Wendezeiten

Die Mitte verbindet

1968 – in dem Jahr, in dem weltweit eine Revolution der Jungen, Kritischen und Unzufriedenen stattfand, lud eine Handvoll Christen junge und unzufriedene Menschen ein unter dem Motto: „Alle reden von Revolution, wir auch!“ Statt „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ ging es um eine Revolution der Liebe.  Und wir – ca. 100 Schüler und Studenten, die an dieser ersten OJC-Konferenz teilnahmen, würden dabei sein dürfen. Ich war damals 17 und ließ mich auf diese Hoffnung und als Eigenbrötlerin auf eine Beziehung zu Jesus ein, die mein Leben umkrempelte.

Was war meine Wende?

Eine Mitarbeiterin fragte mich, was mich so beschäftigte. Der tiefe Konflikt mit meinem Vater lag ganz obenauf. Ich erzählte zum ersten Mal in meinem Leben einem Menschen, wie enttäuscht und verbittert ich über ihn war, dass ich ihn verachtete und fürchtete. Sie überraschte mich dann mit der Frage: „Was würde deinem Vater helfen, sich zu ändern?“ Meine Antwort überraschte mich selbst auch: „Liebe“. Das muss mir der Heilige Geist eingeflüstert haben. Ich beschloss, mich von der alten negativen Beziehung zu trennen und bat Gott um eine neue. Ich weiß noch, dass ich zu ihm sagte: „Ich werde dir glauben, dass es dich ganz real für mich gibt, wenn sich in den nächsten Monaten die Beziehung zu meinem Vater verändert.“ – In diesem Moment erkannte ich, dass es auch Unrecht auf meiner Seite gab und dass ich selbst Vergebung brauchte. Zuhause konnte ich auf meinen Vater zugehen und mich bei ihm entschuldigen. Das hat ihn berührt und angerührt. Eine neue Beziehung entstand zwischen uns. Es dauerte noch viele Jahre mit viel innerer Arbeit und äußeren Schritten, aber als er mit ­94 Jahren starb, hatten wir eine vertrauensvolle, herz­liche und ausgesöhnte Beziehung. Der Glaube hat in meinem Leben immer wieder Versöhnung ermöglicht, Aussöhnung mit mir und mit anderen.

Der erste Aufbruch

Mehr als die Hälfte der kritischen jungen Leute hatten sich auf jener Tagung entschieden, „mit Gottes ­Hilfe von nun an als offensive junge Christen zu leben“. Wie war es zu diesem Aufbruch gekommen? Diese erste Konferenz fand auf dem Gelände der Ev. Marienschwestern in Darmstadt statt. Ein engagiertes Team von Christen stand für Vorträge und Gespräche bereit. Aber der ersehnte geistliche Aufbruch blieb erst einmal aus. Die Verantwortlichen fragten sich (so erzählten sie uns später immer wieder): „Warum geschieht nichts? Wenn die Botschaft stimmt, wo liegt dann das Hindernis?“ Sie stellten fest, dass es zwischen ihnen unbereinigte Spannungen, Verletzungen, Neid und Rivalität gab. Einer fing an, seine Schuld zu sehen und einzugestehen. Das löste eine Kettenreaktion von Ehrlichkeit aus, die alle vor Gott neu zusammenbrachte – und schenkte den Durchbruch. Als die Mitarbeiter spät am Abend den Raum verließen, standen zu ihrer Überraschung einige junge Teilnehmer vor der Tür und suchten das persönliche Gespräch. Der Heilige Geist und die neue Einheit unter den Leitern hatte das Klima verändert. Viele der jungen Leute fanden zu einem Neuanfang, suchten Vergebung und fanden ein neues Ziel für ihr Leben. Es war der Beginn eines geistlichen Aufbruchs, ein „Kairos“ – ein besonderer, von Gott bereiteter Augenblick, und die OJC wurde damals Teil einer europaweiten Erweckung.

