Glanz im Plattenbau. Ein Hoffnungsprojekt in Gotha | OJC

Glanz im Plattenbau – Ein Hoffnungsprojekt in Gotha

Ute Paul – Pfarrer Michael Weinmann nennt es „Glanz“. „In all dem wollen wir entdecken, wer Jesus Christus für uns heute ist und wollen den Glanz seines Daseins für die Welt wahrnehmen und darauf aufmerksam machen.“ Was ist „in all dem“ und wo?

Gar nicht spektakulär, nicht Hochglanz, nicht Glamour. Eher das Gegenteil haben er und seine Frau Christiane 2015 getan: Umziehen. Vom großen Pfarrhaus in Gotha-Siebleben, wo sie sich 15 Jahre in der evangelischen Gemeinde engagiert hatten, in eine Wohnung in der Plattenbausiedlung Gotha-West. In den 80er Jahren als Neubauviertel errichtet, beherbergt der Stadtteil auch heute noch Tausende von Menschen sehr unterschiedlicher Prägung. Einige leben schon sehr lange dort, andere sind neu, Deutsche und Migranten Tür an Tür.

Das Leben teilen

Ein Ort, an dem traditionelle Formen von Kirche etwas zwischen Stirnrunzeln und Ärger auslösen. Gott? Kenne ich nicht. Evangelium? Kein Bezug. Beten? Wofür soll das gut sein? Eine Herausforderung, der sich der Kirchenkreis Gotha mit ihrem Superintendenten Friedemann Witting stellen wollte. Dafür schufen sie eine Pfarrstelle der anderen Art, nicht Gebäude, Veranstaltungen, Kasualien, sondern jemand aus Fleisch und Blut, der vor allem eins tut: Leben teilen. Michael und Christiane Weinmann waren dafür genau die Richtigen. Was es braucht? „Wache und aufmerksame Präsenz“, sagt Michael, „achtsam hinhören.“ Denn die Leute haben schon viel erlebt und sie haben viel zu sagen. Nicht Gott hintragen (wer wären wir?), sondern mit Gott bei den Leuten sein. „Ihre Fragen und Freuden, ihre Sorge und Sehnsucht teilen und gemeinsam entdecken, wie und wo Gott hier anwesend ist, mitten im Alltag.“

Denn dann leuchtet Er selbst durch die Ritzen des spröden, mühsamen oder langweiligen Lebens.

„Gott interessiert sich für mich?“, beginnen Einzelne zu fragen, als sie erleben, dass Michael und Christiane sie besuchen, genau zuhören, mit ihren Kindern spielen, Zeit mitbringen zum Kaffeetrinken, beten. Mit ihnen gestalten Weinmanns und ein kleines Team Wohnzimmergottesdienste (in Corona-Zeiten dann Wandergottesdienste) in der kleinen angemieteten Wohnung, die als Treff- und Anlaufpunkt der senfkorn.STADTteilMISSION dient. So soll die Initiative heißen. Was Kleines mit Wachstumspotenzial. Nährboden? Vertrauen in Gott, der Menschenleben berührt und verwandelt und der – ja! – sich für alle Belange des Gemeinwohls interessiert. Deshalb ist es für die Initiative auch selbstverständlich, sich mit anderen Akteuren im Stadtviertel zusammenzutun. Auf diese Weise entsteht Zusammenarbeit und Vertrauen. So kommen große und kleine Menschen zum „senfkorn.“ und es gehen welche, weil sie z. B. in ihr Heimatland zurückkehren. Weinmanns bleiben.

Anfang 2020 kann ein Ladenlokal am zentralen Coburger Platz in Gotha-West angemietet werden. Ein trister Platz mit dem großen Vorteil, dass so gut wie alle da zum Einkaufen vorbeikommen. Und weil das Lokal eine Glasfront hat, kann auch jeder sehen, dass darin fröhliche Begegnung stattfindet.

Das Senfkorn hüten

KINDERzeitLADEN steht an der Tür. Man kann keine Kinder darin kaufen und auch keine Zeit. Sondern Erwachsene schenken Kindern Zeit und Aufmerksamkeit. Das kleine Team freut sich über die neuen Möglichkeiten und spürt zugleich: Wir brauchen Unterstützung, damit sich hier dauerhaft etwas entfalten kann.

