Mit Verfallsdatum? Der Kosmos: Rohmaterial für die Ewigkeit | OJC

Mit Verfallsdatum? Der Kosmos: Rohmaterial für die Ewigkeit

Gesellschaft

Die Gerst-Perspektive

Andreas Rauhut – Wer Abstand gewinnt, sieht besser. So ging es dem deutschen Astronauten Alexander Gerst. In der Internationalen Raumstation gewann er in 400 km Höhe eine ganz neue Sicht auf unsere Erde. Überwältigt von ihrer Schönheit und ihrer offensichtlichen ­Zerbrechlichkeit wurde Gerst zum Aktivisten für einen nachhaltigen Umgang mit der Schöpfung. 

Braucht Mensch diesen Perspektivwechsel, um zu ahnen, wie Gott die Welt sieht? Ähnelt die Gerst-­Perspektive der Gottes-Perspektive? Riskieren wir es und versuchen, die Linsen scharf zu stellen, um ein wenig mehr vom schöpferisch-göttlichen Durchblick zu gewinnen.

Deliziös angerichtet

Im Schöpfungshandeln Gottes wird seine kreativ-­produktive Seinskraft sichtbar. Faszinierend und detail­reich füllt Gott einen Tag nach dem anderen mit werdenden Wundern. Phantasievoll und phantastisch entfaltet sich durch sein Wort ein Erdzeitalter nach dem anderen. – Warum eigentlich erschafft er noch die siebzehnte Nachtfaltersorte? Nur ein Flügelfleck ist anders als bei der sechzehnten! Gott hatte Lust dazu. Solch kreative Variationen machen göttliche Fülle und seine Freude am Spiel anschaulich.

Und es war gut! Diese Zeile schallt wie ein Refrain durch das Schöpfungslied in Genesis 1. Dieser Ausruf lässt uns an Gottes Gefühlen während der Schöpfung teilhaben. Das freudige Zufriedensein, wenn etwas richtig gut gelingt. Nach seinem letzten Schöpfungswerk tritt der Schöpfer zurück, gleich einer Chef­köchin, die begeistert ihr Werk betrachtet – und es entfährt ihm ein: Und siehe, es ist SEHR gut! 

Schöpfer statt Gaia

Das liebevolle Gegenüber von Schöpfer und Geschaf­fenem ist Grundakkord vom jüdisch-christlichen Schöpfungslied. Von Anfang an wird hier eine bedeutsame Unterscheidung getroffen. Im Gegensatz zur heute so beliebten „Gaia-Hypothese“, die die Erde als ein sich selbst schaffendes und erhaltendes Lebewesen betrachtet, ist sie im christlichen Verständnis zwar die gute Schöpfung Gottes, aber nicht in sich göttlich. Sie verdankt sich Gott und gewinnt erst in der harmonischen Verbundenheit mit Gott ihre eigent­liche Bestimmung. Auch das Bild vom Menschen unterscheidet sich bei Gaia und Genesis markant: Egal wie zerstörerisch der Mensch handelt, im biblischen Verständnis ist der Mensch kein Unfall der Evolution und kein ­Parasit der Erde, sondern ein von Gott erdachtes Prachtexemplar. Geschaffen für einen besonderen Auftrag. 

Herrschen oder pflegen?

Was aber ist dieser erste Auftrag? Im Buch Genesis spricht Gott zum Menschen: Beherrscht die Erde und macht sie euch untertan! (1, 27, nach Luther). Nimmt man dies als Auftrag zur dominanten Herrschaft, führt in der Praxis ein kurzer Weg zum Ausbeuten der geschaffenen Umwelt. Und das mit göttlicher Legitimation! Viele sehen hier die ideengeschichtliche Wurzel der ökologischen Krise. Die Welt ist heute bedrohlich zerstört und fiebrig überhitzt, weil der Mensch sie ausbeutet. Und das ohne schlechtes Gewissen. Der Schöpfer hat es ja so gewollt. Doch ist dies Auftrag Gottes oder ein übles Zerrbild?

Wirft man einen genaueren Blick auf den Gestaltungsauftrag Gottes und seine innerbiblischen Illustrationen, wird deutlich: Es geht um etwas ganz Anderes. Um hingebungsvolles Pflegen und bewahrendes Gestalten der guten Schöpfung Gottes. – Der Archetyp dieser Fürsorge findet sich im Bild des jüdischen Hirtenkönigs. Unter Aufbietung aller seiner Kräfte beschützt und pflegt solch ein König hingebungsvoll die Menschen seines Volkes, wie David als Hirte die ihm anvertrauten Schafe. Darin erfüllt er Gottes Auftrag (vgl. Psalm 72). Christliche Lebenspraxis im Umgang mit Schöpfung weicht davon leider oft meilenweit ab.

Das Land des Vertrauens

Abweichungen entstehen, wo Zentrales übersehen wird. Begriffe wie Kreuz, Vergebung oder Hingabe tauchen in den biblischen Texten in Summe weniger oft auf als das schlichte Wort Land. – Land ist Gott wichtig! Angefangen bei seiner Land-Verheißung, über den langen Weg in das verheißene Land und die aufwühlende Landnahme bis hin zu den Gesetzesregeln für ein gottgemäßes Leben – Umgang mit Land ist ein klarer Ausdruck und untrügliches Spiegelbild der persönlichen und der kollektiven Gottesbeziehung. Oder anders gesagt: Echter Glaube ist erdig. 

