Dialog mit Andersdenkern

Ohne Senf bitte

Wenn ich Jens besuche, geht es mir vor allem darum, meine Beziehung zu ihm zu stärken. Er soll erleben, dass er gehört wird und dass er sagen kann, was ihm wichtig ist. Ich halte mich bewusst mit meinem Senf zurück, denn diskutieren führt gewöhnlich zu nichts. Jemand ändert ja seine Meinung nicht in erster Linie, weil ich ein besseres Argument hätte!
Ich bin aufgewachsen mit der Vorstellung, dass es meine Verantwortung ist, meine (christliche) Position wenigstens mal gesagt zu haben, „zur Zeit oder zur Unzeit“. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Es braucht zuerst einen Boden, eine vertrauensvolle, respektvolle und authentische Beziehung. Vielleicht ist das eine unausgesprochene Bedingung: Ich will den anderen nicht belehren oder verändern. Auch wenn wir in einem wichtigen Thema unterschiedliche Meinungen vertreten, bleiben ja noch viele andere Themen für das Gespräch.
Und es lohnt sich, genau zuzuhören. Mein Gegenüber hat mir Erfahrungen voraus, von denen ich lernen kann. Wenn ich nachfrage, erlebe ich immer wieder, dass er sich über meine echte Aufmerksamkeit freut, jenseits von unseren Differenzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in jedem Fall mehr Gemeinsames haben. Es bereichert uns zweifelsohne, mehr voneinander zu erfahren, Interesse aneinander zu zeigen. Auch ohne zu kommentieren.
Dazu braucht es Orte wie bei uns im Senfkorn-Laden. Wir sind so was wie ein „Verein für gute Nachbarschaft“ und bauen Brücken zu und unter Menschen. Weil wir davon überzeugt sind, dass diese kleinen Brücken dazu führen, dass man – statt übereinander zu reden – eben miteinander redet. Wenn wir z. B. zum Schutz von Frauen oder Kindern mal Grenzen ziehen müssen, kommt es sehr auf die Wortwahl und den Tonfall an. Auf zweifelhafte Sprüche, z. B. über Ausländer, antworte ich: „Bei Jesus habe ich gelernt, dass es nicht gut ist, über andere schlecht zu reden. Und jeder wertvoll ist. Und ernst genommen werden will, so wie du und ich.“

Frank Paul, gehört zum Team der „senfkorn-stadtteilmission.de“ in Gotha und knüpft gerne Beziehungen mit Nachbarn „in der Platte“.

Zwei Pudel in der Sauna

Mein bester Freund, mit dem ich seit vielen Jahren verheiratet bin, hat mir folgende Geschichte erzählt:
Im Zuge einer Reise in den Süden Deutschlands, wo wir am Anfang unserer Ehe ein paar Jahre gelebt hatten, wollte er einen guten Bekannten treffen, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dieser schlug vor, eine alte Gewohnheit wieder aufleben zu lassen, und lud ihn in die Sauna ein.
Bei wohlig-warmen Temperaturen entspann sich ein gutes Gespräch. Mit der Zeit aber nahm die Unterhaltung eine Wendung, mit der mein Mann nicht gerechnet hatte: Der Bekannte entlud seinen Frust über die mannigfachen Fehlentscheidungen unserer Regierung zu Coronazeiten und erzählte von vielen Menschen, die durch die Maßnahmen dauerhaft geschädigt worden waren. Die eine oder andere Verschwörungstheorie floss in seinen Vortrag ein. Meinem Mann wurde es ungemütlich: Was sollte er jetzt tun? Sich bei 90 Grad einen Schlagabtausch leisten? Da saß er nun, pudelnackt, allen Schutzes beraubt, und fühlte sich ziemlich ausgeliefert. Er entschied sich dafür, einfach zuzuhören. Im Raum zu bleiben: Sowohl in der dampfenden Saunazelle als auch im Raum der Begegnung mit dem Bekannten, mit dem ihn so viele gute Erinnerungen verbanden. Für Überzeugungsarbeit fehlte die Energie. Wenn die Positionen klar sind, laufen Argumente sowieso ins Leere. Aber zuhören, das konnte er. Und immer wieder ins Tauchbecken zur Abkühlung.
Mir scheint, in dieser Begebenheit ist eine kleine Hilfestellung für eine gelingende Kommunikation verborgen: Es geht darum, dass wir unsere Schutzhüllen fallen lassen, uns verletzlich zeigen, unsere Geschichte erzählen und uns die der anderen erzählen lassen – im Gesprächsraum bleiben.
Nach dem Saunieren bekam mein Mann noch ein Buch geschenkt, in dem einige von „denen da oben“ enttäuschte Menschen ihre Geschichte erzählen. Dieses Buch steht nun bei uns im Regal. Wir sollten es lesen. Denn die Menschen sind es wert, angehört zu werden.

