
Mutige Bettler
- Zuerst ganz nach unten!
- Zukunft muss offen sein
- Als vermessene Bettler leben
- Heute sind wir ernüchtert
Liebe Freunde,
wie ging es wohl den Jüngern nach der Himmelfahrt Christi? Was dachten sie, als sich Jesus auf und davon machte? Wie war das mit dem Durchstarten, mit der erhofften Revolution, die das ersehnte Israel wiederherstellt unter der neuen Herrschaft Gottes? Vor ca. 50 Jahren stellte ein Teilnehmer auf einer der OJC-Kontaktkonferenzen eine ähnliche Frage. Und Horst-Klaus Hofmann, der Gründer der OJC, hat auf diese Frage geantwortet.
„… wir sind froh, dass wirklich Kontakte auf dieser Kontaktkonferenz entstanden sind. Einige aus dem direkten Zusammenprall. Aber auch durch den Zusammenprall mit Jesus Christus. Nun wissen wir aber auch, wenn wir von hier hinausgehen, dann machen wir ganz schnell die Erfahrung, dass es eine Sache ist, etwas zu sehen und im Kopf zu haben, und eine andere, es im Herzen umzusetzen und zu leben. Mich fragte einer von Ihnen: Ist das nicht alles viel weniger erhebend und revolutionär, was jetzt auf uns zukommt? Ist die Verwirklichung nicht unendlich viel schwieriger und problematischer, als Sie es hier dargestellt haben? Er sieht etwas ganz Richtiges. Er sieht, dass das jetzt nicht der Startschuss für einen kometenhaften Weg zur Weltrevolution war, der übermorgen Mao Tse Tung erreicht oder morgen das Verhältnis zu den Eltern ändert. Er sieht ganz richtig, dass das umgesetzt werden muss in die Realitäten des Alltags …“
Ein Teilnehmer der damaligen Konferenz in Höchst im Odenwald, Armin Jersak, hat uns seine Tonaufnahme zur Verfügung gestellt.
Was bedeutet das rund 50 Jahre später für uns? Wenn man unser Motto für das Jubiläumsjahr liest, liegt die Frage obenauf: Wie und wohin startet die OJC mit 50 Jahren durch? Ist sie so vermessen zu meinen, dass sie jetzt kometenhaft durchstartet und die ganze Gesellschaft aufmischt? Wo ist unser Generalplan, die Strategie, die Kampagne?
Zuerst ganz nach unten!
Die Antworten, liebe Freunde und Gefährten, klingen banal, wenig erhebend. Und dennoch viel schwerer zu verwirklichen als wir manchmal meinen. Die Strategie für ein geistliches Werk und seine Mitarbeiter, die durchstarten wollen, lautet: Wer nach oben will, muss zuerst ganz nach unten! Ganz unten ist man angekommen, wenn man vor dem Aus steht. Martin Luthers letzter Satz, den er vor seinem Tod aufschrieb, lautete: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“
Bettler wie Simon Petrus, der auch ganz unten angekommen war, als Jesus nach seiner Auferstehung die Jünger am Ufer erwartete. Da war kein Pläneschmieden für die Weltrevolution. Jesus fragte Petrus, den Fels, auf den Jesus seine Kirche bauen wollte, nicht nach seiner Strategie, nicht nach dem Masterplan für eine weltumspannende Kirche, sondern stellte die alles verändernde Frage: Liebst du mich? (Joh 21,17).
Wer nach oben will, muss zuerst ganz nach unten! Ein geistlicher Bettler zu sein heißt, alles loszulassen, nicht selber besitzen oder verfügen wollen. Ein Bettler im geistlichen Sinne heißt, ganz auf die Vollmacht Gottes bauen. Die Psalmen machen vor, was es heißt, im Gebet Gott darum anzuflehen.
