Frage mich! – Frage dich!

Gespräche über den gemeinsamen Auftrag

Unterbrechungscharisma. Martin Richter fragt Hermann Klenk

Was ist für dich das unverzichtbare Charisma, das dich in die OJC berufen und hier behalten hat?

Hermann: Angezogen hat mich die Erfahrung, dass Menschen wichtiger sind als Dinge. Das habe ich im Dezember 1969 auf einer OJC-Konferenz erlebt. Damals hat sich ein Mitarbeiter Zeit für mich und meine Fragen genommen und dabei auf sein Mittagessen und die Vorbereitung des nächsten Vortrags verzichtet.
Dieses Gespräch hat mein Leben neu
geordnet, Befreiung geschenkt und Veränderung angestoßen.

Später, in einer Zeit der Stille und des Gebets, hat Gott mich als Architekten ermutigt: Nimm dir Zeit für deine Mitarbeiter! Daraus wurde dann wöchentlich eine Kaffeepause mit gegenseitigem offenem Erzählen, egal ob über Beziehungsprobleme oder Handballsorgen. Eine neue Atmosphäre des Vertrauens entstand. Unser gemeinsames Arbeiten wurde fröhlicher und produktiver. In dieser Zeit habe ich auch an Wochenenden auf Konferenzen und Veranstaltungen der OJC mitgearbeitet. Mein Herz hat sich für junge Menschen geöffnet. Ich wollte, dass auch ihr Leben sich verändert.

Zwei Jahre später tauchte in meiner Stille immer wieder ein Gedanke auf: „Beschäftige dich mehr mit der Innenarchitektur von Menschen als mit der Architektur von Gebäuden. Menschen sind für Gott wichtiger als Gebäude.“ Ich entschied mit meiner Frau zusammen, Hofmanns zu unterstützen, die ihre Familie für die gerade beginnende Lebensgemeinschaft geöffnet hatten. Diese Anstöße wurden zu meiner Berufung in die junge OJC-Gemeinschaft. Die Entscheidung brachte gewaltige Veränderungen mit sich: Als junge Familie mit zwei kleinen Kindern zogen wir in eine ungesicherte Situation. 100 DM Taschengeld pro Person statt Architektengehalt, aus unserem Umfeld hörten wir immer wieder: „Ihr spinnt ja!“ Aber ich hatte die Gewissheit im Herzen: Das ist jetzt dran! Gott ruft uns. Gottes Wort hat mich ermutigt: Macht euch keine Sorgen um euren Lebensunterhalt, um Nahrung und Kleidung! Bedeutet das Leben nicht mehr als Essen und Trinken, und ist der Mensch nicht wichtiger als seine Kleidung? Seht euch die Vögel an! Sie säen nichts, sie ernten nichts und sammeln auch keine Vorräte. Euer Vater im Himmel versorgt sie doch. Meint ihr nicht, dass ihr ihm viel wichtiger seid? (Mt 6,25-26, HFA). Allerdings dachte ich damals noch, wir kämen auf eine bestimmte Zeit, vielleicht für ein paar Jahre. Von lebenslang war keine Rede.

Lass dich unterbrechen!

Im dichten Gemeinschafts-Leben der OJC musste ich wieder neu buchstabieren, was es heißt, Menschen wichtiger zu nehmen als meine Arbeit. Die bewusste Entscheidung, meine drängende Arbeit beiseite zu schieben, um eines konkreten Menschen willen, hatte mitunter große Auswirkungen: Ich erlebte, dass solche Unterbrechungen Menschenleben retteten und Möglichkeiten waren, von Gottes Handeln überrascht zu werden. Trotzdem musste ich immer wieder ein Ja dazu finden. Für jemanden, der es gewohnt war, zügig anzupacken und Aufgaben zielgerichtet fertigzustellen, war das nicht immer einfach. Geholfen hat mir die Erkenntnis: Jesus ließ sich oft unterbrechen von Menschen und ihren Anliegen – sogar im Gebet. Manchmal sagte ich zu Jesus: Das tue ich jetzt nur für dich! Ich berief mich auf Mt 6,33: Setzt euch zuerst für Gottes Reich ein und dafür, dass sein Wille geschieht. Dann wird er euch mit allem anderen versorgen (HFA). Und auch die Baustellen wurden am Ende fertig.

Was heißt das für mich heute als nächste Generation?

Martin: Was bei Hermanns Erzählen für mich immer wieder herauskam, ist: Er hat Erfahrungen gemacht und junge Menschen haben Erfahrungen mit ihm gemacht! Beim Betrachten von Hermanns Weg sind mir drei Punkte aufgefallen, die relevant dafür sind:

Zeit
Erfahrungen machen braucht Zeit, z. B. für ein Gespräch oder dafür, einen ganzen Tag miteinander zu verbringen, für gemeinsames Essen, Beten, Schweigen oder miteinander arbeiten. Dazu gehört, sich unterbrechen zu lassen, auch wenn Baustellen bzw. Arbeiten langsamer fertig werden.

