
Mein unbekannter Körper
Ich habe ein neues Glück entdeckt: Es besteht darin, im Einklang zu sein mit den Lebensgesetzen. (Ruth Pfau)
Nach zweieinhalb Stunden Autofahrt von Budapest Richtung Osten kommen wir an in Bükkszentkereszt, einem winterlich verschneiten Bergdorf im ungarischen Mittelgebirge. Es sieht fast nach Urlaub aus – aber weit gefehlt. Auf uns warten drei eng getaktete Schulungstage zur Biologie der Frau (Ladies first – der Mann kommt erst nächstes Mal dran) und zur Entwicklungspsychologie des Jugendalters sowie umfassende Hintergrundinformationen zur Verhütung und ein Kennenlernen kreativer Pädagogik. Das Ganze in einem engen, etwas dunklen, spärlich beheizten und schlecht belüfteten Raum, zusammen mit etwa 35 Teilnehmern aus Ungarn, Rumänien und der Slowakei: Lehrer, Seelsorger, Therapeuten und „Schutzfrauen“ (zuständig für die Gesundheit der ungarischen Schulkinder). Anfangs lauschen wir noch andächtig der engagierten österreichischen Referentin Helga Sebernik, deren Ausführungen zum weiblichen Zyklus von einem männlichen ungarischen Dolmetscher fachmännisch und ohne mit der Wimper zu zucken übersetzt werden. Aber bald kommt Bewegung in die engen Reihen: Eifrig wird diskutiert, ergänzt und nachgefragt, und auch bei den interaktiven Einheiten sind alle mit vollem Einsatz dabei. Des Ungarischen leider nicht mächtig, staune ich doch über die kreativ gestalteten Plakate zum Mannsein und Frausein, und verfolge begeistert die pantomimische Darstellung der Geschlechterbeziehungen vom Kleinkind bis zum Erwachsenenalter. Es ist bereits das dritte TeenSTAR-Ausbildungsseminar in Ungarn, welches sowohl von den Teilnehmern als auch von Vertretern des öffentlichen Lebens dankbar und wohlwollend aufgenommen wird. Im ungarischen Bildungsplan haben Ehe, Familie und Elternschaft einen hohen Stellenwert. Und auch die Politik tut ihr Mögliches, um Familien mit Kindern finanziell zu entlasten. Das große Ziel der TeenSTAR-Pädagogik ist die Integration der Sexualität in die Gesamtpersönlichkeit. Sexualität betrifft nicht nur Körper und Gefühl, sondern auch den Verstand des Menschen, wirkt sich auf Beziehungen und das kulturelle Umfeld aus und fordert letztlich die Verantwortung des ganzen Menschen. Diese Fähigkeit zur Integration der Sexualität, also sozusagen die Kultivierung des Triebes, ist eine spezifisch menschliche, die sich ganz physisch im Aufbau des menschlichen Gehirns niederschlägt. Das Orbitalhirn und die Präfrontalrinde (beide im vorderen Stirnhirn), die für die Persönlichkeit des Menschen und ethisches Handeln zuständig sind, kommen beim Tier nicht vor. Geprägt werden diese Bereiche im Säuglingsalter und in der Jugendzeit (plastische Perioden). Sie sind also nicht von vornherein festgelegt (angeboren), sondern erhalten ihre Form u.a. durch Selbsterziehung! Diese Tatsache macht das Jugendalter so bedeutsam. Sie impliziert die Chance, auch aus ungünstigen Ausgangsbedingungen etwas Besseres zu machen, und die möglichen Fehler der Eltern nicht einfach zu wiederholen.
Wer bist du? Welche Fragen, welche Ziele hast du? Was passiert in deinem Körper? Und was bedeutet das für dich? Dies sind zentrale TeenSTAR-Fragen.
Jugendliche lernen, ihre Weiblichkeit bzw. Männlichkeit als Teil ihres Selbst anzunehmen. Sie lernen, körperliche und seelische Veränderungen miteinander in Verbindung zu bringen, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, gute Freundschaften aufzubauen und sich mit ihrem Umfeld auseinanderzusetzen. Es geht um viel mehr als um Aufklärung. TeenSTAR ist persönlichkeitsbildend.
Jugendliche sind auf der Suche nach ihrer Identität. Im TeenSTAR-Kurs lernen sie: Du bist kostbar und wertvoll. Lerne dich selber kennen, so wie du bist, als Junge oder als Mädchen. Du brauchst dich nicht neu erfinden. Du hast die Chance, dich mit dir selbst und deinem Körper auszusöhnen.
Zumindest ein ungarisches Wort habe ich gelernt: TERMÉKENYSÉG. Es klingt fast wie ein Zauberwort, und es bedeutet: Fruchtbarkeit – sie ist die Basis der TeenSTAR-Arbeit.