Zukunft muss offen sein
Klingt durchstarten nicht ein bisschen großspurig, vermessen? Ab und zu werde ich gefragt: Konstantin, wo steht die OJC in fünf Jahren? Zu sagen, was in fünf Jahren sein wird, ist vermessen. Ich kann sagen, was ich mir wünsche und vorstelle. Wer sich dünkt, genau zu wissen, „wie Zukunft geht, verstellt deren Offenheit“. Er legt ihr die „Ketten des Bekannten“ an, so der Autor Michael Hochschild. Zukunft aber muss offen sein, sonst ist sie keine Zukunft und wir sind nicht mehr bereit für das Wirken des Heiligen Geistes. Die Zukunft muss offen bleiben, sonst beschränken wir die Möglichkeiten Gottes mit unseren Ketten des Gewohnten und Bekannten. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, aber wir kennen den, der die Zukunft in Händen hält. Wir kennen den, der sagt: Mein Wort ist deines Fußes Leuchte. Kein Scheinwerfer mit Fernlicht, aber eine Taschenlampe oder Kopflampe, die uns Schritt für Schritt die Zukunft erhellt. Nachfolge heißt nicht in erster Linie, Pläne schmieden, sondern verfügbar sein. Mit 50 durchstarten heißt nicht, eine Erweckung herbeiplanen. Durchstarten heißt, sich mit ganzem Herzen verfügbar machen und anpacken, was vor die Hände kommt.
Wir starten durch auf dem Boden der schöpferischen Treue zum Urauftrag der OJC, einer jungen Generation Heimat, Freundschaft und Richtung zu geben. Treu sein heißt, dem Auftrag treu zu sein. Schöpferisch heißt, kreativ sein – auf die Zeit im Hier und Jetzt bezogen. Nicht mit den Mitteln von damals, sondern über Zugänge von heute. Aber das Hingabegebet der ersten Kontaktkonferenz ist heute noch frisch und gültig:
Mit Gottes Hilfe will ich mich täglich von Jesus Christus revolutionieren lassen und dadurch in der Liebe Christi revolutionär werden überall, wo Gott mich hinstellt: in meiner Familie, in meiner Schule und Universität, an meiner Arbeitsstelle, in der Gemeinde und in unserer Gesellschaft. Gott will, dass wir heute genauso wie die ersten Christen „den Weltkreis erregen“, – „die Welt auf den Kopf stellen“ (Apg 17,6).
Als vermessene Bettler leben
Um unsere Welt auf den Kopf zu stellen, dürfen wir, ja müssen wir sogar zwingend wieder vermessen werden! Vermessen, weil wir nicht mit menschlichem Maß messen. Unser Maß ist nicht das menschlich Machbare, sondern Gottes Übermaß an Liebe und an rettender Kraft. Es sind die Maße des Himmels, an denen wir uns ausrichten sollen – wie im Himmel, so auf Erden!
Es gilt, unseren Glauben immer neu an seine Maßstäbe anzupassen: Im Gebet, im Hören auf Gottes Wort, im gemeinsamen Studium der Bibel, im Bekenntnis der Sünde und in der bereitwilligen Begegnung mit dem Auferstandenen im anderen. Das macht uns zu empfangsbereiten Bettlern, die nicht an sich und der Welt Maß nehmen. Der sich an Gottes Vorgaben messende Bettler weiß, dass er aus sich heraus nichts tun kann, aber alles erbitten darf. Er erfleht das Unmögliche von dem, für den nichts unmöglich ist. Wenn Er spricht, geschieht es!
Ob es uns als Gemeinschaft wohl gelingt, wirklich durchzustarten? „Ist die Verwirklichung nicht unendlich viel schwieriger und problematischer, als Sie es hier dargestellt haben?“ Die Frage, die damals Horst-Klaus Hofmann zu hören bekam, könnte man auch mir, auch uns stellen. Die Erwiderung von Horst-Klaus stimmt immer noch: Die Verwirklichung wird auf jeden Fall nicht einfach, denn es ist nicht zu vermeiden, dass wir hinfallen werden. Nein, es wird kein Senkrechtstart, das Stolpern und Hinfallen lässt sich nicht verhindern. Entscheidend aber ist nicht, ob, sondern wohin wir fallen, wie wir fallen. Fallen wir auf die Nase? Auf den Bauch? Werden wir nach der Bauchlandung liegen bleiben – resigniert, ermattet, ohne Hoffnung? Oder fallen wir auf die Knie und bitten erneut um Kraft, Neuanfang, um Vergebung und Versöhnung?
