Entschieden für ein Miteinander der Generationen

Friederike Klenk und Claudia Groll im Gespräch

Seit zwei Jahren leben wir im neugebauten Mehrgenerationenhaus: zwei ältere Ehepaare, deren Kinder und Enkel sie freudig und häufig besuchen. Zwei Familien mit zwei und drei heranwachsenden Kindern und 7 Ledige, von 43 ganz aktiv bis fast 80 und im aktiven Ruhestand. Darüber, wie unser Zusammenleben gelingen kann, wie wir Stolpersteine und alle anfallenden Aufgaben gut bewältigen, berichten nun zwei.

Am Anfang – hohe Erwartungen

Friederike (69 Jahre, ist Mitgründerin der OJC-Kommunität):

Ich war von Anfang an von der Idee begeistert. Wir haben unser Leben lang in Gemeinschaft gelebt. Nun wollten wir mit denen zusammen alt werden, mit denen wir zusammengearbeitet und Gott gemeinsam gedient hatten. Da waren Verbundenheit, Liebe und Freundschaft gewachsen. Wir wollen auch im Alter füreinander da sein und uns gegenseitig unterstützen, wo immer einer Hilfe braucht. Wir hatten ja schon erlebt, wie es ist, wenn eine von uns wirklich krank und sehr schwach wird und sich nicht mehr alleine versorgen kann. Wie wichtig da räumliche Nähe ist. Und ich bin froh und glücklich, dass wir uns für das Miteinander unterschiedlicher Generationen entschieden haben und nicht für ein „Altersheim“. Das wäre zwar homogener, aber das Lachen und Toben der Kinder um uns herum ist ein kostbares Zeichen, wie das Leben weiterwächst.

Claudia (43 Jahre, ist vor einem Jahr in die Kommunität eingetreten):

Als wir das Haus bauten, war ich gespannt und in froher Erwartung, was das neue Zusammenleben an diesem Ort mit sich bringen würde. Mein Lebensraum würde sich erweitern. Ich freute mich darauf, bald mehr Platz für andere an meinem Tisch zu haben und mich tiefer in die Gemeinschaft einzuwurzeln. Ich ­finde es auch schön, dass wir in verschiedenen Altersgruppen, Lebensständen und mit den eigenen mitgebrachten Lebensgeschichten unseren Alltag teilen und gestalten können. Konkret heißt das, dass wir auf kurzem Wege miteinander austauschen, gemeinsam essen und feiern, in schweren Momenten füreinander Sorge tragen, zusammen im Haus arbeiten und vieles mehr. Darüber hinaus haben wir einen besonderen Platz in unserem Haus – unsere eigene Kapelle. Ein unverzichtbarer Ort der Ruhe und ein Raum für Gottes Wirken.

Dann – der doch andere Alltag

Friederike: Was ich völlig unterschätzt hatte, war, dass unser neues Zusammenleben nicht einfach eine Fortsetzung dessen sein konnte, was wir jahrelang gelebt hatten z. B. auf dem Schloss oder im Quellhaus. Dort hatten wir als Hauseltern die Gemeinschaft geprägt. Jetzt sind wir einfach eine von elf Parteien neben- und übereinander, die sich nur zum Teil ausgesucht haben. Einige im Haus sind meine Freunde und jahrelange Weggefährten, andere mir dagegen fremd – und ich ihnen auch! Sie wussten nichts von unserem Leben und Erleben in mehr als 40 Jahren OJC-Geschichte und wir wussten nur wenig von ihnen und ihrem Gewordensein.

