Lehrstelle Bau. Von der Hand ins Herz leben

Gespräch mit Hermann Klenk und Thomas WagnerWelche Bedeutung hat das gemeinsame Bauen in der OJC?

HK: Als die Großfamilie begann, haben wir kein pädagogisches Konzept erarbeitet, sondern die jungen Leute in unser Leben hineingenommen. Für etwas anderes als alte Häuser war gar kein Geld da. Also haben wir diese so umgestaltet, dass wir uns wohlfühlen konnten. Vieles haben wir intuitiv gemacht, aber es wurde uns zu einem Bild dafür, dass sich auch in uns selbst etwas verändern kann. Was nicht tragfähig ist, muss und kann herausgenommen und erneuert werden. Wir nannten das „Baustellen der Hoffnung“.

TW: Als ich kurz nach der Wende aus Görlitz in die OJC kam, hatte ich meine Ausbildung als Zimmerer abgeschlossen. Ich wollte wissen, wie das ist mit dem gemeinsamen Leben und hatte mich auf alles eingestellt, nur nicht auf weitere Baustellen. Ich habe dann schnell gemerkt, dass hier das gemeinsame Ziel und die Menschen im Mittelpunkt stehen und der Zeitplan mehr der Orientierung dient.

Was lernen die jungen Leute auf diesen ­Baustellen?

HK: Wie man zusammenarbeitet; fragen, was man tun kann und aufeinander Rücksicht nehmen. Außerdem lernen sie den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ein Slogan der frühen OJC hieß, „nicht Akademie, sondern Kolonie“. Kluge Bücher über das Zusammenleben zu schreiben, ist eine Sache, es im Alltag umzusetzen, eine andere. Wenn manche Kandidaten, die bei Bibelarbeiten gescheit daherreden konnten, sich bei der Arbeitsverteilung immer die leichtesten Aufgaben und das beste Werkzeug raussuchten, habe ich nachgefragt, wie das zu ihren Überzeugungen und Idealen passt. Leben und Tun, Glauben und Denken gehören zusammen! Und das hat zu echten Aha-Erlebnissen geführt.

Auf dem Bau warst du der Chef, aber im Austausch seid ihr euch als Brüder begegnet. War das nicht eine Spannung?

HK: Auch auf der Baustelle hielt ich dafür: Chef gibt es hier keinen, ich trage die Verantwortung. Ich habe versucht, den jungen Menschen immer als Gefährte unter Gefährten zu begegnen, wenn auch mit mehr Erfahrung. Im Austausch habe ich Rechenschaft abgelegt über das, was in mir noch nicht fertig oder richtig ist. Schließlich bin ich ein Mensch aus Fleisch und Blut, der an einigen Stellen kämpft, genauso wie sie.

Thomas, du bist als Angestellter in einer anderen Zuordnung. Wie teilst du deinen Glauben, dein Leben mit den Jungen?

TW: Ich denke, im Miteinander vermittelt sich das, was ich glaube und lebe, ganz elementar. Die Freiwilligen merken, dass ich mich nicht zurückhalte, wenn dreckige und schwere Arbeit zu erledigen ist, und wir halt gemeinsam einen Tag lang dreckig sind – das verstehe ich unter Teilen. Ich möchte ihnen vermitteln, dass praktische Arbeit den gleichen Wert hat wie jede andere. Ausschlaggebend ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten.

HK: Junge Menschen, direkt von der Schulbank, müssen erst verstehen, dass Handarbeit genauso wichtig ist wie Denken und Wissen. Als wir in Bensheim ­einen alten Kohlenkeller umgebaut haben, habe ich drei Tage lang mit einem Gast die schwarzen Steine mit einem Presslufthammer herausgeschlagen. Als er am Wochenende frisch gebadet und fein gekleidet Abschied nahm, bemerkte er süffisant, ich wäre schön blöd dran. Denn während andere oben gemütlich ­Kaffee tränken und im Büro säßen, müsste ich im Keller die Drecksarbeit machen. Ich lachte damals nur und erwiderte, dass wir uns auf diese Weise wunderbar ergänzten.