Die Nachfolger Jesu leben ganz auf den Boden der Tatsachen. Gleichzeitig leben sie ganz ausgestreckt gen Himmel. So weiß der himmelwärts gewandte Bettler, der ganz unten lebt: Hier habe ich nichts mehr zu verlieren. Und weil ich nichts mehr zu verlieren habe, kann ich alles geben. Die vermessene Botschaft in einer maßlosen Zeit lautet: Es geht nicht nur um mich, meinen Besitz und meinen Glauben. Im Leben eines offensiven jungen Christen geht es um mehr, nämlich um alles. Um die ganz große Sache Gottes. So hatte es angefangen – mit der Ganzhingabe an ihn und sein Ziel. Mit der beherzten Antwort auf die Hingabe Jesu an uns. Wir haben nichts, was er uns nicht schenkt – deswegen wollen wir mit unserem Leben antworten – auch nach 50 Jahren! Dazu braucht es keinen ausgefeilten Masterplan, nur eine einfache Strategie. Ich nenne sie die 3 H-Strategie:
Hören, Handeln und Hoffen
Zum Durchstarten braucht es Aufmerksamkeit, mit einem Ohr ganz nah am Zeitgeist und das andere auf den Heiligen Geist gerichtet. Wir sind als Christen berufen, im Spannungsfeld zwischen dem Zeitgeist und dem Heiligen Geist zu leben. In der Welt sein, aber nicht von dieser Welt. Der Zeitgeist verrät uns, was die Not der Zeit ist. Der Heilige Geist verrät uns, wie wir ihr begegnen können. Jeder ist dazu berufen, ein Botschafter Christi in dieser Welt zu sein – mit jeder Faser seines Herzens und mit allen Synapsen seiner grauen Zellen. Wir wollen den Weg zwischen Gottes Stimme und dem eigenen Hören so kurz wie möglich halten. Wer mit dem Ohr nah an Gott ist, lebt gefährlich: Er erlebt, dass Gott tatsächlich redet.
Und dann heißt es: Handeln! Umsetzen, was ich gehört habe und dabei die großen Zusammenhänge im Alltag wahr sein lassen, und die im alltäglichen Leben erfahrenen Dinge auf das Große beziehen. Immer wieder innehalten und sich ausrichten. So wie wir im Mittagsgebet beten: Wir gehören nicht der Arbeit, nicht den Menschen und nicht uns selbst, wir gehören dir! Wer so betet, dem werden sich ungeahnte Wege eröffnen.
Das dritte ist die Hoffnung. Hoffen und Glauben, dass Gott unserem Tun Segen und Frucht schenkt. Wir haben das nicht im Griff, haben nicht in der Hand, was dabei rauskommt. Die Frucht bringt Gott hervor. Eines wollen wir gewiss nicht: uns auf die faule Haut legen und auf den Lorbeeren der Wunder und Wagnisse der letzten fünfzig Jahren ausruhen. Fünfzig werden heißt, uns in eine heilige Unruhe versetzen zu lassen, liebgewordene Sicherheiten aufzugeben, damit ganz Neues werden kann.
Heute sind wir ernüchtert
Wir haben in fünfzig Jahren viel gelernt. Nicht alles, was damals als Revolution und Emanzipation gefeiert wurde, hat sich bewährt. Heute stehen wir ernüchtert vor neuerlichen Zwängen, Zerbruch und Krisen: den System-, Beziehungs- und Glaubenskrisen einer Generation, die nicht viel klüger ist als ihre Väter und Großväter. Wir können aber aus Erfahrung sagen: Gemeinschaft, Sich-Zusammentun ist eine gelebte Antwort auf unsere Zeit. In ihr liegt das Potenzial der Vergewisserung und der Veränderung und der Befriedung. Es ist möglich, trotz großer Unterschiedlichkeiten, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, sich ganz hineinzugeben und dabei ganz bei sich zu bleiben. Ja, es ist möglich, inmitten von Spannungen und Konflikten, die Liebe zu wagen und das Vertrauen nicht zu verlieren und den Glauben ganzheitlich und konsequent zu leben. Auch in einem säkularen Umfeld! Aber dass und wie Gemeinschaft doch immer wieder gelingt, bleibt das Geheimnis des Erfinders.
Wir müssen nicht verstehen, wie Reich Gottes „funktioniert“. Wir müssen nicht wissen, wie man Gesellschaft im 21. Jahrhundert „verändert“. Geistliche Gemeinschaften sind schon in sich stille, durchdringende Orte, an denen sich Menschen wandeln. Sie wirken als Sauerteig in die Kultur und Gesellschaft hinein verborgen gegenwärtig – wie Christus selbst.