zum anderen.
Die Seifenblasen heute haben uns gezeigt, was Christen der Welt zu geben haben: Einen Raum der Gnade, Räume des Wachstums, eine Niederlassung Gottes, Transzendenz und Transparenz für Gottes Licht und Wahrheit.
Anfangs habe ich gesagt: Raus aus der Bubble – aber wo hinein?
Wie wäre es mit: Raus aus der Bubble, rein in die Weite der Gnade.
Mein Tipp:
Ein Seifenblasenröhrchen in die Tasche stecken und bei Bedarf großer Gnade kurz pusten. Dann erinnern wir uns: Ach ja, raus aus der Bubble, rein in die Weite der Gnade.