Vom Nehmen und Geben der Generationen
Nicht nur zwischen den Kulturen liegen Welten, sondern oft auch zwischen den Generationen. Das Potenzial für Missverständnisse, enttäuschte Erwartungen, das Unvermögen, das Eigene zum Ausdruck zu bringen, lauert nicht nur in der eigenen Ehe, sondern auch im Miteinander von Jung und Alt.
Editorial
Was ein alter Mann vom Boden aus sieht, kann ein Junge nicht sehen, selbst wenn er auf einem Berg steht.
– Afrikanisches Sprichwort
Liebe Freunde,
im Umgang miteinander stößt man auf geschriebene und ungeschriebene Gesetze. Der Verhaltenskodex „Blick einem älteren Mann nicht in die Augen“ brannte sich mir, dem Missionarskind unter den Setswana in Südafrika, tief ins Gewissen ein. Der direkte und anhaltende Blick in die Augen eines älteren Gegenübers galt als Affront, der gesenkte Blick als Zeichen der Ehrerbietung und Wertschätzung. Wer vom Alter her mein Vater hätte sein können, den sprach ich mit „ntate“ (Vater) an, und die deutlich ältere Frau hieß „mmemogolo“ (Großmutter). So war es richtig.
Mit 19 Jahren landete ich in Deutschland und alles war falsch: Nicht in die Augen schauen galt als respektlos – „Hat der junge Mann etwas zu verbergen?“ – und mit Vornamen anreden war irgendwie normal. Ganz schön durcheinander für meine Verhältnisse.
Zwischen den Welten
Nicht nur zwischen den Kulturen liegen Welten, sondern oft auch zwischen den Generationen. Das Potenzial für Missverständnisse, enttäuschte Erwartungen, das Unvermögen, das Eigene zum Ausdruck zu bringen, lauert nicht nur in der eigenen Ehe, sondern auch im Miteinander von Jung und Alt. Die Gefahr, sich zu „vergegnen“, ist groß und das fruchtbare Geben und Nehmen alles andere als selbstverständlich.
Begegnen statt vergegnen
Wie gelingt das Miteinander? Was stärkt das Band und was baut Brücken zueinander? Der Rabbiner Abraham J. Heschel formuliert es treffend-poetisch: „Das wirkliche Band zwischen den Generationen besteht in gemeinsamen Erkenntnissen, in Augenblicken innerer Erfahrung, in denen sie sich begegnen.“ Diese innere Erfahrung machen wir, wo wir uns auf Herzensebene (Maleachi 3,24), in Achtung und in Liebe begegnen. Wie fragil und unverfügbar diese Ebene ist, erleben wir als Gemeinschaft immer wieder.
Das Staffelholz übergeben
Kaum ein Ereignis hat mich so tief berührt: Die OJC-Gefährten haben mir, dem jüngsten Kommunitätsmitglied, vor acht Jahren die Leitung der Gemeinschaft anvertraut. Nicht meine Kompetenz wurde abgefragt, sondern das Vertrauen als Vorschuss und der Segen als Verheißung ausgesprochen. Das trägt und prägt mich im Amt bis heute. Unter diesen Vorzeichen üben wir loslassen, abgeben und empfangen. Das Staffelholz zu übergeben zeigt, dass es nicht unser Hände Werk
(Ps 90,17) ist, sondern Gottes Sache selbst. Der Empfangende erfährt, dass er seinen Platz und sein Kapital einer vorangegangenen Generation verdankt. Was uns die Bibel dazu mitgibt und wie wir als Gefährten, die aus unterschiedlichem Holz geschnitzt sind, das Miteinander und die Übergänge gestalten, daran geben wir in diesem Heft zeugnishaft Anteil.
Vollgetankt mit Dank
Unser Dank-Tank ist voll! Dankbar schauen wir auf das vergangene Jahr und danken Euch von Herzen, dass auch Ihr in diesen durcheinandergeratenen Zeiten mit Rat, Tat und Gaben an unserer Seite geblieben seid. Das ermutigt uns, die Verheißungen ernstzunehmen, unseren Zukunftsprozess zu gestalten und neue Projekte beherzt anzugehen. Davon im nächsten Heft mehr, bleibt dran!