
Gottes eigentlicher Name
- Publizistisch unredlich
- Ethisch unsortiert
- Geistlich verworren
- Theologisch fragwürdig
- Reformationstauglich?
„Bilderstürmer mit einer Begeisterung für die Kunst der Renaissance: Welch ein Zwiespalt!“ – konstatierte Prof. Elisabeth Schröter, die mich über die Malerei des Florentiner Quattrocento prüfen sollte, die Tatsache, dass wir beide in einem reformierten Pfarrhaus aufgewachsen waren und uns den puritanischen Ahnen – sie den Hugenotten, ich den ungarischen Predigern – durchaus verbunden fühlten. Jüngst wurde ich abermals, diesmal ohne Augenzwinkern, als Bilderstürmer identifiziert. Ich hatte die Petition für die Entfernung der „Judensau“, des Schmähreliefs1 an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche, unterschrieben2 und dies auf einer Internetseite begründet. „Bilderstürmer“ war noch ein Kompliment im Vergleich zur Beschimpfungen als „Taliban“, die fanatisch kulturelles Welterbe zerstöre.
Die meisten, die sich für den Verbleib des „Welterbes“ am Originalort stark machen, haben freilich stichhaltigere Argumente. Das stärkste ist die vom vormaligen Wittenberger Schlosskirchenprediger Friedrich Schorlemmer ins Feld geführte Erinnerungskultur, die durch den Erhalt materieller Artefakte bezeugt, welch verheerende Folgen die irrwitzige Selbstüberhebung, erst recht von Seiten sich fromm dünkender Christen, haben kann. Die Geste der Sühne repräsentiere ein Bodenrelief mit dem Eingeständnis der Schuld und einem Bußvers, das die Gemeinde bereits am 11. November 1988 vor der Kirche anbringen ließ.
Im Vorfeld der Reformationsfeierlichkeit wurden Stimmen laut, dass dies nicht hinreichend ist. In der neu entfachten Debatte gibt es schrille, unnötig polarisierende Töne, die der Komplexität der Sache nicht gerecht werden, aber auch sanfte, die das gemeinsame Ringen um eine würdige Erinnerungskultur betonen.3 Ich selbst zögerte, meinen Namen unter die Petition setzten, und fragte mich: Was würde sich verändert, wenn das Relief anderswo zugänglich an dunkle Zeiten mahnte. Ich fand mich damit ab, als der Stadtrat beschloss, dass die Sau bleibt.
Publizistisch unredlich
Schwer tue ich mich aber damit, dass sich die Diskussion weitgehend um deutsche und evangelische Befindlichkeiten dreht, während das von jüdischer Seite geäußerte Unbehagen am Status quo so gut wie keinen Widerhall findet. Im Gegenteil: die FAZ titelte unsensibel: „Tyrannei der Beleidigten“4, womit sie nicht den Zentralrat der Juden meinte, sondern den Initiator der Petition, dessen jüdischen Hintergrund der Kommentator geflissentlich überging. Stattdessen sortierte er ihn den „radikalisierten politischen Splittergruppen“ zu, wie etwa die, die im Wahn politischer Korrektheit die Drei-Mohren-Straße in München in Drei-Möhren-Straße umbenannte.
Ethisch unsortiert
Wie beharrlich man aneinander vorbeiredet, zeigt der Kommentar einer „Wittenberger Rentnerin“: „Die [Petenten] sagen, die Schmähplastik verhöhnt Juden. Wir sagen: Was vor 700 Jahren Kirchengeschichte an die Kirche kam, das lassen wir als Stachel im Fleisch.“5 – Aha. Nur: in wessen Fleisch?! Während wir Nachfahren der Täter das erprobte Arsenal historisch-künstlerisch-intellektueller Distanzierungen auffahren, bleibt den Juden, die sich verhöhnt sehen, der fragwürdige Trost, dass es uns leid tut, wir ihnen die Sauerei aber um unserer Seelenhygiene willen weiterhin zumuten. Latent schwingt die Unterstellung mit, der Verbleib der Statue – und damit des „Stachels“ – sei letztlich vitales Interesse der Juden.
Geistlich verworren
Mal davon abgesehen, dass der sprichwörtliche Stachel (2. Kor 12,7) für eine unbehebbare Irritation steht, die der Mensch als von Gott auferlegt hinnehmen, nicht aber in Selbstumkreisung zelebrieren sollte, wäre auch unser Verständnis von unseren Gotteshäusern zu hinterfragen. Gut, wenn Kirchen – von ihrer geistlichen Widmung unabhängig – als Kulturerbe geschützt und auch von den Gemeinden, die sie bewohnen, gehegt werden. Doch sollte nicht unser Sinn für historische Artefakte, inklusive dessen, was sie motiviert bzw. was sie geistlich ausgetragen haben, uns vergessen lassen, dass die Kirchenfassade ein Medium der Verkündigung an die Welt darstellt – erst recht im weitgehend ‚entchristlichten’6 Wittenberg, und erst recht im Jahr der Reformation. Freilich gehört das Eingeständnis von Schuld dazu; aber warum nicht anstelle der immer noch toxisch wirkenden Obszönität, sondern lediglich als ihre elegante Rahmung?
