Wir drehen am Rad – der Zukunft. Miteinander beweglich bleiben | OJC

Miteinander beweglich bleiben – Wir drehen am Rad der Zukunft 

Konstantin Mascher – Die OJC steht am Scheideweg! Wie jedes Werk, das fünf Jahrzehnte Staunen und Scheitern auf dem Buckel hat und nun alle Generationen unter einem Dach vereint, müssen auch wir uns immer wieder der Frage stellen: Wie gelingen die Spannungsfelder Bewahrung – Beweglichkeit, Tradition – Erneuerung und Institution – Neugründung? Auf den ersten Blick scheinen sie Gegensätze zu sein, doch fruchtbar werden sie dort, wo sie nicht gegeneinander ausgespielt, sondern im Miteinander sorgfältig bedacht, besprochen und beschlossen werden.

Wind of Change

Veränderungen und Wandel stehen immer wieder an – sei es von außen aufgedrängt oder von innen getriggert. Die Frage ist nicht, ob uns das gefällt, sondern wie wir uns zu ihnen stellen: Verschlossen oder aufgeschlossen, aktiv oder passiv, ob wir sie als Chance oder als Risiko betrachten, ihnen mit Stagnation begegnen oder an ihnen in unserer Hingabefähigkeit wachsen. Die Kunst liegt darin, sich künftigen und möglichen Forderungen, Herausforderungen und Schicksalsschlägen zu stellen. Nicht aus eigener Kraft, sondern indem man Gottes Verheißung erforscht und neue Wege der Sendung zu gehen bereit ist.

Beweglich bleiben

Der Soziologe Michael Hochschild, der sich der Erforschung geistlicher Gemeinschaften gewidmet hat, schreibt: „Bewegungen müssen, um Bewegungen zu bleiben, beweglich bleiben.“ Die Erkenntnis erscheint banal, ist aber alles andere als selbstverständlich. Auch wir in der OJC merken die Herausforderung, als Bewegung beweglich zu bleiben. Denn wir sind groß geworden, nicht nur vom Alter her, sondern auch zahlenmäßig. Seit der Kommunitätsgründung 2008 hat sich die Mitgliederzahl verdoppelt – gut, einige sind inzwischen schon in den aktiven Ruhestand getreten. Jedenfalls sind wir komplex geworden, und selbstkritisch betrachtet: die Nutzlast ist kleiner geworden. Denn wer groß ist und alles beieinander halten will, muss ständig absprechen, klären, kommunizieren und Rücksicht nehmen auf die Termine und Meinungen der vielen anderen. Die Gefahr, sich in internen Abläufen zu verheddern, lauert vor der Tür und aus einer beweglichen Bewegung wird eine ausgebremste Institution. 

Die Leitfrage war, wie wir uns neu sortieren müssen, damit wir zeitgemäß und agil auf die Fragen der Zeit reagieren können. Wie reduzieren wir die Reibe- und Bremskräfte, die eine solche Größe mit sich bringt?

Das Rad neu erfinden?

Nichts symbolisiert die Beweglichkeit und Dynamik so sehr wie ein Rad mit seinen drei Bauelementen: die Nabe, die Speichen und der Radkranz. In einem spannenden und herausfordernden Zukunftsprozess mussten wir das Rad zwar nicht neu erfinden, doch es einmal komplett auseinandernehmen; es blieb uns nicht erspart, die Speichen, den Radkranz und die Nabe neu zu justieren und zu schmieren und wieder zusammenzubauen. 

Die 4 I des Radkranzes

Das Ziel ist, dass wir als geistliche Bewegung wieder „runder laufen“ und unserem Auftrag im Heute gerecht werden. Das Rad läuft rund, wenn der Radkranz Inspiration, Innovation, Initiative fördert und das Involviertsein des Einzelnen stärkt. Das sind zuvorderst Haltungen, die wir immer wieder fördern und ermöglichen sollten – egal in welcher Formation wir beieinander sind. Und sie sind vor allem der Nährboden, auf dem wir unseren Auftrag kraftvoll und gabenorientiert umsetzen können. 

Die 4 M der Speichen

Ein Radkranz ohne Speichen läuft nicht. Vor allem nicht, wenn Speichen fehlen oder die Speichen unterschiedlich lang sind. Vier M-Speichen sollen helfen, die vier „I“ des Radkranzes zu stärken und zu fördern. 