Menschen
Es braucht eine oder wenige konkrete Personen, nicht eine ganze Gemeinschaft zur gleichen Zeit, wohin Menschen mit ihren Fragen kommen und Erfahrungen machen können.

Ort
Menschen brauchen einen Ort, an dem Kontakt entsteht. Das kann ein Haus oder eine Kapelle sein; nach einem Vortrag irgendwo in einer Gemeinde oder auf der Baustelle, auf der man jeden Tag zusammenarbeitet.

Für mich, als einen aus der nächsten Generation, stellen sich diese Fragen:

  • Bin ich bereit und in der Lage, mich unterbrechen zu lassen und mir Zeit für Menschen zu nehmen?
  • Bin ich, sind wir da und bereit, mit Menschen und ihren Anliegen in Kontakt zu kommen, uns Menschen zur Verfügung zu stellen?
  • Wo sind Orte für verändernde Erfahrungen? Wo können wir Menschen in unser Tun mit hineinnehmen (Küchentisch, Baustelle, Wanderung, …)?

Diese Fragen können uns Jüngere begleiten in unseren Überlegungen und unserem Tun. In meiner Aufgabe am Schreibtisch kommt es selten zu Begegnungen, die meine Zeit einfordern für Fragen, die nichts mit Verwaltung oder Finanzen zu tun haben. Seit letztem Jahr ist aber eine bzw. einer unserer Freiwilligen für einen Tag in der Woche in meinem Arbeitsbereich tätig. Hier hoffe ich, dass wir beide Erfahrungen miteinander machen können. Die Relevanz der drei Faktoren Mensch, Ort und Zeit erlebe ich aber konkret innerhalb der OJC oder auch in unserer Hausgemeinschaft. Zwar nehme ich die anderen in ihrem Handeln wahr, aber erst beim Treffen mit einzelnen kann ich den Anderen ein Stück besser kennenlernen – und sie mich. Diese gemeinsame Erfahrung macht dann den Boden für die nächsten Begegnungen tragfähiger. Auch wenn ich hier erlebt habe, dass sich sowohl Eigeninitiative als auch Offenheit für Anfragen lohnen, bleibt es oft ein bewusster Schritt, diese Zeit und Kraft zu investieren.

Hermann Klenk ist Architekt und gehört mit seiner Frau Friederike zur Gründergeneration der OJC-Großfamilie.

Martin Richter lebt mit seiner Familie seit 2017 in der OJC. Er leitet die Buchhaltung und hat auch das Bierbrauen für sich entdeckt.

Gott sichtbar machen. Rahel Rasmussen fragt Elke Pechmann

Was ist für dich das unverzichtbare Charisma, das dich hierher berufen und hier behalten hat?

Elke: Horst-Klaus Hofmann forderte uns als Christen heraus, in der einen Hand die Bibel und in der anderen Hand die Zeitung zu haben, wenn wir fragen, was Gottes Wille für diese Welt ist. Ich kam in die OJC, weil ich mit meinem Leben genau das sichtbar machen wollte. Die Tagungen der OJC waren am Puls der Zeit. Was wir als Unmut in der Gesellschaft wahrnahmen, nahmen wir auch ernst und suchten nach tragfähigen Antworten aus dem Evangelium. Von dort sollten Veränderungsprozesse herkommen. Mich hat es motiviert, in gesellschaftliche Prozesse involviert zu werden und sie mitzugestalten – ohne Gewalt, ohne Angst, solidarisch und voller Hoffnung. Es war mir aber genauso wichtig, meine eigene Lebensgeschichte im Licht Gottes anzuschauen und mich in meinem Sein und Tun ansprechen und verändern zu lassen. Außerdem beschäftigte mich die Frage: „Wo will Gott mich haben mit dem, was er mir persönlich gegeben hat?“
Nach einer starken Familienphase wollte ich mich auf neue Weise investieren, damit das, was ich mitbrachte, in der OJC aufleuchten und seinen Platz finden konnte. Zum Beispiel meine Gabe, ohne Angst auf Menschen zuzugehen, die andere Positionen vertreten, auch mal Konflikte auszutragen oder auszuhalten, wenn sie sich nicht einfach beilegen lassen. Die Bereitschaft brauchte es auch in der Vielfalt unserer Gemeinschaft.
Durch die Kommunitätsgründung rückte die Gemeinschaft in den Fokus, wir haben viel in unser Miteinander investiert. Aber Gemeinschaft ist kein Selbstzweck: Wichtig ist, dass wir durch sie Gott und sein Reich sichtbar machen in Zeit und Raum. Meine Hoffnung ist, dass wir als OJC in Zukunft wieder mehr den Blick nach außen wagen und uns in die Wertediskussion einbringen. Zum OJC-Charisma gehört auch, Menschen zu befähigen, in die Mündigkeit zu wachsen, in die persönliche Reife und in gesellschaftliche Verantwortung, immer mit dem globalen Gottes-Reich-Horizont. Wir wollen die konstruktive und fruchtbringende Spannung gestalten, dass wir über der Not des Einzelnen nicht die Welt und umgekehrt über der Not der Welt nicht die Not des Einzelnen vergessen. Christen sollen der Gerechtigkeit nachjagen, aber auch Barmherzigkeit üben. Die braucht es, um Menschen so zu sehen, wie Gott sie sieht. Für das gesellschaftliche Engagement heißt das, mich offen zu halten, selbst im Konflikt das Versöhnende zu suchen, ohne die Wahrheit zu verbiegen. Das ist eine klare Ansage gegen alle Despotie und gegen eine „political correctness“ auf Kosten der Wahrhaftigkeit. Die Debatte als Teil der politischen Kultur verschwindet mehr und mehr zugunsten von moralischer Positionierung und Pauschalurteilen. Wir Christen tragen mehr denn je große Verantwortung, für die Wahrung von Freiheit und Offenheit einzustehen. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit (Mt 6,33). Das Beste kommt noch!