Ein neuer Durchbruch

Von Anfang an schlug das Herz der OJC-Großfamilie, dieser lebendigen Lebensgemeinschaft, im Abendmahl an jedem Freitagmorgen in unserer Kapelle. ­Diese Feier, in der wir rund um den Altar stehen – ­alle in gleichem Abstand und gleicher Nähe zur Mitte – ist zentrale Mitte unserer Gemeinschaft: alle gleich vor Gott, alle begnadigte Sünder, alle berufen in die Nachfolge, jeder mit seinen Gaben und Wunden, seinen Stärken und Mängeln. OJC – da hatte für mich etwas aufgeleuchtet von: das Leben an der Seite Jesu ist aufregend, anregend, herausfordernd! Aber in langen Jahren als Mitarbeiterin merkte ich, dass es auch überfordernd ist. Das lag natürlich daran, dass immer etwas los war und ständig Menschen kamen, aber auch daran, dass ich durch und durch Idealist war. Ich erwar­tete ganz viel von mir, stürzte mich voll
Eifer in das neue Leben, in Aufgaben und Beziehungen. Und erwartete auch ganz viel von den anderen, was die weder halten konnten noch wollten. Ich war erschöpft und tief frustriert. Nach mehr als 25 Jahren Mitarbeiterschaft fragte ich mich ernsthaft, ob ich nicht weggehen sollte und irgendwo anders einen Neuanfang wagen. Ich war fertig mit der OJC. Bei mir bewegte sich nichts mehr, und ich wusste auch nicht, ob die OJC noch viel bewegte. Wenn sich nichts verändern würde, wollte ich nicht länger bleiben.

Was brachte diesmal die Wende?

Dann kam der 14. September 2000. Ich kann hier natürlich nur meine Sicht dieses Ereignisses erzählen. Ein Leiterwechsel stand an. Ein heftiger Konflikt mit der alten Leitung war aufgetaucht. Wir wussten nicht, ob der junge Nachfolger nach einer anstehenden Krisensitzung noch in der OJC bleiben oder einen Umzugswagen bestellen und mit seiner Familie weggehen würde. Er war gerade mal sechs Wochen da. Wir Mitarbeiter hatten uns in der Schlosskapelle versammelt, um für die Sitzung und um Klärung innerhalb des Vorstandes zu beten. Wir bestürmten den Himmel, dass Klarheit und Wahrheit ans Licht kommen würden – und der Himmel hat ganz unerwartet geantwortet, ganz anders als erwartet: Wir sahen nicht mehr nur die Not der anderen, sondern plötzlich unsere eigene! Einige von uns gingen auf die Knie, ich auch, und bekannten Gott Versäumtes und Verfehltes der letzten Jahre. Ein Gebet hat mich ganz besonders getroffen: „Wir haben geredet, wo wir hätten schweigen sollen, und geschwiegen, wo wir hätten reden sollen.“ ­Diese Bußgebete waren der Anfang eines Prozesses, in dem wir alle uns verändert haben. Auch er dauerte ein paar Jahre – hat aber zu neuem Vertrauen unter uns Mitarbeitern geführt. Das war dann eine wichtige Voraussetzung, dass wir 2008 die Kommunität gründen konnten. In der Bundesfeier wurde das mit dem Abendmahl besiegelt. Erweckungen sind ein Monopol des Heiligen Geistes; sie sind immer befristet. Nach einem Aufbruch kommt eine Institutionalisierungsphase. Aber jede Genera­tion bekommt im Rahmen des Auftrags, den Gott ihr gegeben hat, die Herausforderung, für ihre Zeit neu das Evangelium glaubwürdig und ansteckend zu bezeugen – mit ihrem Leben, Reden und Tun. Und mit ihrer immer neuen Umkehr. Die OJC hat als Bußbewegung begonnen und ist das bis heute geblieben. Sie hat vielen Menschen geholfen, sich ihrer Schuld und ihrem Versagen zu stellen. Ein Zeichen dafür ist das Abendmahl, jeden Freitagmorgen um ­­

7 Uhr, wenn wir – alle in gleichem Abstand und gleicher Nähe zur Mitte, alle gleich vor Gott, alle begnadigte Sünder, ­alle berufen in die Nachfolge, jeder mit seinen Gaben und Wunden, seinen Stärken und Mängeln – einander nach dem Zuspruch der Vergebung die Hände geben und einander zusprechen: „Der Friede Gottes sei mit dir.“

Salzkorn 3 / 2019: Miteinander
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