Willkommen am Tisch
Das innigste Sakrament, das Jesus gestiftet hat, vollzog sich an einem Tisch. Er war der Gastgeber. Der Tisch des Abendmahls muss sich fortsetzen an den Tischen in unserer Gemeinschaft. Hier versammeln wir uns als „neue Familie“ in Christus. Wir laden andere ein und freuen uns an der Begegnung. Das setzt Tischkultur, Gesprächskultur und die Bereitschaft zu teilen voraus. Gastfreundschaft gewährt ein Stück Heimat auf dem Weg ins ewige Zuhause. Aus: Wie Gefährten leben. Eine Grammatik der Gemeinschaft [120]. Die OJC-Kommunität mit Dominik Klenk. Fontis – Brunnen, Basel 2013
Wenn man über das Gelände des Erfahrungsfeldes Schloss Reichenberg schlendert, kann man in einer hinter einem Mauervorsprung verborgenen Nische einen gedeckten Tisch entdecken, an dem man sich niederlassen und ausruhen kann. Dann fällt der Blick auf das Gemälde von Leonardo da Vinci – das letzte Abendmahl.
Woher kam die Idee für diese interaktive Station im oberen Burggarten?
Schon bevor ich 2019 ins Schloss-Team eingestiegen bin, haben mich interaktive Erlebnispfade und Museen begeistert und inspiriert. Besonders faszinierend finde ich, wenn künstlerische und geistliche Elemente miteinander verbunden und damit erfahrbar gemacht werden. Das hat mich gelockt, selbst aktiv zu werden und auf künstlerische Weise Impulse zu geben. Als Gast in der OJC war ich überall zum Essen eingeladen, und mir fiel auf: der Esstisch scheint hier etwas Wichtiges zu sein. Mir begegneten Geschichten von dem legendären Mittagstisch bei Ite. Bei Pauls habe ich erlebt, wie Köstlichkeiten aus eigenem Anbau vom Garten direkt auf den Tisch kommen – eingebaut in einen Alltag, der gefüllt ist mit Arbeit und Mittagsgebet, und der nicht viel Zeit lässt zum Kochen. Im Grunde hat die OJC ja damit begonnen, dass die Hofmanns ihren Tisch und ihr Leben geöffnet haben für junge Leute auf der Suche nach authentischem Christsein. Auch Jesus saß immer wieder und zu verschiedensten Anlässen mit Menschen beim Essen. Ich stelle mir die Tischgesellschaften Jesu sehr verbindend und einladend vor: Die Frauen und Männer, die mit ihm unterwegs waren, erfuhren hier Zugehörigkeit und konnten von sich erzählen. Wenn ich am Tisch erwartet werde und ein Platz für mich gedeckt ist, stiftet das Verbundenheit. Es kann also sehr entscheidend für mein Leben sein, mit wem ich so am Tisch sitze!
Was kann man erleben oder ausprobieren, wenn Besucher des Erfahrungsfeldes an diesem Tisch vorbeikommen?
Man kann typischerweise meistens etwas kosten: Es steht Saft bereit, oder im Herbst Trauben vom Schloss, ein Stück Brot oder eine Matze (ungesäuertes jüdisches Fladenbrot). Fragen regen dazu an, ins Gespräch zu kommen über Situationen bei Tisch, über Feste, die man schon mit der Familie oder mit Freunden gefeiert hat: An welche schön dekorierte Tafel erinnere ich mich? Wer war alles bei der letzten Familienfeier dabei? Was essen die Kinder besonders gerne? Welches Rezept für einen Buffetbeitrag hat vielleicht schon die Großmutter weitergegeben, oder welches habe ich vom WG-Kollegen in der Studentenzeit abgekupfert?
Dann lässt sich das Gespräch in Richtung des Bildes in der Mitte lenken: Jesus sitzt den Besuchern genau gegenüber. Er lädt sie ein, sich mit an den Tisch zu setzen. Das ist sehr spannend… Mit weißen Magnetschattenrissen sind die Figuren verdeckt, man kann aber dahinter schauen. Entdecken, wer da mit am Tisch sitzt und wie dieser oder jener Jünger sich zu Jesus stellt. Die Personen auf dem Bild haben verschiedene Haltungen, gestikulieren… Manchmal lade ich die Gruppe ein, die Haltung der Figuren nachzustellen. Dabei kommen interessante Gespräche zustande: „Der Jünger, der sich an Jesus schmiegt, hat mich angesprochen, weil er weibliche Züge hat und so entspannt aussieht, er sich wohl fühlt bei Jesus.“ Oft wird auch der Jünger links am Rand gewählt, weil er als ein nüchterner Zeitgenosse eher erst mal von Ferne schauen will, wer dieser Mann in der Mitte wohl ist.
