Barometer und Permakultur. Studienwoche „Schöpferisch leben“ | OJC

Just Do It! Orientierung für Agenten des Wandels 

Gesellschaft

Probleme können nicht mit der selben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind!

Albert Einstein

Bunte Punkte

Markus Hofmann – Wir Deutschen sind in der privilegierten Lage, ­unser Denken, Planen und Handeln nicht bloß auf das Überleben der Familie am nächsten Tag auszurichten, sondern uns Gedanken über die globalen Zusammenhänge unseres Lebensstils machen zu können und noch die übernächste Generation im Blick zu haben. Der Club of Rome hat diese verschiedenen Dimensionen menschlichen Sorgens in „Die Grenzen des Wachstums“ auf einer Graphik mit Raum- und Zeitachse in kleinen schwarzen Punkten veranschaulicht. Schon als Schüler wusste ich: da oben rechts, da gehör ich hin, global denken mit Verantwortung für die Zukunft! Aber auf diesem Weg gab es Mauern zu überwinden und Grenzen zu überschreiten, zwischen Alt und Jung, analog und digital. Oft kam es anders als geplant, aber es hat Spaß gemacht! Verändern können wir die Dinge nur in Verbindung mit anderen. Werdet bunte Punkte, die in Wechselwirkung stehen! Kreativen Menschen gelingt es, Energien in anderen freizusetzen:  Greta Thunberg ist dafür ein Beispiel. Um die komplexen Fragen der Zukunft beantworten zu können, braucht es aber weniger Aktivisten, sondern mehr vernetzte Experten, die über ­ihre eigene Disziplin hinausschauen können und ganzheitlich handeln. Genau das ist die Herausforderung der Humanökologie. 

Krisen im Kontext 

Bevor wir uns den großen Fragen möglicher ­Zukünfte zuwenden, müssen wir uns zunächst ein möglichst umfangreiches Bild von der Wirklichkeit machen, uns dafür solides Wissen aneignen. Das Internet ist voll von Wissen, aber wie kommen wir zu verlässlichem Orientierungswissen, unserem eigenen Kompass? Da kann ich das Buch von Hans Rosling „Factfulness“ empfehlen, das dazu anleitet, das Übermaß an Informationen und Ereignissen in einen Kontext zu setzen und einer Überdramatisierung der Weltsicht entgegenzuwirken. Rosling nennt zehn Daumenregeln, die helfen, die ­Informationen rational – und nicht instinktiv – auf einer vernetzten Wissenslandkarte einzuordnen. Dazu gehört es, Risiken abzuwägen, schnelle und langsame Veränderungen zu unterscheiden, Wahrscheinlichkeit und Intensität eines Ereignisses einzuschätzen, und zurückhaltend zu sein mit einfachen Schuldzuweisungen. Agenten des Wandels sind Kundschafter und Grenzgänger.

Schöpferisches Denken bewirkt Veränderung

Meinen beruflichen Schwerpunkt bildet die Evolution sozio-technischer Systeme, die unser Leben entscheidend prägen. Technik ohne Menschen ist sinnlos, aber jede Technologie braucht Spielregeln! Seit der neolithischen Revolution haben schöpferische Menschen durch Innovation Lösungen für drängende Pro­bleme gefunden, wie etwa die Erfindung des Rades, des Buchdrucks oder der Dampfmaschine. Energieeinsatz erhöht Lebens­qualität, das ist die Erfahrung der letzten 5000 Jahre. So manche Innovation hat eine neue Ära eingeläutet. Innovationen sind pfadgebunden, sie setzen auf etwas Bestehendes auf und bringen es ein Stück weiter. (Carl Benz zum Beispiel hat die Kutsche motorisiert und so das Automobil erfunden). Die anspruchsvollste Änderung liegt im Verhalten der Menschen, das oft träge ist und schwer einzuschätzen! Manchmal geschehen Verhaltensänderungen unerwartet schnell, wie etwa die Smartphone­nutzung mit ihren revolutionären Möglichkeiten. Die Leute telefonieren plötzlich sogar im öffentlichen Raum über intimste Dinge – das war vor kurzem noch völlig ­undenkbar! Agenten des Wandels sind Architekten für Möglichkeitsräume und komponieren Zukunftsbilder.

