Störende Stille

Entdeckungsreise zu Gott und zu mir

Johannes I. – 2018/19 lebte ich als FSJler bei der OJC auf Schloss Reichenberg. Alle OJCler sind jeden Morgen alleine eine Stunde lang in Gottes Gegenwart: Sie nennen es Stille Zeit. Wir FSJler wurden von Anfang an mit hineingenommen mit einem ­Stilleauftakt (eine kurze Morgenandacht) als gemeinsamem Start in die Stille. Mit der Zeit ­wurde der Stilleauftakt seltener und schließlich ganz weggelassen, um Selbstständigkeit und Disziplin für das spätere Leben zu trainieren.

Der Stille gegenüber hatte ich ­keine großen Erwartungen. Sie war mir unbekannt und ich dachte: Ich probiere es mal aus, bin aber eigentlich davon überzeugt, dass das nichts für mich ist und dass ich damit nach dem Jahr wieder aufhören werde. Ich habe in der Stillen Zeit zunächst nichts gesucht und nichts gefunden. Oft war mir auch mein Schlaf wichtiger und ich kehrte nach dem Stilleauftakt ins Bett zurück.

Drei Monate vor Ende des Jahres merkte ich, dass sich bei mir eine Routine eingeschlichen hatte. Jeder Tag verlief gefühlt gleich, war von anstrengender Arbeit geprägt und sämtliche Programme wurden zur lästigen Einschränkung meiner Freizeit. Vieles störte mich und meine Stimmung sank.

Dann begann sich mein Blickwinkel zu verändern: Was mich an meiner Umgebung störte, trat in den Hintergrund und ich erinnerte mich daran, warum ich mich für das FSJ entschieden hatte: Weil ich begeistert von einer lebendigen Nachfolge bin und in der OJC die Möglichkeit sah, Neues zu entdecken und auszu­probieren. In mir erwachte die Sehnsucht, im Innersten verwandelt zu werden und meine Probleme und Ängste entschlossen anzugehen.

Ich begann leidenschaftlich dafür zu beten und ­suchte nach einem Weg, auf Gott zu hören, damit ich mich von ihm verändern lassen und er mir Neues zeigen konnte. Und plötzlich dachte ich (zum ersten Mal begeistert): Die Stille Zeit ist dafür DIE Möglichkeit. Und sie begann sich nun wie von selbst intensiv zu gestalten. Jetzt füllte sie sich ohne Probleme mit Dingen, die mir wirklich auf dem Herz lagen. Ich wurde auch dankbar, dass uns viele Mitarbeiter erzählt hatten, wie sie ihre Stille gestalten, denn nun ergab für mich manches einfach Sinn! Am Anfang der Stillen Zeit schrieb ich auf, was mich ablenkte, denn nun wollte ich mich zusammen mit Gott unbedingt wichtigen Dingen widmen, und ein voller Kopf schränkt die Aufnahmefähig­keit und Denkkraft enorm ein. Auch das Bibellesen machte plötzlich viel mehr Spaß. Ich kreiste nicht mehr um Kleinigkeiten, die nicht in meine Sicht von „richtig“ und „falsch“ passten oder darum, unbedingt mein Bibelwissen auszubauen, um meine eigentlich schon feste Meinung abzusichern. Sondern die Bibel hilft mir, meine Sichtweisen und Vorstellungen gründlich zu überarbeiten, so dass Veränderungen im Alltag spürbar werden. Ich erlebe Vorbilder, aber fühle mich oft hilflos, vor allem, wenn ich immer wieder auf die gleiche Weise scheitere. Ich komme dann gerne in der Stillen Zeit zu Gott und sehne mich nach Verwandlung. Da kann mir Gottes Wort helfen: Es erinnert mich oder lenkt meinen Blick in eine neue Richtung und ich entdecke eine Tür in der Wand. Selten passt die Bibelstelle sofort zu meinem aktuellen Problem und die Veränderung kommt meistens auch nur schleichend. Aber ich lese die Bibel begeisterter, weil sie immer Gottes Wahrheit enthält, die mein Wesen verändert, wenn ich ihr nachspüre.

In der Stille lerne ich, mich zu reflektieren und ehrlich zu mir selber zu sein. Dies gelingt mir, wenn die Begeisterung für eine Veränderung größer ist als die Angst vor meinen eigenen Unzulänglichkeiten. Ich merke, dass ich nur an mir selbst arbeiten kann; deshalb möchte ich in der Stillen Zeit aufhören, meine Umgebung zu beschuldigen und bei mir selber schauen, was verbessert werden kann. Ich habe früher oft einfach nur gebetet, Gott möge doch bitte etwas ­ändern, und wenn meine Bitte mit Gottes Wahrheit nicht zusammenpassen sollte, wollte ich Gott das letzte Wort überlassen.

Langsam verstehe ich aber, dass es letztendlich nicht um äußerliche Wunder, sondern um eine tiefgreifende Verwandlung im Menschen geht. Diese kommt, wenn ich Gott ehrlich meine Schwächen hinhalte und sie heilen lasse. Und das kann ich, wenn mich Gott mit Glauben erfüllt. Denn alles, wo ich lieber nicht so genau hinschaue, weil ich Angst davor habe, vor mir selber zu erschrecken, kann ich durch den Glauben in dem Wissen wahr sein lassen, dass Gott es heil machen wird. Dann erwächst etwas so Wunderbares daraus, wie ich es vorher kaum erahnen konnte.

Auch freut es mich, dass ich in der Stillen Zeit für andere beten darf und dabei leidenschaftlicher und herzlicher geworden bin. Ich wünsche mir, dass ich auch darin noch weiter wachse und immer liebevoller werde.

Aber das gibt es auch, dass ich trotz erfüllter Stiller Zeit dann doch nicht weiterkomme und verzweifle. Dass ich Tage erlebe, in denen die Begeisterung ausbleibt und ich mich aufraffen muss, ich sie vergesse oder andere Dinge für wichtiger halte. Auch an Regelmäßigkeit und Disziplin kann ich noch arbeiten. Doch ich merke eine Verwandlung.

In den letzten Monaten meines FSJ bin ich am meisten weitergekommen. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar. Besonders auch für die Dinge, die mich vorher gestört haben, weil genau das die Herausforderungen und die neuen Wege waren, wie ich sie mir von dem Jahr erhofft hatte. Je unvoreingenommener und demütiger ich wurde, desto mehr konnte ich die Ereignisse zum Guten für andere und mich nutzen. Es ergaben sich häufiger tiefe Gespräche. Ich bin zufriedener geworden, kann Schwierigkeiten und Herausforderungen konstruktiver und begeisterter entgegentreten, meine Zeit besser nutzen, lerne mehr, richte weniger und erhalte für die guten Dinge einen dankbaren Blick.

Trotzdem bin ich noch ganz am Anfang und ­merke ­immer wieder, dass ich bisher nur einen kleinen Bruchteil kennengelernt habe. Andere mit jahrelanger Erfahrung können von Möglichkeiten und Erfahrungen der Stillen Zeit erzählen, zu denen ich noch lange nicht vorgedrungen bin. Hier gilt: Übung macht den Meister.

Johannes gehörte zum Jahresteam 2018/19. Er studiert jetzt Architektur in Buxtehude

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