Stern und Futterkrippe

Menschwerdung – Wie Weihnachten unseren Größenwahn unterläuft

Ein Körper, der nicht altert oder krank wird, für den bisher gekannte physische und biologische Grenzen nicht mehr gelten;1 ein Leben ohne Tod, Trauer, Klage und Mühsal2 – diese Zukunftsvision teilen sich Bibel und Transhumanismus. Man kann den Transhumanismus daher sogar als Zeugen für eine tiefe Sehnsucht in uns nach einem erfüllten, glücklichen Leben bezeichnen. Nach dem Leben, für das uns Gott letztendlich geschaffen hat! Hier enden für mich dann aber auch schon die positiven Seiten dieser Denkrichtung, die „Menschsein“ technologisch weiterentwickeln und übersteigen will.3 Denn gleichzeitig ist sie auch ein Zeuge für die Hybris, mit der wir Menschen zu kämpfen haben und der wir nach dem Schöpfungsbericht schon von Anbeginn an erlegen sind: Der Anmaßung, uns etwas nehmen zu können, das unverfügbar ist und das man nur geschenkt bekommen kann. Oder mit anderen, ganz frommen Worten gesagt: Es fällt uns grundsätzlich schwer anzuerkennen, dass wir nicht alles in der Hand haben, sondern in Gottes Hand sind.
Auf die gemeinsame Sehnsucht nach einem Leben ohne Leid und Tod, dafür mit ungeahnter Glückseligkeit, geben Transhumanismus und Christentum zwei völlig unterschiedliche Antworten.

Um beide vergleichen zu können, müssen wir einen kurzen Blick auf das jeweilige Menschenbild werfen. Das ist gar nicht so leicht. Denn zusätzlich dazu, dass einzelne Transhumanisten sehr unterschiedliche Ansichten vertreten und Begriffe wie Körper, Gehirn, Bewusstsein, Geist, Seele, Persönlichkeit usw. nicht einheitlich nutzen, fehlt es bisher überhaupt an einer wirklich grundlegenden, metaphysischen Auseinandersetzung mit der Frage „Was ist der Mensch?“.4 Feststellen lässt sich aber eine Tendenz, den Menschen auf das Mentale5 zu reduzieren.
Technisch gesprochen und etwas verkürzt dargestellt wird „Persönlichkeit“ zu reiner Information, zu einer Art Software. Der Körper ist zwar Träger dieser Persönlichkeits-Daten und bedingt sie auch genetisch und/oder durch neuronale Prozesse, aber wie jede Hardware ist er veränderbar und vielleicht sogar ganz austauschbar. So wie beim sog. „Mind-Uploading“, der radikalsten Vision des Transhumanismus, bei dem das „Bewusstsein“ völlig von einem biologischen Körper abgelöst wäre. Was dieses „Bewusstsein“ genau sein soll und ob das, was da (theoretisch) hochgeladen werden würde, tatsächlich deckungsgleich mit der ursprünglichen „Person“ wäre, bleibt, wie gesagt, unbeantwortet.

Der Weg zum neuen Menschen…

Doch selbst wenn wir so utopische Gedankenspiele wie eine „digitale Unsterblichkeit“ zuließen, würden sie uns dennoch keine Sicherheit bieten. Der Mensch wäre abhängig von der Technik oder von denjenigen, die diese kontrollieren. Solange es mehr als ein „Individuum“ gibt, können Interessenkonflikte und Missbrauch auch der ausgeklügeltsten Maschine nicht ausgeschlossen werden. Diese Antwort auf die Sehnsucht nach einem Leben in Fülle bleibt mehr als unbefriedigend. Denn wenn man die Hoffnung auf den technischen Fortschritt zu Ende denkt, garantiert er keine Auslöschung allen Leidens. Und Glück schon gar nicht. Er taugt also nicht mal als Vertröstung auf eine paradiesische Welt in ferner Zukunft für die, die eine nächste, bessere Evolutionsstufe wie auch immer erreicht haben sollen.
Bibel und Christentum sehen den Menschen als ganzheitliches Wesen, bei dem man zwar unterschiedliche Aspekte betrachten, diese aber nicht voneinander abtrennen kann. Der Körper ist hier keine Hardware für die eigentliche Persönlichkeits-Software. Gegen ähnliche Vorstellungen in beispielsweise Gnosis, Manichäismus oder später bei den Katharern hat sich die Kirche immer entschieden gewehrt. Was das zukünftige Sein des Menschen betrifft, genießt der Christ gegenüber dem Transhumanisten einen entscheidenden Vorteil. Obwohl er ebenfalls nur von etwas sprechen kann, was für ihn noch nicht völlig vorstellbar ist, muss er doch nicht aus der reinen Theorie schöpfen, sondern kennt sogar schon einen Vertreter dafür: Jesus Christus.
An ihm wird deutlich, dass es sich nicht um eine neue Stufe der Evolution handeln wird, um etwas, das über (trans) den Menschen hinausgeht, sondern um seine Erfüllung, seine höchste Berufung, die von Anfang an in ihm grundgelegt ist: Gemeinschaft mit Gott und Teilhabe am göttlichen Leben. Der nächste Vorteil: Das ist keine bloße Zukunftsmusik, weil es jetzt schon angebrochen ist. Trotz Leid und Tod dürfen wir es bereits bruchstückhaft erfahren und die Vollendung in der kommenden Welt erwarten.