Claudia: „Einen Menschen lieben heißt, ihn so sehen wie Gott ihn gemeint hat“ (F. Dostojewski), und dennoch sieht die Realität im Zusammenleben oft anders aus. Mein Wunsch war, dass wir als Hausgruppe uns zunächst mehr kennenlernen und gemeinsam ein gemütliches Zuhause aufbauen. Es hatte aber bisweilen den Anschein, dass bei den Anderen weder Zeit noch Kraft ausreichten, damit innere Vertrautheit wachsen konnte. So habe ich zum Beispiel erlebt, wie mein Kontakt zu dir, Friederike, oder auch zu euch als Paar durch häufige Besuche aus eurer Familie weniger ­wurde und wir uns kaum noch begegneten. Nach einer Weile wuchs in mir eine gewisse Unzufriedenheit über den Platzanspruch der Anderen. Es war meine eigene Bedürftigkeit, wie sich später herausstellte, nach Zugehörigkeit, danach, etwas gemeinsam ins Leben zu bringen, die wieder in mir aufbrach, und die Sehnsucht nach einer größeren Verbundenheit.       >

Leise und laute Zusammenstöße

Friederike: Mein Mann und ich lieben unsere Familie und Enkelbesuch, je mehr, umso besser, je öfter, umso lieber. Und plötzlich erlebten wir, dass andere stört, was uns begeistert. Irgendwann fühlte ich mich eingeschränkt und begrenzt. Unsere neue Hausgemeinschaft wurde zur Bedrohung und nicht mehr Bereicherung. Da kam es zu leisen und lauten Zusammenstößen. Ich gehe dann erst mal in die Stille. Hier stelle ich mich meinem Zorn, meiner Angst und allen bösen Gedanken. Oft schreibe ich alles auf… ungeschönt. Das hilft mir zur Klärung. Ich weiß, der Zorn kommt aus mir. Er hat etwas mit mir zu tun. Ich bin dafür verantwortlich. Der Andere ist nur ein Auslöser. In der Gegenwart Gottes erlebe ich dann, dass Gott mich sieht, mich und meine Bedürfnisse. Er gibt mir Raum, bei ihm ist kein Urteil. Und dann kommen neue Gedanken, z. B.: „Du bist die Ältere, die Jüngeren haben vielleicht viel mehr Angst vor dir, als du vor ihnen. Mach du den ersten Schritt.“ Türen haben sich zueinander geöffnet. Ich habe entdeckt, wie wenig wir tatsächlich voneinander wissen, obwohl wir im selben Haus wohnen.

Keine Riesen wachsen lassen

Claudia: Es war gut und wichtig, meine eigene Geschichte anzuschauen: Was ist meine Prägung? Welche Bilder habe ich vom Anderen und welche Freiheiten gewähre ich ihm? Welche Ängste trage ich in mir und was verletzt mich in der Tiefe? Es hat mir viel bedeutet, dass wir miteinander ins Gespräch kamen, um besser zu verstehen, was der Andere meint, und wir auch bereit waren zur Versöhnung, selbst wenn es Überwindung kostet und Vertrauen gewagt werden musste. Die Andersartigkeit meines Gegenübers will ich als Ergänzung annehmen. Und es braucht meine Einsicht und Weitherzigkeit, die Bedürfnisse des Anderen zu achten.

Friederike: Ja, wir haben Schritte aufeinander zu gemacht und hinter Bildern und Vorstellungen den Anderen als Menschen entdeckt, als liebenswerten Menschen. Aus vielen Jahren gemeinsamen Lebens weiß ich: je weniger man miteinander redet, umso größer werden die Missverständnisse. Und schnell wird der andere zum Riesen, der mich bedroht. Je mehr wir das konkrete Gespräch gesucht haben, umso mehr sind Bilder übereinander zerbrochen und Vertrauen konnte wachsen.

Zum guten Schluss

Claudia: Das Leben unter einem gemeinsamen Dach benötigt verschiedene Räume. Räume von Klärung, Verständnis und Zuversicht. Räume von Freiheit und lebendigem Chaos, Räume von Rückzug und acht­samem Schweigen. Und Räume für die Begegnung mit Gott. Ich finde es wunderbar, dass unsere Freiheit darin besteht, gerade in unserer Verschiedenheit miteinander unterwegs zu sein und das Leben hoffnungsvoll, kreativ und himmelwärts ausgerichtet leben zu können. Es hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt, diesen Schritt ins Neue zu wagen und ich bin sehr dankbar, für das was zwischen uns und darüber hinaus Gutes geworden ist.

Salzkorn 3 / 2019: Miteinander
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