Du ≠ Ich

Wir lassen uns (gern) überfordern

Wir sind eine große, vielstimmige Gemeinschaft. Das ist ein Schatz, der mich allerdings oft überfordert. Die Stimmen der anderen erscheinen mir laut und präzise und je mehr ich sie höre, desto weniger kann ich meine einbringen. Immer wieder merke ich, dass mich diese Vielstimmigkeit und Unterschiedlichkeit beschäftigt und emotionale Kraft kostet. Damit ich darin nicht stecken bleibe und verstumme, ist für mich die Stille am Morgen eine wichtige Zeit der Ausrichtung. Im Alleinsein vor Gott kann ich anschauen, was mich herausfordert und ärgert und Klarheit für mich gewinnen. Das hilft mir, den Anschluss an die andern nicht zu verlieren.

Heidi Sperr, * 1963

Ein Konflikt bringt mich immer in Kontakt mit mir selbst. Mein Umgang damit wird gesteuert von Glaubenssätzen über mich wie: „Ich bin weniger wert als andere.“ Das bringt mich dazu, den Konfliktpartner als übermächtige Bedrohung wahrzunehmen und mich selbst als ohnmächtig. Schwupps – haben wir den Konflikt! Was hilft? Zuerst: Den eigenen Aussagen über sich selbst auf die Spur kommen. Dann: Mit dem Anderen in Verbindung bleiben. Wenn dies gelingt, wird die Lösung uns finden!

Gerlind Ammon-Schad, * 1964

Das Miteinander braucht viel, viel Zeit! Wir brauchen gemeinsam verbrachte Zeit, um uns kennenzulernen und vertraut zu werden. Sich einladen, sich austauschen, gemeinsam schöne Dinge erleben, aber auch Zeit für aufrichtige Begegnungen. Da gibt es auch keine Abkürzung, so lieb mir das manchmal wäre. Konflikte entstehen, und es braucht Zeit, in der sie ausgehalten und bearbeitet werden, und wieder Zeit, um sie zu klären. Und dann wirken die vielen unterschiedlichen Begegnungen in mir noch nach, und ich brauche Zeit, um sie zu verarbeiten.

Meike Richter, * 1976

Grundsätzlich möchte ich, dass sich andere trauen, sich mir so zu zeigen, wie sie sind. Das möchte ich selbst in der Gemeinschaft ja auch: mich zumuten dürfen. Gerade auch in meiner eigenen Andersartigkeit. Und spüren dürfen: Genau so gehöre ich ganz dazu. Aber diese Unterschiedlichkeit bringt mich auch an meine Grenzen. Manchmal passt mir etwas am Lebensstil, an der Meinung, an der Haltung des Anderen nicht. Dann versuche ich, den Anderen in seiner Unterschiedlichkeit nicht zu bewerten, sondern zu akzeptieren und möglichst auch zu verstehen. Und bevor ich nur auf den Anderen schaue, ist es gut, mich selbst besser zu verstehen. Mir hilft dabei mein Seelsorger. Prinzipiell möchte ich mich und andere ermutigen, bestehende Konflikte auszusprechen, anzugehen und damit die Beziehung zu wagen.  Miteinander ausgestandene und akzeptierte Unterschiedlichkeit können uns einen und verbinden und führen zur gewünschten Gemeinschaft.

Gerd Epting, * 1971

Auch wir in der Kommunität leben in einer vorläufigen, gefallenen Welt und fallen immer wieder in Schuld – auch aneinander, weil es schwerfällt, die Andersartigkeit der anderen zu akzeptieren. Da hilft uns unser wöchentliches Abendmahl. Zur Liturgie gehört die Beichte, wo wir beten: „Vergib uns auch, wo wir unsere Schwester, unseren Bruder nicht geliebt haben.“ Und als Zeichen unserer Vergebungsbereitschaft geben wir einander den Friedensgruß: „Gottes Friede sei mit dir.“ Jeden Freitag­morgen „stehen wir am Quellgrund der Gemeinschaft. Hier ist der Ort, an dem wir unsere Schuld, unsere Verletztheit und unsere Hoffnungslosigkeit eintauschen gegen seinen Frieden“ (OJC-Grammatik). Dadurch wird die Gemeinschaft fortwährend geheilt, befriedet und erneuert.

Joachim Hammer, * 1942

Im Gemeinschaftsleben entstehen in uns Bilder vom anderen, ob wir es wahrnehmen oder nicht. Ich deute unwillkürlich unsere Erfahrungen im Alltag, seien sie wohlwollend oder kritisch. An sich kein Problem. Zur Gefährdung wird es, wenn der Gefährte oder die Freundin zum „Feind“ wird. Je mehr Distanz zwischen uns entsteht, desto fantastischer wachsen die (Feind-)Bilder. Höchste Zeit, die Begegnung zu suchen. Manchmal geht das nicht ohne Stoßgebet und inneren Schubs. Immer neu ein Wunder: In der aufrichtigen Begegnung mit der Wirklichkeit zerplatzen die Bilder, die so viel Raum eingenommen hatten. Wir erleben uns als verbundene Geschwister.

Angela Ludwig, * 1950

Salzkorn 3 / 2019: Miteinander
⇥  Magazin bestellen oder PDF downloaden
Vorheriger Beitrag
Wie kommt das „Wir“ vom Fleck?
Nächster Beitrag
Freund oder Feind?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Weitere Artikel zum Thema

Archiv