Das ist der Moment, in dem Ehepaar Weinmann an die OJC einen Brief schreibt: „Ein paar Blättchen sind am Senfkorn schon gewachsen, ein Baum ist es noch nicht, aber nun gilt es, dieses Gewächs zu schützen, zu umgeben mit GLAUBEN, LEBEN und DIENEN: und das in GEMEINSCHAFT. Deshalb fragen wir die OJC: Seid ihr bereit, aus eurem wunderschönen reichen Garten kostbare Pflanzen hinauszugeben? … Oder besser noch: uns Menschen an die Seite zu geben, die mit uns dieses Senfkorn hüten, es beim Wachsen unterstützen und begleiten?“

Der Brief trifft in der Kommunität auf die Suchbewegung nach Auspflanzungen. Weinmanns sind seit Jahrzehnten enge OJC-Freunde. Da kommt etwas zur richtigen Zeit zusammen und bekommt Gestalt. Es folgt beten, prüfen, auf alle hören im Kommunitätsrat und dann Ja sagen. Frank und ich sind gemeint und wir sagen auch gerne ja. Wir freuen uns über die neue Herausforderung und vor allem auf die Menschen dort. Möchten hinein in die andere Lebenswirklichkeit, sie kennenlernen. Wir erwarten, dass sie uns – und so vielleicht auch unserer Kommunität – neue Fragen stellt und uns verändert. Mit Ehepaar Weinmann möchten wir dabei viel mehr als ein Arbeitsteam werden! Nicht nur Ärmel hochkrempeln, sondern dem geteilten geistlichen Leben einen Eigenwert zumessen.

Gelebte Alternativen finden

Die OJC-Alltagsliturgie mit Stille, Austausch, Mittagsgebet, Abendmahl wird im neuen Umfeld auf eine Bewährungsprobe gestellt: Wir werden sie vom ersten Tag an weiterführen – und zugleich darf sie sich wandeln und einfügen in den anderen Kontext. Wir nennen das gemeinsame geistliche Leben in der OJC die zweite (Brunnen)Schale. Die Schale der Gemeinschaft. Nicht für sich selber da, aber „glänzendes“ Zeichen, aus der etwas überfließt. Christiane Weinmann schrieb uns: „Mir kam der Gedanke, dass wir ja damit etwas beitragen, was gegen die Isolierung und Vereinzelung der Milieus wirken kann, dass Menschen mit ihren unterschiedlichen Ansichten, Meinungen, Lebensgeschichten Mauern abbauen werden und Vertrauen wachsen kann. Wie sagt es Jesus ‚Wenn ihr Glauben habt, wie ein Senfkorn, dann könnt ihr zu diesem Berg sagen: Hebe dich hinweg…‘. Darauf bin ich gespannt.“

Wir haben begonnen, mit Michael und Christiane weiterzudenken, über uns vier 60-Jährige hinaus: „Im Blick auf die Nachhaltigkeit dessen, was gewachsen ist und noch wachsen kann, könnten wir vier eine Basis bilden, an der junge Menschen Anteil nehmen können und darauf aufbauen, bzw. das Begonnene weiterführen.“ Gemeinsam sind wir erwartungsvoll, dass sich noch andere von Gott rufen lassen, sich mit uns in Gotha-West zu engagieren, vielleicht als Ehrenamtliche, Studierende oder als Praktikanten – für kürzer oder für länger –, die gelebte Alternativen suchen für die brennenden Fragen der Zeit.

Dankbar und voller Vorfreude durften Frank und ich unsere Aufgaben in Reichelsheim bereits in andere Hände übergeben. Im Juli 2021 ziehen wir nach Gotha-West in eine der Wohnungen in der Siedlung. Wenn wir Richtung Gotha blicken, glänzt es schon.

Ute Paul (OJC) hat ihre Aufgabe im Erfahrungsfeld Schloss Reichenberg abgegeben und freut sich auf neue Herausforderungen.

 

Salzkorn 3 / 2021: Hotspots der Hoffnung
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