Theologisch fragwürdig
Der Frage folgen weitere:
- Glauben wir, dass die Heiligkeit Gottes die Unreinheit seines Volkes – des Kirchenvolkes – zu tilgen vermag? Nicht, indem er Schuld ungeschehen macht, sondern indem er seine Kirche erneuert? Die unsägliche Skulptur stigmatisiert das Volk des ersten Bundes als ewig schuldig – bestehen wir auf das krude Schema, nur gegen uns gewendet?
- Es haben u.a. die geistigen Zerfallsprodukte eines heidnischen Schuld- und Schicksalsglaubens die Sicht der Kirche auf Israel so nachhaltig pervertiert, dass selbst Luther als Herold der Gnadentheologie sich davon nicht hat lösen können. Könnte es sein, dass dieser erhaben-tragische Fatalismus noch in getaufter Form eine Faszination auf uns ausübt, die das biblische Konzept von Buße und Gnade konterkariert? Wie konsistent ist eine Geste der Sühne, die die Manifestation der zu büßenden Schuld konserviert?
- Mal ehrlich: Spiegelt das Pochen auf den musealen Charakter der Kirchenfassade nicht auch die resignierte Annahme wider, dass unser Bekenntnis selbst zum musealen Artefakt geworden ist und höchstens als Mahnung gegen die Überschätzung eigener Glaubenssätze taugt?
- Kann es sein, dass statt der Opfer nur unsere wie auch immer geartete Integrität im Fokus steht, nicht aber das Evangelium, geschweige denn die Heiligkeit Gottes, die sich weder mit unseren verunreinigten Gedanken noch mit unseren selbstauferlegten Pönitenzien7 vermischt?
Ein Festhalten am Verbleib der Skulptur ignoriert zudem sämtliche biblische Vorbilder, die sich mit der geistlichen Verunreinigung des Glaubens konfrontiert sahen. Hartgesottene Bilderstürmer könnten sich nicht allein auf den apokryphen dokumentierten Makkabäeraufstand berufen, dessen Höhepunkt die Entsorgung der Zeus-Statue aus dem Heiligtum war, sondern auch auf die große Reformleistung eines König Josiah. Der hatte alles aus dem Tempel entfernen lassen, was Gott nicht ehrt und „hat getan, was dem HERRn wohlgefiel, … und wich weder zur Rechten noch zur Linken.“ Jesus selbst hat die Gerätschaften der Händler und Wechsler nicht mit Schildern des Bedauerns kommentiert, sondern wählte eine drastischere Zeichenhandlung.
Reformationstauglich?
Wir Petenten rufen ja nicht zum Bildersturm, schon gar nicht zur Säuberung sämtlicher Kirchen von antisemitischen Darstellungen, wie uns unterstellt wird. Es ging und geht uns um eine stellvertretende Zeichenhandlung, um eine Geste zu Menschen jüdischer Herkunft und mosaischen Glaubens hin. Die Festivitäten in Wittenberg böten Gelegenheit, sie unter den Augen der christlichen und nicht-christlichen Weltöffentlichkeit zu vollziehen. Es geht eben nicht um uns: um unsere Schuld, um unsere Sühne, um unsere Sau und unseren Stachel, sondern um Versöhnung. Es geht darum, der erneut verstärkten Stigmatisierung von Juden geistlich klar und vernehmbar entgegenzutreten und den Kairos auszukaufen, denn es ist böse Zeit.
Nicht zuletzt sollte es für die Kirche der Reformation selbstverständlich sein, dass auch die Verkündigung – ob auf der Kanzel oder auf der Kirchenfassade – stets der beherzten Reinigung von allem an ihr haftenden Unrat des Zeitgeistes bedarf. Das wäre puritanisch im besten Wortsinne.
Eine Gruppe von Rabbiner hängen an den Zitzen einer Sau, einer schaut dem Tier in den After. Darüber ist der hebräische Gottesname eingraviert. ↑
Eine Initiative des Londoner Theologen Richard Harvey ↑
Wie etwa der Direktor der Evang. Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Kramer, der die Entfernung für angemessen hält, oder Bischöfin Ilse Junkermann, die für einen Erhalt der Skulptur an ihrem Ort plädierte. Ein Zeichen setzten Pfr. Thomas Piehler, Leipzig,, und die Ev. Marienschwesternschaft mit der Stillen Mahnwache jeweils mittwochs bis zum 21. Juni. ↑
Arnold Bartetzky im Feuilleton von faz.net vom 24.08.2016 ↑
Zitiert u.a. von Christina Özlam Geisler in der Jüdischen Allgemeinen und auf evangelisch.de ↑
So formuliert Gabriel Kords in: „Wir lassen nicht zu, dass die ganze Stadt verluthert“ auf www.zeit.de am 5. Mai 2017 ↑