Im Dampfbad des Geistes
- Schweigen - das innere Feuer bewahren
- Schweigen, das den Heiligen Geist hütet
- Schweigen, das uns reden lehrt
Eine ganz positive Bedeutung hat das Schweigen für die Bewahrung des inneren Feuers. Schweigen hütet die innere Glut der religiösen Erfahrung. Diese innere Glut ist das Leben des Heiligen Geistes in uns. Darum ist Schweigen die Übung, die das innere Feuer Gottes bewahrt und lebendig erhält.
Schweigen - das innere Feuer bewahren
Diadochus von Photike bietet uns dazu ein anschauliches Bild: „Wenn die Tür des Dampfbads ständig offen gelassen wird, entweicht die Hitze von drinnen sehr schnell; so verflüchtigt sich in einem Menschen, der viel reden möchte, die Erinnerung an Gott durch die Tür der Rede, selbst wenn alles, was er sagt, gut wäre. Darauf schüttet der Verstand, obgleich es ihm an geeigneten Ideen fehlt, einen ganzen Wust von verworrenen Gedanken über den Nächstbesten aus, weil er nicht mehr den Heiligen Geist hat, der ihn vor Hirngespinsten bewahren würde. Wertvolle Ideen meiden immer den Wortschwall, denn Wirrwarr und Fantasterei sind ihnen fremd. So ist Schweigen zur rechten Zeit kostbar, denn es ist nichts weniger als die Mutter der weisesten Gedanken.“ 1 Diese Worte richten sich gegen unseren modernen Lebensstil, in dem das „Teilnehmen“ eine der höchsten Tugenden geworden ist. Wir haben uns einreden lassen, dass wir unsere Gefühle, Gemütsbewegungen und sogar unsere innersten seelischen Erlebnisse mit anderen teilen müssten. Redewendungen wie „Vielen Dank, dass du mir das mitgeteilt hast“ oder „Wie gut, dass ich daran teilnehmen durfte“ sind ein Beweis dafür, dass die Tür unseres Dampfbads die meiste Zeit offen steht. Tatsächlich hat man bei zurückhaltenden Menschen, die ihr Inneres nicht zur Schau stellen, leicht ein unbehagliches Gefühl und hält sie für gehemmt, kontaktschwach oder einfach sonderbar. Fragen wir uns doch wenigstens, ob wir unsere verschwenderischen Mitteilungen nicht mehr aus Zwang als aus Liebe machen; ob sie, statt Gemeinschaft zu bilden, nicht eher dazu führen, dass unser Zusammenleben verflacht. Vorsicht, wenn wir nach solch einem Austausch mit dem Gefühl heimgehen, dass uns irgendetwas Kostbares genommen oder heiliges Land entweiht worden ist. James Hannay schreibt in seinem Kommentar zu den Sprüchen der Wüstenväter: „Nicht der Mund ist die Tür, durch die alles Böse eindringt. Solche Türen sind die Ohren wie die Augen. Der Mund ist nur eine Ausgangstür. Was war es denn, was sie (die Wüstenväter) fürchteten herauszulassen? Was war es denn, was man aus ihren Herzen stehlen konnte, wie der Dieb das Pferd aus dem Stall holt, wenn die Tür offen gelassen wird? Es kann nichts anderes gewesen sein als die Kraft des religiösen Erlebens.“ 2
Schweigen, das den Heiligen Geist hütet
Was behütet werden muss, ist das Leben des Heiligen Geistes in uns. Besonders diejenigen, welche von der Gegenwart des Gottesgeistes in der Welt Zeugnis geben möchten, müssen das in ihnen brennende Feuer sorgsam hüten. Es ist gar nicht verwunderlich, dass gerade viele Priester wie ausgebrannte Kanister geworden sind. Menschen, die viele Worte machen und viele Erfahrungen mitteilen, in denen aber das Feuer des Geistes Gottes erloschen ist und aus denen nicht viel mehr herauskommt als ihre eigenen belanglosen, kleinlichen Gedanken und Gefühle. Zuweilen scheint es, dass unsere vielen Worte eher unseren Zweifel als unseren Glauben zum Ausdruck bringen. Es ist, als ob wir nicht sicher wären, dass Gottes Geist die Herzen der Menschen anrühren kann: wir müssen ihm heraushelfen und andere mit vielen Worten von seiner Macht überzeugen. Aber gerade dieser redselige Unglaube erstickt das Feuer. Unsere erste und wichtigste Aufgabe ist es, das innere Feuer so treu zu hüten, dass es den verwirrten Wanderern Licht und Wärme spenden kann, wenn sie es wirklich nötig haben. Keiner hat das überzeugender ausgedrückt als der niederländische Maler Vincent van Gogh: „In unserer Seele kann ein großes Feuer brennen, und doch kommt nie jemand, um sich daran zu wärmen, und die Vorübergehenden sehen nur eine leichte Rauchwolke aus dem Kamin aufsteigen und gehen ihres Weges. Sieh, was kann man dabei tun? Muss man das innere Feuer schüren, Salz in sich haben, geduldig und dennoch mit welch großer Ungeduld auf die Stunde warten, in der jemand kommt und sich hinsetzt, um vielleicht zu bleiben? Mag der, welcher an Gott glaubt, auf die Stunde warten, die früher oder später kommen wird.“ 3
Vincent van Gogh spricht hier mit dem Geist und Herzen der Wüstenväter. Er wusste um die Versuchung, alle Türen aufzumachen, damit die Vorübergehenden das Feuer und nicht nur den Rauch aus dem Kamin sehen könnten. Aber er erkannte auch, dass das Feuer dann erlöschen würde und niemand Wärme und neue Kraft fände. Sein eigenes Leben war ein eindrucksvolles Beispiel von Treue zum inneren Feuer. Während seines ganzen Lebens kam niemand, um sich an seinem Herd niederzulassen, aber heute sind es Tausende, die in seinen Zeichnungen, Gemälden und Briefen Erbauung und Trost gefunden haben.