… ist die Menschwerdung Gottes

Der Weg dahin ist gerade nicht das verzweifelte Ringen des Menschen um Kontrolle durch technischen Fortschritt. Der Weg dahin ist die Menschwerdung Gottes. Weder gibt Jesus dabei seine göttliche Natur auf, noch wird er nur dem Äußeren nach Mensch. Er nimmt die menschliche Natur an, liefert sich der Begrenzung und Niedrigkeit des Mensch-Seins mit allen Konsequenzen aus.
Nicht durch das Vermeiden von Leiden, nicht am Tod vorbei, sondern durch SEIN Leiden und SEINEN Tod hindurch erlöst er uns Menschen aus der Vergänglichkeit ins Leben bei Gott hinein. Die Auferstehung ist keine Überwindung der Körperlichkeit, kein Abstreifen einer bloßen Hülle. Jesus begegnet den Jüngern leibhaftig und Thomas kann sogar seine Hand in seine Seitenwunde legen.6 So wird es auch bei uns sein. Der erste Korintherbrief benutzt dafür das Bild eines Samens:

Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.
1 Kor 15, 42b-44a

Auch wenn alle Bilder ihre Grenzen haben, ist das ein viel treffenderes Bild für uns, unseren Körper und wie wir sein werden, als alle Metaphern aus dem Bereich der Technik wie z. B. die der Maschine, des Computers usw. Das, was der Same werden soll, ist schon in ihm angelegt. Sein Sinn besteht nicht darin, immer ein Same zu bleiben. Alle Versuche, unser irdisches Leben so weit wie möglich zu verlängern, und durch Leidvermeidung und Glückssteigerung zu optimieren, gleichen dem Versuch, ein Samenkorn zu konservieren, zu modifizieren oder etwas aus ihm zu extrahieren. Schlussendlich verfehlt man das eigentliche Ziel. Das vollkommene Glück, nach dem wir uns sehnen, erreicht man dadurch nicht. Dafür braucht es Hingabe. Zunächst ist es Jesus, der Mensch wird und sein Leben für uns gibt. Als Antwort darauf ist unsere Hingabe an ihn gefragt. Das heißt unser Einwilligen, unser Vertrauen in den Gärtner.
So verstandene Hingabe meint keine Abgabe von Kontrolle über mein Leben (die ich letztendlich sowieso nie habe!). Keine Einschränkung, sondern Befreiung. Keine Aufgabe meiner Selbst, sondern Selbstverwirklichung im tiefsten Sinn.
Die Antwort des Christentums auf die Sehnsucht nach einem Leben in Fülle finde ich absolut überzeugender, als die des Transhumanismus und all seiner Spielarten. Denn sie entspricht uns Menschen in unaussprech­lichem Maß, statt über unser Mensch-Sein hinausgehen zu wollen. Und sie hat einen Namen: Jesus Christus. Er ist der „Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte“8.

Anmerkungen:
1 Vgl. 1.Korinther 15,42f.
2 Offb 21,4b.
3 Im Unterschied zu medizinisch-technischen Verfahren, die aus therapeutischen Zwecken angewandt werden.
4 Anna Puzio schreibt darüber ausführlich in ihrer Dissertation: Über-Mensch. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus. Bielefeld 2022. Vgl. ebd. S.197ff.
5 Transhumanisten nutzen meist den englischen Begriff „mind“, der z.B. auch mit Geist, Verstand, Psyche übersetzt werden kann.
6 Vgl. Joh 20, 27.
7 1 Kor 15, 42b-44a.
8 GS 10.

 

Salzkorn 4 / 2022: ÜberMensch? – Transhumanistische Ideen fordern Antworten
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