Die wenigsten Freiwilligen haben Erfahrungen im Berufsleben. Welche Basics kann oder muss man ihnen beibringen?

TW: Ich möchte ihnen vor allem vermitteln, dass sie etwas können. Jeder und jede hat Stärken und Fähigkeiten. Das mit ihnen zu entdecken, finde ich toll, und glücklicherweise haben wir Zeit, uns auf jeden einzulassen. Wir können sie nicht ausbilden, aber ihnen ein paar praktische Grundlagen mitgeben. Es gibt keine schlechte Arbeit, höchstens eine schlechte Einstellung dazu. Ich fordere sie immer wieder auf, den Kopf einzuschalten und nicht hirnlos vor sich hinzuwurschteln: Ich will so arbeiten, dass ich das, was ich gemacht habe, auch noch in einem Jahr anschauen kann.

HK: Bei uns können sie vieles ausprobieren. Wenn jemand gelernt hat, einen Bohrer richtig zu benutzen oder eine Wand zu tapezieren, stärkt es das Selbstbewusstsein. Einen Grundsatz aber mussten wir selbst erst lernen: Menschen sind wichtiger als Dinge. Ein Tisch oder ein Regal sollen zwar schnell fertig werden, aber genauso wichtig ist es, dass der Mensch mitkommt. Wir investieren mindestens so viel in die Menschen – an Zeit, Fürsorge, Unterstützung – wie in schönes Holz und saubere Verarbeitung.

„Das mussten wir selbst erst lernen“ – was bedeutet das?

HK: Wir stehen oft unter Zeitdruck. Als wir z. B. das Schloss umgebaut haben, fand an fast jedem Wochenende eine Tagung statt, freitags musste die Baustelle aufgeräumt sein. Alleine wäre ich oft schneller ­gewesen, aber ich hatte die Entscheidung getroffen, für Menschen da zu sein.

TW: Ich denke, dieser Lernprozess dauert noch an, und wir müssen immer neu einüben, bei allen anstehenden Aufgaben und Proj

Thomas, würdest du dich als strengen oder milden Chef bezeichnen?

TW: Das musst du die Freiwilligen fragen! Ich habe von meinem Ausbilder gelernt, dass Arbeit keinen Spaß machen muss, aber man kann Spaß an der ­Arbeit haben. Ich bin ein eher konsequenter Typ. Wenn ich arbeite, arbeite ich, und wenn ich feiere, feiere ich. Durch meine Ausbildung habe ich Fertigkeiten und mehr Erfahrung, damit muss ich nicht hinterm Berg halten. Wenn ich begründe, warum ich etwas so und nicht anders gemacht haben will, verstehen sie das auch.

Es gibt sicher Situationen, in denen man mit Wohlwollen und kluger Pädagogik nicht weiterkommt. Da hat jemand vielleicht ein Problem mit Autorität, keine Lust auf praktische Arbeit oder man mag einander nicht. Wie geht ihr damit um?

TW: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Frust die Lust verdrängt, größer ist, wenn wir die jungen Leute alleine in irgendeiner Ecke vor sich hinarbeiten lassen. Wir Arbeitsanleiter sind gefordert, die Bedeutung und den Wert der Arbeit zu vermitteln. Und mit Lob und Dankbarkeit für Gelungenes zu motivieren.

HK: Wenn ich an meine Grenzen komme, bleibt mir das Gebet. Ich bete, dass Gott eine Türe öffnet. Und ich bete, dass Gott mir die Augen dafür öffnet, was hinter dem Widerstand stecken könnte. Ich versuche, einen Blick dafür zu bekommen, woran der andere leidet. Das verändert oft meine Sicht. Manchmal hilft es, einfach auszuhalten und nichts zu tun. In der Stille muss ich auch meine eigenen Emotionen sortieren. Ich versuche zu spüren, was mich kränkt und wo es Vergebung braucht. Die Arbeit hilft mir, den anderen nicht zu meiden, sondern Seite an Seite mit ihm zu arbeiten. Einfach dableiben, nicht unbedingt etwas sagen – und hoffen, dass wir irgendwann ins Gespräch kommen.

