Junge Christen aus dem Libanon

„Ich kann nicht einfach gehen!“

Rahel Rasmussen – Als ich Teenager war, hätte ich nie gedacht, dass mich eines Tages der Sohn unseres Pfarrers und Schulleiters in einem anderen Land besuchen würde. Damals lebte ich in einem Dorf im Libanon; heute in einem Dorf in Deutschland. Damals war das erwähnte Kind ein Baby, heute ist es ein junger Mann, der in der Hauptstadt des Libanon, in Beirut lebt. Damals war ich Jugendliche, heute bin ich Mutter und Kommunitätsmitglied. Diesen Sommer sind wir uns begegnet und ich staune, wie sich im Laufe des Lebens Horizonte in Raum und Zeit weiten, und wie Gott unscheinbar wirkende Verbindungen zu neuem Leben weckt.

Fünf junge Erwachsene aus dem Libanon und ihr Jugendpfarrer, Datev Basmajian, besuchten uns im Juli in Reichelsheim. Alle engagieren sich in der Jugendarbeit verschiedener armenisch-evangelischer Kirchen in Beirut. Als Mitglieder der internationalen und überkonfessionellen Jugendbewegung „Entschieden für Christus“ waren sie zu einem Jahrestreffen nach Deutschland gereist. Da wir als OJC seit 2021 Projektpartner im Libanon haben, waren wir gespannt darauf, junge Menschen aus diesem Kontext persönlich kennenzulernen und von ihren Lebensumständen zu hören (siehe rechts).

Bei gemeinsamen Mahlzeiten, im „Land der Achtsamkeit“ im Erfahrungsfeld auf Schloss Reichenberg, beim Erzählabend in großer Runde, als Touristen in Heidelberg und beim Tanzen verschiedenster internationaler Tänze kamen wir uns näher.

Überrascht und berührt haben mich folgende drei Beobachtungen: Unsere Gäste waren an uns interessiert, z. B. an unserem kommunitären Leben (im Nahen Osten gibt es zwar monastische Traditionen; aber was eine Kommunität ist, war für sie neu). Sie wollten auch hören, wie man als Christ in einer säkularisierten Gesellschaft leben kann.

Obwohl sie aus sehr belastenden Lebensumständen kamen, haben die jungen Libanesen nicht gejammert. Die Frage nach dem Bleiben oder Emigrieren wurde als echte Herausforderung und Spannung benannt. Die Schwere der Situation war spürbar im Raum. Hovsep (22) sagte, „Ich liebe dieses Land. Ich kann nicht einfach gehen.“ Und Nancy (22) erzählte, dass es ihr Mut gemacht hat zu sehen, wie in einer der schwersten Stunden Beiruts (nach der Explosion 2020), Menschen aus unterschiedlichen Religionen, Konfessionen und Parteien gemeinsam die Stadt aufgeräumt und den Bedürftigen geholfen haben (während der Staat passiv blieb). Das stärke sie und gebe ihr Hoffnung.

Und schließlich beeindruckte mich, wie aktiv sie, neben Arbeit und Studium, in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert sind: Sie gestalten wöchentlich ein spielerisches und geistliches Programm für Kinder und junge Erwachsene. Sevag (19) erzählte, dass der gemeinsame Sport und das Bibellesen danach nicht nur die anderen, sondern auch ihn als Verantwortlichen stärke. Auch Sommerfreizeiten gestalten sie und ermutigen auf Social-Media-Kanälen viele junge Menschen in ihren Lebensfragen und im Glauben an Jesus Christus.

 

Datev Basmajian
Vom ersten Moment unserer Ankunft an spürten wir die Liebe und Gastfreundschaft der Familie Christi. Es war für alles gesorgt. Es war auch inspirierend, in einem großen Kreis zu sitzen und über persönliche Herausforderungen zu sprechen. Ich glaube, dieser geschützte Raum ermöglichte es mir und der Gruppe, über das zu sprechen, was in jedem von uns vorgeht. Auch die Teambuilding-Aktivitäten im Schloss haben uns gefallen.
Ich möchte mich bei der Gemeinschaft dafür bedanken, dass sie uns diese großartige Gelegenheit gegeben haben, sie kennenzulernen.