Die größte Versuchung für den Diener des Glaubens liegt darin, zu viele Worte zu machen. Sie schwächen unseren Glauben und machen uns lau. Aber Schweigen ist eine heilige Übung, eine Wache des Heiligen Geistes.
Schweigen, das uns reden lehrt
Auf eine weitere Weise offenbart sich das Schweigen als das Geheimnis der kommenden Welt, indem es uns reden lehrt. Ein Wort voll Kraft ist ein Wort, das aus dem Schweigen kommt. Ein Wort, das Frucht trägt, ist ein Wort, das aus dem Schweigen hervorgeht und ins Schweigen zurückkehrt. Es ist ein Wort, das uns an das Schweigen erinnert, aus dem es kommt, und es führt uns ins Schweigen zurück. Ein Wort, das nicht im Schweigen wurzelt, ist ein schwaches, kraftloses Wort, das ,,wie dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke“ klingt (1 Kor 13,1). All das gilt aber nur dann, wenn das Schweigen, aus dem das Wort hervorgeht, nicht Abwesenheit und Leere, sondern Anwesenheit und Fülle ist; nicht das menschliche Schweigen aus Verlegenheit, Scham oder Schuldbewusstsein, sondern das göttliche Schweigen, in dem die Liebe sicher aufgehoben ist. Hier können wir einen flüchtigen Blick auf das Geheimnis werfen, an dem wir durch Schweigen Anteil haben, und auf das Wort, das Geheimnis von Gottes eigenem Sprechen. Gott sprach das Wort aus seinem ewigen Schweigen heraus, und durch das Wort schuf und erlöste er die Welt. Im Anfang sprach Gott die Erde, das Meer und den Himmel. Er sprach die Sonne, den Mond und die Sterne. Er sprach Pflanzen, Vögel, Fische, wilde und zahme Tiere. Endlich sprach er Mann und Frau. Dann, in der Fülle der Zeiten, hat Gottes Wort, durch das alles geschaffen wurde, Fleisch angenommen und gab allen, die glauben, Macht, Kinder Gottes zu werden. In alldem bricht das Wort Gottes nicht das Schweigen Gottes, vielmehr entfaltet es den unermesslichen Reichtum seines Schweigens. Als die Mönche in die Wüste Ägyptens zogen, wollten sie an dem göttlichen Schweigen teilnehmen. Indem sie aus diesem Schweigen heraus in die Nöte der Menschen hinein sprachen, versuchten sie, an der schöpferischen und neu schaffenden Macht des göttlichen Wortes teilzunehmen. Worte können nur dann Gemeinschaft und somit neues Leben schaffen, wenn sie das Schweigen verkörpern, aus dem sie hervorgehen. Sobald wir anfangen, andere mit unseren Worten zu beschlagnahmen, und Worte gebrauchen, um uns zu verteidigen oder andere zu kränken, spricht das Wort nicht mehr vom Schweigen. Aber wenn das Wort die heilende und belebende Stille seines eigenen Schweigens hervorruft, dann sind nur wenige Worte nötig: Es kann viel gesagt werden, ohne viel zu sprechen. So ist Schweigen das Geheimnis der kommenden Welt. Im Schweigen bleiben wir Pilger und werden vor der Verstrickung in die Angelegenheiten dieser Weltzeit bewahrt. Schweigen hütet das Feuer des Heiligen Geistes, der in uns wohnt. Es macht uns fähig, ein Wort zu sprechen, das an der schöpferischen und heilenden Kraft von Gottes eigenem Wort teilnimmt.
Aus: Henri J. M. Nouwen, Feuer, dass von innen brennt; Stille und Gebet, übs. v. Mathilde Wiemann © dt. Üb. Herder, Freiburg 1981, S. 50ff