Die Jungen haben viel von euch gelernt. Was habt ihr von ihnen gelernt?    

HK: Ich habe die wunderbare Erfahrung gemacht, dass sie mir meine Fehler nicht übelnehmen. Bei ­Malerarbeiten an der Schlossfassade – das ist schon einige Jahre her – hatte ich das Fixativ vergessen und die Arbeit eines ganzen Tages war nicht nur vergeblich, die Farbe musste auch wieder abgebürstet und neu aufgetragen werden. Das tat mir von Herzen leid. Einer sagte damals einen wunderbaren Satz zu mir: „Man darf Fehler machen, man darf sie zugeben, und es gibt ein Leben nach dem Fehler.“ Das fiel mir sehr schwer, war aber kostbar.

TW: Ich bin eher der Perfektionist und habe genaue Vorstellungen, wie etwas auszusehen hat. Da kann es passieren, dass ich mich verzettele. Die ­Freiwilligen lernen noch. Ihr Ergebnis ist oft funktionell, aber nicht hundertprozentig. Ich habe gelernt, das dann nicht selbst geradezubügeln, sondern stehen zu lassen. Ich denke, das hat mein Herz geweitet, auch für mich selbst.

Findest du es nicht schwierig, jedes Jahr wieder von vorne anzufangen?

TW: Es ist immer eine neue Herausforderung, und man darf nicht vergleichen: „Der im Vorjahr ­konnte das schon.“ Ich habe mir irgendwann mal gesagt: ­„Jedes Jahr zurück auf Anfang.“ Was ich mit dem anderen erlebt habe, ist nicht weg, aber ich möchte es nicht als Maßstab für das neue Jahr nehmen. Das ­Anfangen und Einführen bringt ja auch mir persönlich was, sonst würde ich diese Arbeit nicht machen wollen oder ­können.

Bekommt ihr aus der Distanz noch Rückmeldungen von den Freiwilligen?

TW: Ich finde es toll zu sehen, wie jeder auf seine Art und Weise was geworden ist. Wenn Ehemalige als ­Gäste kommen und mich fröhlich begrüßen, von sich berichten und fragen, was bei mir ansteht, ist das schön.

HK: Mir hat ein Ehemaliger, der heute einen Betrieb mit 25 Leuten leitet, zum Geburtstag geschrieben. Er sagt, alles, was er bei Fortbildungen für Leiter höre, habe er im Grunde genommen schon in der OJC gelernt. „Wie ihr mit mir umgegangen seid und was ich da gelernt habe, kann ich jetzt selber weitergeben.“

Oft sieht man bei OJC-Gebäuden Hand- oder Fußabdrücke im Estrich oder im Wandverputz.

HK: Das gehört zum Erfolgserlebnis:  „Dieses Stück habe ich gemauert!“ Darauf können sie stolz sein: an etwas mitzuarbeiten, Kraft und Energie hineinzustecken, und zu sehen, wie etwas entsteht, an dem sie teilhatten.

TW: Für junge Menschen ist es wichtig zu wissen, dass sie Spuren hinterlassen. Manche markieren auch das Datum oder ihren Namen. Einige suchen nach Jahren diese Stellen auf, um sich zu erinnern. Und die Freiwilligen, die nach ihnen kommen, sehen es auch sofort. Mich erinnern diese Markierungen daran, dass es für das „große Werk“ jeden einzelnen braucht. Der schönste Erfolg ist, wenn junge Menschen lernen, sich mit Freude einzusetzen. >>

Die Fragen stellte Birte Undeutsch.

Salzkorn 2 / 2020: ErFAHRE! ErKENNE! ErLEBE! Ganzheitlich lernen auf Schloss Reichenberg
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