Minoritär – kleiner werden

Lampenschirmgemeinschaft ist ein Schlagwort aus den Anfängen, das die OJC-Gemeinschaft charakterisierte und ihren Charme ausmachte. Damals konnten sich alle um einen Tisch zu Gebet, Gedankenaustausch und Gespräch versammeln. Heute brauchen wir eine Tafel, die quer durch den ganzen Saal geht. Diese Größe hat neben dem Geschenk des Zuwachses ihren Preis, darauf müssen wir reagieren: mehr absprechen, mehr koordinieren und mehr Kraft nach innen investieren, um eine Wir-Gewissheit zu erhalten und ein Wir-Gefühl zu erleben. Das erhöht, selbstkritisch gesehen, die Eigenlast in Form einer zwangsläufigen Selbstbeschäftigung und Selbstumkreisung. Um die OJC zukunftsfähig zu machen, ist es zwingend notwendig, sie noch viel stärker in verschiedenen kleineren, minoritären Einheiten zu formieren, die in einer gesunden Eigenständigkeit und Eigenverantwortung Reich-Gottes-Arbeit an ihrem Ort verrichten. 

Missionarisch – Visionäre gefragt

„Was hat der OJC-Auftrag mit mir zu tun?“, fragte mancher Mitarbeiter irritiert, der uns wieder verlassen hat. Aber auch Mitarbeiter, die geblieben sind. Es ist notwendig, dass jeder seinen Platz finden und den Sinn seines Tuns im großen Ganzen verankern kann. Jedem Gefährten muss klar sein, an welcher Mission und Vision er teilhat und welchen Beitrag er dazu leisten kann. 

Jede kleine Einheit unserer Gemeinschaft hat die Hausaufgabe erhalten zu formulieren, was ihre Vision und ihre Mission ist und wie sie beides in den kommenden Jahren umsetzen will. Das gilt für unsere Einheiten in Greifswald, in Gotha, auf dem Schloss, im REZ-Begegnungszentrum usw. Diese Profilschärfung bietet Zielklarheit und Orientierung, wohin die Reise der einzelnen Einheiten gehen soll und wie sie in den gesamten Auftrag eingebunden sind. 

Michael Hochschild – Bewegungen müssen, um Bewegungen zu bleiben, beweglich bleiben.

Mobil – agil soll es zugehen

Kleinere Einheiten mit einem spezifischen Auftrag, der durch den Gesamtauftrag abgedeckt ist, sind viel mobiler und agiler. Als Prior erlebe ich eine Mannschaft, die intrinsisch hoch motiviert ist, sich aber von der Komplexität unseres Miteinanders immer wieder auch ausgebremst fühlt. Die größere Eigenständigkeit birgt das Potenzial, agiler und innovativer im jeweiligen Bereich handeln und arbeiten zu können. 

Marginal – jeder an den Rand

Je größer eine Gruppe ist, umso leichter bildet sich eine zweite und eine dritte Reihe der Gefährten. Das liegt in der Natur der Sache. Die üblichen Verdächtigen und Erfahrenen stehen vorne in der ersten Reihe und die in der zweiten Reihe kommen mit ihren Möglichkeiten aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht zum Zuge. Die Gemeinschaft steht in der Gefahr, dass ihr wichtigstes Pfund nicht ausgeschöpft wird – die kostbaren Gaben eines jeden. 

Doch was passiert, wenn eine Gruppe klein ist und es wirklich auf jeden einzelnen ankommt? Was, wenn es keine zweite Reihe mehr gibt? Marginal werden heißt: Die OJC so formieren, dass jeder die Notwendigkeit seines Tuns erlebt und dies am Rand der Gemeinschaft – zu den Menschen hin – verwirklichen kann. Anders formuliert: Menschen dorthin setzen, wo die Hoffnung am meisten zieht und der Schuh des Zeitgeistes am meisten drückt. Das stiftet Sinn und setzt ungeahnte Kräfte frei.

Sieb der Läuterung

Als geistliches Werk tun wir viel. Nun kam alles auf den Prüfstand: Dient es wirklich dem Auftrag, und ist es für morgen noch relevant? Aussieben und Loslassen gehört mit zu den schmerzhaftesten Prozessen im Leben. Spätestens beim Sterben – auch in den vielen Stufen davor – zeigt sich, wie schwer uns das letztlich fällt. Was für das Leben gilt, gilt auch für die Dinge, die wir tun: Eine Form, eine Idee, eine Umsetzung, die wirklich gut war und in den vergangenen Jahren Frucht in Fülle gebracht hat, nun aber – aus welchen Gründen auch immer – stagniert, kommt in jenes Läutersieb. Die Frage steht im Raum: Jetzt noch einmal All-in oder doch lieber Abschiednehmen? Loslassen fällt leichter, wenn Klarheit im WAS, WARUM und WIE herrscht. Wir arbeiten daran und an uns! Und wir bitten um nötiges Hirnschmalz, Herzblut und Heiligen Geist in der Umsetzung.