Klaus Sperr
Nachhaltig beeindruckt war ich von diesen jungen Menschen selbst. Sie könnten ihr krisenhaftes Land verlassen, und tun es doch nicht. Vorsätzlich nicht! Die heilsame Zuwendung Gottes, die sie persönlich erlebt haben, wollen sie in ihrem Volk weitergeben und so wirksam werden lassen. Ich bin überzeugt: Nur mit solchen jungen Menschen hat eine so tief gespaltene und verwundete Gesellschaft auch Zukunft!

Maria Bzdkian
Mein Besuch in Reichelsheim war wirklich inspirierend. Der Gemeinschaftssinn war bemerkenswert. Die Gastfreundschaft und Fürsorge, die uns entgegengebracht wurden, waren herzerwärmend, und das gemeinsame Frühstück bei einem älteren Ehepaar, bei dem wir über unseren Dienst und unser Leben sprachen, empfand ich als eine besondere Verbundenheit.

Stefanie Freund
Die Begegnung mit den Libanesen hat richtig gut getan. Es war echt schön, eine neue Kultur kennenzulernen und auch meine mit ihnen zu teilen. Ich bin sehr dankbar für den Kontakt, den ich bis heute noch habe.

George Al-Sahili
Die Erfahrung, die ich in Reichelsheim gemacht habe, war eine, die mich in die Jahre zurückversetzt hat, als ich meine Kirche zum ersten Mal im Zeltlager kennengelernt habe. Ich war schon immer von der Idee der Gemeinschaft fasziniert. Nach den Tagen in der OJC wurde mir klarer, dass unser christlicher Glaube in einer Gemeinschaft existiert. Als gläubiger Mensch sollte ich immer in drei Dimensionen denken: an Gott, mich selbst und meinen Nächsten. Ich habe gespürt, wie diese dritte Dimension durch meinen Besuch in Reichelsheim genährt werden kann und bin zutiefst dankbar für diese Erfahrung.

Günter Belz
Begeistert war ich vom Erzählabend unter der Leitung von Jugendpastor Datev Basmajian. Hier erzählte jede und jeder aus der Gruppe, was sie im Libanon hält. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage im Land übernehmen sie Verantwortung und gestalten ihre Gesellschaft mit.

Für mich persönlich schloss sich mit dieser Begegnung ein Kreis von internationalen Jugendbegegnungen in der OJC. Begonnen 2012 mit einem internationalen Baucamp, verschiedene weitere Begegnungscamps, mit Roma vom Balkan und aus Ungarn, über junge Israelis bis heute. Dankbar und hoffungsvoll machen mich diese jungen Menschen der nächsten Generation, die Glauben weitertragen und in ihrem Land gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen.

 

Seit 2021 unterstützt die OJC die Arbeit von Pfarrer Raffi Messerlian und der Armenisch Evangelischen Union in Beirut u. a. durch die Mitfinanzierung von Solaranlagen auf dem Schulgebäude. Der durch Misswirtschaft und Korruption bankrotte Staat kann seine Bürger mit nur einer Stunde Elektrizität am Tag versorgen. Der Wertverlust der libanesischen Lira beträgt seit Oktober 2019 etwa 95 Prozent. Vier von fünf Libanesen leben in Armut. Vor fünf Jahren waren es nur einer von fünf. Das Land hat geschätzte 4,5 Mio. Einwohner auf einer Fläche von nur 10,452 km². Hinzu kommet etwa 1,5 Mio. Flüchtlinge aus dem bürgerkriegsgeschüttelten Nachbarland Syrien. Die Pandemie und die Explosionskatastrophe am 4. August 2020 haben das Land zusätzlich schwer gebeutelt. Durch die solare Stromversorgung können Gelder, statt in Energiekosten, in Gehälter für Lehrer und Schulmaterial gesteckt werden. Das entlastet Familien und ermöglicht Bildung trotz einer enorm angespannten wirtschaftlichen Situation. Auch für Lunchpakete für Schüler und die Ausstattung der Klassenzimmer einer Grundschule hat die OJC Geld aus der Weihnachtsaktion weitergeleitet.

Salzkorn 4 / 2023: Gefährten
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