Malerei von Bruno Ritter©. Bewegter Himmel auf Leinwand.

Wir bremsen auch für Rehe! – Auf der Suche nach dem Anderort

Leonore und Wolfgang Pietrowski – Wir haben im Februar und März in der OJC mitgelebt. Davon waren wir die ersten drei Wochen auf dem Schloss. Wenn wir abends zum Schloss hochfuhren, mussten wir durch das Terrain der Rehe. Selten, aber dennoch gelegentlich, erfasste der Scheinwerfer ein Reh.

Auto und Reh standen sich gegenüber. Diese Situation ist nicht ungewöhnlich und vielen schon mal passiert. Auf jeder Landstraße kommt es dazu. In der Fahrschule wird die Situation geschildert, die Lösung formuliert und geübt.

Wir sehnen uns nach dem feinen, abhängigen und zerbrechlichen Leben in der Nachfolge von Christus. Wir sehnen uns nach einem Leben reich an Glaubenserfahrungen, um am Ende des Lebens sagen zu können: „Danke, Gott, für dieses Abenteuer, und dass ich weiß, wer du bist.“ Nicht das Reh und auch nicht dieses wertvolle Gut wollen wir überfahren.

Die Geschwindigkeit und die Leitplanken unseres Lebens lassen uns jedoch genau darauf zusteuern. Die Leier vom Hamsterrad und der Zentrifugalkraft, die das Leben auseinandertreibt, ist wohl bekannt. Das gilt für die Gesellschaft und auch für die Gemeinde. Erfahrungen und Vorgelebtes von Gewinn und Kosten der Nachfolge sind zwischen bedürfnisorientierten Formaten selten zu finden.

Hypothesen fürs Leben

Unsere Unzufriedenheit hat einen Aufbruch ausgelöst. Im letzten Jahr haben wir uns regelmäßig Zeit genommen, um über das zu sprechen, wonach wir uns sehnen und wie wir als Ehepaar unsere Zukunft gestalten wollen. Ziel ist es, Antworten für ein Leben in Deutschland zu finden.

Wie Gemeinde idealerweise aussehen sollte, ist währenddessen immer mehr zu einer Lebensstilfrage an uns geworden. Neben Prinzipien wie dem eines verlangsamten Lebens und Bescheidenheit, gibt es weitere geistliche Überlegungen, wie man das „Leben finden kann“ (Mt 16, 25).

Diese Gedanken haben wir versucht in Hypothesen zusammenzufassen:

  1. Unser Gehorsam gegenüber Gottes Wort und unser Gebet bewegt Gott und lässt Gottes Reich im Hier und Jetzt anbrechen. Im vertrauensvollen Gehorsam sind uns die allergrößten Verheißungen und Segnungen zugesagt, die unseren Glauben im „Schauen dürfen“ stärken und Zeugnis für die Welt sind.
  2. Ein langsameres Leben aus der Stille ermöglicht ein offenes Ohr und Herz für Gottes Stimme.
  3. Es braucht Gleichgesinnte und Gefährten im Umfeld, die mutig vorangehen, gemeinsam einen „Anderort“ schaffen und einen Lebensstil der Nachfolge einüben.
  4. Es braucht Gefährten im Alltag, die sich mit jeweils anderen Gaben und in ihrer Andersartigkeit ergänzen, schleifen und durch deren Einheit und Liebe Gott erkennbar wird.
  5. Das Hineinwirken in die Welt ist integraler Bestandteil eines Lebens im Überfluss und ist eine Folge des Beschenkt-Seins von Gott und der Gemeinschaft.

Fragen über Fragen

Ein solcher Lebensstil braucht Übung. Wir sind ein halbes Jahr unterwegs, um uns gemeinsames Leben an verschiedenen Orten anzuschauen und eben zu üben. Die erste Station ist die OJC, die schon jetzt eine besondere ist.

Wir erleben offene Türen und eine große Herzlichkeit. Wir erzählen von unserem Anliegen, das dadurch irgendwie realistischer wird. Lassen uns inspirieren von dem Leben der OJC-Mitglieder aus der Stille und außerhalb des Standards.

Und stellen Fragen über Fragen: Welcher Gewinn ist zu erwarten? Welche Opfer sind zu erbringen und wie hoch sind die Kosten? Wie sehr sind es kleine bzw. innere Veränderungen oder wie sehr braucht es einen Systemwechsel und ein Aussteigen?

Unser Resümee nach acht Wochen in Reichelsheim: In Gemeinschaft leben hat Vor- und Nachteile. Wobei Konflikte zwar nervig, aber das Reiben und Schleifen auch sehr dienlich sind. Demut und Hingabe sind Früchte, die in Gemeinschaft wachsen.

Wo ich mich aus der Isolation begebe, muss mein Ego weichen und viele Schätze der Nachfolge werden mir hier erst zugänglich. Gerade weil ich Opfer bringen muss, erkenne ich mich, den Nächsten und Gott.

Und wir haben Lust auf mehr. Gemeinschaft ist der richtige Weg zu einer Erneuerung der Gemeinde und eine wichtige Quelle für ein reiches, persönliches Leben in der Nachfolge.

Leonore und Wolfgang Pietrowski waren Gäste bei der OJC und haben die Falken unter dem Schlossdach als Nachbarn lieben gelernt.

Salzkorn 2 / 2022: zugehörig – Verbundenheit wagen
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