Spannend finde ich, dass auch Besucher des offenen Erfahrungsfeldes, die zunächst einmal wenig Glaubenshintergrund mitbringen, doch durch die Betrachtung des Bildes herausgefordert werden, sich zu Jesus zu positionieren. Da geschieht eine Verkündigung durch die Begegnung mit dem Bild und durch das Gespräch der Besucher untereinander.
Wie hängt der Esstisch zusammen mit dem Abendmahlstisch?
Zunächst einmal sind sie äußerlich aufeinander ausgerichtet. Der Tisch bildet quasi die Verlängerung des zentralperspektivischen Bildes von da Vinci. Der Besucher wird mit hineingenommen in das Bild. Es verlängert sich sozusagen in die wirkliche Welt, wo man sich ganz real an den Tisch setzen kann.
Der innere Zusammenhang ergibt sich natürlich, wie es beim Essen mit Jesus eben auch war: Bei der Speisung der 5000 war es Abend, und die Leute mussten versorgt werden. In dieser Alltagssituation vermehrt Jesus das Brot, und die Jünger helfen ihm dabei. Aus einer alltäglichen Notwendigkeit wird ein Wunder, bei dem Gottes Großzügigkeit erfahren werden kann. Auch beim letzten Abendmahl saßen die Jünger zusammen, haben gefeiert und gegessen.
Erst am Ende gibt Jesus diesem Sederabend eine neue Bedeutung! Das Brot und der Wein, Essen und Trinken wird durch Jesu Deutung zu einem heiligen Moment, der auf seinen Tod, seine Auferstehung und seine Wiederkunft hinweist.
Ich weiß, es ist gewagt, die Verbindung zwischen etwas so Alltäglichem wie Essen und Trinken, Familie, Zugehörigkeit und Zusammensitzen und dem Heiligen Abendmahl zu ziehen. Aber gerade das ist doch das Spannende und geschieht bei uns ganz konkret, wenn wir nach dem Abendmahlsgottesdienst gemeinsam frühstücken!
Gibt es Pläne für die Weiterentwicklung der Station
Zunächst einmal gilt es, den Tisch konkret zu bauen. Bisher war es ein einfacher Biertisch, kaschiert mit einer Tischdecke. Umgesetzt wird das Projekt in Zusammenarbeit mit der Berufsschule Michelstadt, mit der uns eine freundschaftliche, kooperative Zusammenarbeit verbindet. Wir freuen uns sehr, dass die Schülerinnen und Schüler, die immer wieder zu uns aufs Erfahrungsfeld kommen, jetzt aktiv am Bau einer Station beteiligt werden. Sie können hier etwas Konstruktives schaffen und so Selbstwirksamkeit erfahren. Der Tisch soll aus unserem historischen Balkenmaterial hier auf dem Schloss hergestellt werden.
Außerdem sind wir gerade dabei zu entwickeln, wie man die Station gezielt mit Konfirmanden nutzen kann. Wie können wir die Gemeinschaft mit Jesus am Abendmahlstisch für sie erlebbar machen? Etwa indem wir zur Interaktion mit dem Bild anleiten und beim gemeinsamen Essen am Tisch als Mitarbeiter von unserem Unterwegssein mit Jesus zeugnishaft Anteil geben.
Geplant sind auch noch weitere Elemente, die man spielerisch mit dem Tisch verbinden kann, wie zum Beispiel Würfel, auf denen Fragen oder Zitate eingebrannt sind, über die man dann ins Gespräch kommen kann, oder geschnitzte Messerchen und Gäbelchen, dazu gedrechseltes Obst. Damit decken kleinere Kinder gerne den Tisch.
Und ganz nebenbei eignet sich der „Tisch des Willkommens“ auch als Vesperplatz für Schulklassen, Konfigruppen oder Besucher beim aktiven Sonntagsausflug. Sicher öffnet sich der Raum auch noch für weitere Begegnungen oder festliche Anlässe!
Die Fragen stellte Daniela Mascher.