Der Autor ist der Redaktion bekannt.

Pokal für Fairplay

Als Co-Trainer der E-Jugend im örtlichen Fußballverein werde ich mit vielen Facetten des Sports konfrontiert: Nicht zu erschöpfende Kinder, beobachtende Eltern, die voller Stolz ihren Nachwuchs begleiten, und Trainerkollegen, die mehr in den jungen Nachwuchskickern sehen, als manch neutraler Beobachter.
Unser Team ist sehr ambitioniert in diese Saison gegangen und wir hatten tatsächlich in Bezug auf Meisterschaft und Pokal eine Favoritenrolle. Nur eine Mannschaft im Kreis stellte für uns eine echte Herausforderung dar. Die Duelle waren sehr hitzig, die Familien der jeweiligen Mannschaften mutierten zu regelrechten Ultra-Fangemeinschaften und unser hauptverantwortlicher Trainer lief in seiner cholerischen Art zur Höchstform auf.
Innerhalb nur einer Woche mussten wir sowohl das Entscheidungsspiel in der Meisterschaft als auch das Finale des Pokals gegen unseren Hauptkonkurrenten austragen. Das Pokalspiel verloren wir leider. In der darauffolgenden Trainingseinheit schwor unser Haupttrainer die 10-Jährigen Jungs darauf ein, mehr Körpereinsatz zu zeigen, um das zweite Spiel dann auch zu gewinnen. Es sollte „keine Rücksicht genommen“ werden. „Auf die Knochen“ hieß es, „dies sei die Odenwälder Mentalität“. Ich hielt in diesem Moment inne und korrigierte unseren Trainer, dass es trotzdem fair bleiben solle und dass keiner wörtlich „auf die Knochen zu gehen“ habe! Niemand im väterlichen Trainerteam traute sich so recht, der cholerischen Energie des Trainers und seinen Ambitionen Paroli zu bieten. Auch mein Puls stieg innerhalb von Sekundenbruchteilen.
War ich zu deutlich geworden? Bin ich etwa zu korrekt? Habe ich die Brisanz der Situation verkannt, die eine unfaire Herangehensweise legitimiert hätte? Auf der einen Seite merkte ich schnell, dass mein Auftreten für Distanz zum Haupttrainer geführt hat. Auf der anderen Seite beobachtete ich auch, dass die Kinder eine Ahnung bekommen haben, wie schwer es ist, die persönlichen Emotionen und Ambitionen in einen fairen Sportkontext zu kanalisieren und dabei die Aspekte von Fair-Play und Respekt gegenüber dem Gegner im Blick zu behalten.
Übrigens: Das entscheidende Meisterschaftsspiel haben wir ebenfalls verloren. Doch insgesamt gesehen haben die Jungs aus der E-Jugend in dieser sehr emotionalen und kräftezehrenden Situation weitaus wichtigere Dinge gewonnen als einen Pokal, der natürlich auch schön gewesen wäre…

Simon Heymann (OJC) lebt mit seiner Familie auf Schloss Reichenberg und engagiert sich u. a. im pädagogischen Team des Erfahrungsfeldes.

Geliebte Konfliktperson

Ich öffne mein Leben, mein Herz für ganz unterschiedliche Menschen, indem wir regelmäßig zusammen Mittag essen oder zusammen Ferien verbringen, Feste feiern, gemeinsam Projekte verwirklichen etc.
Und da Liebe immer auch Wahrheit braucht, weil sie sonst lau und grau wird, werden verschiedene Meinungen formuliert. Negative Emotionen werden sichtbar und Streit und hoffentlich Versöhnung unvermeidbar. Wir kämpfen miteinander, dass die Unterschiedlichkeit zur Bereicherung wird.
Und wenn dies aus eigener Anstrengung nicht gelingt?
Sofort ins segnende Gebet! Jedes Mal wenn ich meine Konflikt-Person sehe oder an sie denke, segne ich sie im Namen von Jesus Christus. Ganz im Sinne von Lukas 6,27. Und plötzlich stelle ich fest, dass in meinem Herzen eine Liebe wächst, welche größer ist als die unterschiedliche Meinung. Nun ist die Tür offen für einen weiteren Weg miteinander.