Die Nabe als Mitte

Mit der Mitte steht und fällt alles. Sie ist im Bilde des Rades Jesus Christus selbst. Er muss die Mitte bleiben. In IHM und durch IHN sind alle Dinge begründet. Diese Mitte allein ist die Legitimation für alles weitere. Deswegen gilt, was wir im Zukunftsprozess miteinander formuliert haben. Wir wollen christuszentriert leben – schöpferisch denken – gesellschaftlich handeln: 

Jesus Christus ist der HERR. Als seine Nachfolger teilen und gestalten wir Glauben, Leben und Arbeiten. Im Miteinander verschiedener Generationen, Konfessionen und Stände üben wir, wie gemeinsames Leben und versöhnte Beziehungen gelingen können.

• Gemeinschaft ist ein Brief Christi an die Welt. Deshalb bleiben wir Lernende und Hörende zu Christus und zu den Gefährten. Wir ringen um schöpferische und tragfähige Antworten im Miteinander auf der Grundlage des jüdisch-christlichen Menschenbildes.

• Christen tragen Verantwortung in der Welt. Es ist unser Anliegen, dass Leben in der kommenden Generation gelingen kann. Wir wollen versöhntes Miteinander stärken, zu verantwortlichem Handeln in Familie, Kirche und Gesellschaft befähigen und ermutigen, auf Christus zu vertrauen. Unsere Erfahrungen wollen wir mit jungen Menschen, Multiplikatoren und allen, die nach Veränderung suchen, teilen. 

Nun muss sich das neue Rad in der Praxis bewähren und wir schauen, ob der Entwurf im wahrsten Sinne des Wortes rund läuft. Mit unserer Auspflanzung in Gotha (S. 12ff.) und der Stärkung der REZ-Einheit (S. 14ff.) setzen wir genau das programmatisch um. Für Betrachter von außen mag sich darüber hinaus wenig ändern, für uns jedoch Grundlegendes. Die Neuformation geschieht zunächst vor allem nach innen. 

Siegespreis

Als OJC erbitten wir für jedes Jahr zwei Worte: möglichst ein Auftrags- und ein Verheißungswort. Oft wird uns beides geschenkt. Für 2021 gilt: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus (Phil 3, 13b-14). Denn bei allen Veränderungen geht es nicht um die Veränderung als solche, sondern um die himmlische Berufung Gottes und den Dienst in seinem Reich. Nach diesem Ziel strecken wir uns aus und diesem Ziel muss alle Veränderung untergeordnet sein. 

Seid Ihr mit im Boot? 

Bei Veränderungen besteht immer die Gefahr, sich zu verrennen! Jede Veränderung schafft neue Probleme und Herausforderungen. Zum einen wird es spannend, wie wir einander die Freiheit gewähren, etwas Neues zu tun, und zum andern, wie wir als ganze Gemeinschaft in dieser Neuformation miteinander verbunden bleiben! Wenn man dem himmlischen Siegespreis hinterherrennt, läuft man zumindest mal in die richtige Richtung. Dennoch gilt: Garantien für das Gelingen gibt es keine. Was garantiert wirkt, ist das Gebet. Wenn Ihr mit uns und für uns betet, steht der Zukunft der OJC nichts mehr im Wege. Seid Ihr mit dabei? 

Wir sind dankbar für die Zusage, die uns im zweiten erbetenen Jahreswort entgegenkommt: Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: „Als ich euch ausgesandt habe ohne Geldbeutel, ohne Tasche und ohne Schuhe, habt ihr je Mangel gehabt?“ Sie sprachen: „Nein, keinen.“ (Lk 22,35). Wenn Jesus uns aussendet, und das hat er mit uns vor, dann brauchen wir keinen Mangel zu fürchten. Das ist doch eine geniale Zusage für 2021 und – so Gott will – für weitere fünf Jahrzehnte!

Salzkorn 3 / 2021: Hotspots der Hoffnung
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