Was heißt das für mich heute als nächste Generation?

Rahel: Bei einem Abendspaziergang erzählte mir meine zehnjährige Tochter, dass sie oft nachdenke. Darüber, dass es so schwer sei, an Gott zu glauben. Auf meine Frage, warum das so sei, antwortete sie: „Weil wir Menschen ihn nicht sehen können.“ Umso mehr Bedeutung gewannen Elkes Worte für mich, dass es darum gehe, Gott und seinen Willen in dieser Welt sichtbar zu machen. Das halte ich für wesentlich in unserem Auftrag.

Wie können wir das leben? Drei Gedanken sind mir dazu wichtig geworden:

1.Indem wir uns an dem orientieren, der uns in Raum und Zeit gestellt, der uns geformt und sichtbar gemacht und gleichzeitig auf die Ewigkeit ausgerichtet hat. Er ist der Ewige, der sich selbst sichtbar und greifbar gemacht hat und das auch heute noch tut. Er hat sich klein gemacht, um den Menschen nah zu sein. Meine Hoffnung, für mich persönlich und für uns als OJC ist, dass wir den Mut haben, klein zu sein, um den Menschen nahe zu sein.

2.Indem wir sein Reich erbitten und nicht, indem wir versuchen, es selbst zu errichten – weder politisch noch theologisch oder moralisch. Das können wir nicht, denn sein Reich ist nicht von dieser Welt. Gleichzeitig ist sein Reich schon in dieser Welt und mitten unter uns. Meine Hoffnung ist, dass wir vermehrt mit Gott rechnen!

3.Indem wir offen sind für ihn, wenn er durch den Gefährten oder durch den Fremden (leibhaftig) zu uns kommt. Dafür ist die Barmherzigkeit, die Elke erwähnt hat, so wichtig. Wenn wir die Menschen mit Gottes Augen sehen können, dann kann er durch uns für sie sichtbar werden.

Die OJC begann damit, dass junge Menschen eine „Revolution des Herzens“ durch Jesus erlebten und daraufhin die Frage stellten, wie sie nun als Christen leben könnten. Hofmanns und ein wachsendes Team öffneten ihr Leben für sie, damit sie in der Großfamilie die Möglichkeit bekamen, Antworten zu finden. Ich denke, dass die Frage, „Wie können wir heute als Christen leben?“ weiterhin hochaktuell ist und nach authentischen – im OJC-Jargon „offensiven“ – Antworten sucht. Und ich bin überzeugt, dass wir als Gemeinschaft und Kommunität mit unserer Kultur der Versöhnungsbereitschaft, Gastfreundschaft, Dankbarkeit, Dialogbereitschaft, der Feierkultur, der Seelsorge und des politischen und sozialen Engagements Gott schon sichtbar werden lassen in dieser Welt. Aber wir können das nicht machen, sondern nur erbitten und empfangen. Meine Hoffnung ist, dass wir weiterhin offene Ohren und Herzen haben für den Anderen, den Nächsten, den Gefährten und den Fremden. Und dass wir mit dieser Offenheit und wachem Verstand den Fragen, der Sprachlosigkeit, dem Lärm, der Müdigkeit oder der Hoffnungslosigkeit, mit denen die Menschen zu uns kommen, begegnen und sie in den Raum hineinnehmen, in dem wir Gemeinschaft haben mit dem liebenden Vater und dem gerechten König der Welt. Eines Tages wird Christus sichtbar wiederkommen und sein Reich sichtbar und endgültig aufrichten. Alles wird dann wiederhergestellt. Möge dies das Fundament unserer Hoffnung sein.

Elke Pechmann verantwortete bis zu ihrem Ruhestand die Öffentlichkeitsarbeit der OJC. Ehe und Familie sind Anliegen, die ihr weiterhin wichtig sind.

Rahel Rasmussen, Mutter von vier Kindern und Politologin, öffnet ihr Leben gerne für Menschen von nah und fern und engagiert sich in der Irak-Arbeit der ojcos-stiftung.

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