Colette Steinmetz lebt in Basel mit ihrem Mann und ihren drei erwachsenen Töchtern. Sie ist Sozialpädagogin, aber ihr Herzensanliegen ist, das, was sie glaubt, auch zu leben.

Aufforsten im Libanon

Die Gesellschaft meiner Heimat, des Libanon, setzt sich aus verschiedenen Gruppen und Konfessionen mit unterschiedlichen Kulturen zusammen. Das macht den Libanon zu einem einzigartigen Land, gleichzeitig ist das oft eine Quelle von Spannungen.
Als Christen gehört es zu unseren grundlegenden Werten, den anderen zu akzeptieren und mit ihm einen Dialog zu führen.
Es ist unsere Vision, das Evangelium zu verbreiten und mit unseren Nachbarn über die rettende Liebe Christi zu sprechen. Dies ist in unseren kirchlichen Diensten, in unserem Schulsystem und in unseren Gruppen fest verankert. Ich möchte diesem Auftrag treu bleiben, bin mir aber gleichzeitig der Grenzen bewusst und möchte sie respektieren. Wir versuchen, die Liebe und die Botschaft des Evangeliums indirekt zu vermitteln.
Während des letzten Krieges suchten Tausende von muslimischen Binnenvertriebenen in unseren Gebieten Zuflucht. Das war eine Gelegenheit, sie aufzunehmen und zu versorgen. Unsere jungen Leute organisierten Aktivitäten für die Kinder und beschenkten sie zu Weihnachten. Das taten wir in dem Glauben, dass wir es für Jesus tun und sie konnten es als Teil unseres christlichen Zeugnisses akzeptieren.
Denn Wahrheit, Gerechtigkeit und Vergebung sind christliche Werte, die dazu beitragen, eine Gesellschaft aufzubauen, die auf Frieden und Gleichheit beruht. Der Libanon ist zwar ein religiöses Land, aber das politische System ist korrupt. Einen Job bekommt man aus Loyalität zu dem jeweiligen politischen Führer. Das gilt für Muslime und Christen und hat zu sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft geführt. Die jungen Menschen leben also in einem ungerechten System.
Wir ermutigen immer wieder einzelne Gruppen, Vergebung zu üben, wenn die Saat des Hasses infolge des Bürgerkriegs, der 1975 begann, in Konfliktsituationen aufgeht. Mit unseren sozialen Aktivitäten arbeiten wir daran, Gerechtigkeit herzustellen. Außerdem ermutigen wir unsere Gemeindeglieder und die Schüler in unseren Schulen, Konflikte durch Dialog und durch die Verkörperung dieser Werte und ihr eigenes Verhalten zu lösen.
Von uns Pastoren wird erwartet, dass wir unsere Leute leiten, uns um ihre Bedürfnisse kümmern und ihnen eine Quelle der Hoffnung aufzeigen. Das ist meistens sehr herausfordernd.
Ich persönlich finde meine geistliche Inspiration in der Tatsache, dass Gott durch Jesus versprochen hat, uns in unseren Schwierigkeiten beizustehen. Er führt uns und sorgt für uns. Ich war sieben Jahre alt, als 1975 der Krieg ausbrach und habe seither die verschiedenen Konflikte miterlebt. In diesen Jahren habe ich immer Gottes Schutz erfahren.
Die Erfahrungen haben in mir sowohl Hoffnung als auch Widerstandsfähigkeit entwickelt. All das hilft mir, meinem Volk im Vertrauen auf den Herrn zu dienen, und es wird mir weiterhin helfen. Gottes Wort war immer eine Quelle der Kraft für mich.

Raffi Messerlian ist Pastor in der Union der Armenisch-Evangelischen Kirchen im Nahen Osten.

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