Nicht nur der Markt regelt, ob eine Innovation sich durchsetzt. Es zählt auch, worauf die Industrie eingestellt bzw. was gesellschaftlich gewollt ist! Eine wichtige Rolle spielt zudem die herrschende Kultur, Werte und Glaubenssysteme sowie Vertrauensnetzwerke. ­Innovationen passieren nicht einfach zufällig, sondern folgen gewissen Regeln. In Deutschland etwa dreht sich vieles ums Auto, und Städte und Natur werden seit Kriegsende einem autozentrischen Paradigma untergeordnet. Warum? Das Auto ist ein Symbol für Wohlstand, denn es hat nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Geld ins Land gebracht, noch heute hängt jeder achte Arbeitsplatz am Automobil. Wie wäre es, wenn Mobilität für individuelle Freiheit stünde – nutzen statt besitzen? Bezahlbare Mobilität kann nachhaltig gestaltet werden und Digitalisierung kann dazu beitragen, z. . mit Hilfe von vernetzten Mobilitäts­angeboten mit autonomen Fahrzeugen, nicht nur in Berlin-Mitte, sondern bis in den Odenwald. Jeder zahlt, was er nutzt, und keiner muss sich für eine tonnenschwere Reiserennlimousine verschulden, die 95  ­ihrer Zeit nur rumsteht. Nachhaltige Mobilität würde unsere Städte verändern, den Ressourcenverbrauch verringern und die Umwelt entlasten, gleichzeitig werden sinnvolle Stellen in innovativen Mobilitätsnetzwerken geschaffen. Agenten des Wandels sind Botschafter mit Pro­blemlösungskompetenz.

Probleme sind nachwachsender Rohstoff

Zukunft war immer volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Sie gestalten kann nur, wer sich über­raschen lässt. In der Zeit meines Berufseinstiegs in den 80ern war Deutschland ein geteiltes Land im Kalten Krieg mit großen Spannungen und sogar Toten an der Grenze: volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig. Wie wahrscheinlich war der Fall der Berliner Mauer? Und von welcher Intensität war dieses Ereignis für die Betroffenen, in der DDR und Westdeutschland? Es ­waren schöpferische Menschen, die diesen Wandel eingeläutet haben. Dazu gehören die mit Kerzen und Gebeten bewaffneten Demonstranten in Leipzig wie auch die Verhandlungen zur Einheit von Helmut Kohl mit George Bush und Michail Gorbatschow. Vertrauen ist ein wesentliches Element im schöpferischen Prozess! Genauso die Bereitschaft, Probleme als „nachwachsenden Rohstoff “ zu nutzen. Agenten des Wandels entwickeln so etwas wie Ambiguitätskompetenz.

Werdet schöpferisch! Stellt euch auf Widerstand gegen Veränderung ein, das ist menschlich. Aber lasst euch durch Mauern nicht einschüchtern, denn Mauern entstehen zuerst im Kopf. Über manche kann man springen, bei anderen muss man drum herumgehen oder sie zum Einsturz bringen. Ganz selten verschwinden sie von selbst. Macht euch klar, dass das Leben kein Spaziergang ist. Auch der christliche Glaube eröffnet keine Rolltreppe zum Erfolg. Haltet die Augen offen, sucht euch Verbündete. Probiert vielversprechende Wege zu eurem Ziel aus. Fixiert euch nicht auf einen Weg. Seid bereit zu scheitern, aber ruhig auch mal ­mutig, unkonventionell oder dreist! Denkt über euer Fachgebiet hinaus und handelt so, wie es dem Menschen entspricht, mit Kopf, Herz und Hand. Seid schöpferisch. Werdet bunte Punkte! 

Agenten haben keine Angst vor der Zukunft: Just do it!

1 Karsten Huhn, Berlin

 

Von Markus Hofmann

 

Salzkorn 4 / 2020: (W)erschöpft? Ökologie und Hoffnung
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