Verblüffend dabei: Das dem Menschen von Gott anvertraute Land wird niemals menschliches Eigentum. Eigentümer bleibt Gott selbst. Er vergibt das Land als Leihgabe gleichmäßig an seine Bewohner und führt ein Reset-System ein, um jeder Generation eine neue Chance zu geben. Die göttliche Weisheit hinter diesem Arrangement findet sich im heutigen Mensch-Ressourcen-Verhältnis nicht mehr wieder: Während Freiheit, Sicherheit und Wohlstand im alten Israel davon abhingen, ob Gott als rechtmäßiger Eigentümer des Landes respektiert wurde, gelten heute Eigentumsrechte und Nutzenausschluss als Grundkoordinaten des sozialen Zusammenlebens. Doch wo der Mensch sich selbst absolut setzt, verflüchtigt sich der (Ab-)Glanz echten Mensch-Seins. Gier ersetzt Gottesfurcht. Gewalt tritt an die Stelle von Genug. 

Das feine Netz der Abhängigkeit

In dieser gottvergessenen Selbstherrlichkeit entfremdet sich der Mensch von seiner Bestimmung zum ­Mit-Sein. Er löst sich vom Nächsten und schafft ökolo­gische Krisen. Unverhohlen deutlich bringt dies der Prophet Hosea auf den Punkt: Höret, ihr Israeliten, des Herrn Wort. Der Herr rechtet mit denen, die im Land wohnen. Denn es gibt keine Treue, keine Liebe und keine Erkenntnis Gottes im Land, sondern Fluchen und Lügen, Morden und Stehlen und Ehebrechen haben überhandgenommen und eine Blutschuld kommt nach der anderen. Darum wird die Erde dürre stehen und alle ihre Bewohner werden dahin­welken (Hosea 4,1-3a).

Das Land wird zum Barometer des geistlichen Zustandes seiner Bewohner. Es wird deutlich: Gott hat den Menschen als Teil eines fein gewobenen Netzes erschaffen. Er lebt und webt sein Sein in Abhängigkeit von Gott, Mitmenschen und Umwelt. Wo der Mensch dieses Netz zerschneidet, degeneriert alles. – Ist das nicht ein Schlüssel zum Verständnis der Klimakrise?

Als während des Vietnamkriegs sich die Kämpfer der Vietcong in die Urwälder zurückzogen, warfen amerikanische Flugzeuge das Pflanzengift Agent Orange ab. Urwälder wurden großflächig entlaubt. – Heute wachsen die Bäume wieder, doch das Gift hat sich ins Netz des Lebens gefressen. Kinder werden mit Deformationen oder ohne Augen geboren. Grausam wird deutlich: Wo Menschen sich bekämpfen und Schöpfung zer­stören, lassen ihre Schnitte durch das Schöpfungsnetz andere Menschen erblinden. 

Hoffen auf Helden

Angesichts solcher Misere wächst die Sehnsucht nach Helden. Gerechtigkeit! – Oh, dass uns doch ein Held aus den Albträumen unserer verdrehten Verhältnisse erweckte! Aus dem Albtraum der Immer-mehr-Gesellschaft. Aus dem Albtraum fataler Selbstbeschleunigung. Aus dem Albtraum des rücksichtslosen Ringens um Ressourcen und den Teufelskreisen des Misstrauens, der Angst und der Knappheit. Der Wunsch nach einem kollektiven Erwachen ist am stärksten bei den Jungen. Sie haben Alternativlosigkeit noch nicht verinnerlicht. Sie erträumen eine andere Welt. – Doch der Held? Gibt es ihn? Könnte er den nötigen Gesinnungswandel schaffen? Er müsste superstark sein und zugleich äußerst verständnisvoll. Er müsste Zerstörungsmächten Einhalt gebieten, ohne selbst von Macht korrumpiert zu werden. Er müsste Menschen im Innersten berühren und zugleich allen eine starke Hoffnung anbieten. Er müsste ganz menschlich sein. Und zugleich ganz und gar übermenschlich. 

Diesen Helden kennen wir! Als wirkendes Wort ist Jesus Christus der eigentliche Superheld in Schöpfung und Erneuerung dieser Erde. In ihm kommt Gott als Baby zur Welt. Mitten in einen Kuhstall. Klein und schrumpelig. Aus echtem Fleisch und Blut. Ganz Gott und ganz Mensch. In ihm, in Christus, zeigt Gott wie ER seine liebevoll erdachte Schöpfung und den ganzen Kosmos (vgl. Joh 3,16), zu erlösen gedenkt. Als dieser Gott-Mensch Jesus, Urform und Ausdruck der Liebe Gottes, mit 33 Jahren, den Kräften menschlicher Zerstörung ausgesetzt, stirbt, geschieht etwas Fulminantes: Im Moment seines Sterbens wird das Innere der Erde von einem gewaltigen Beben erschüttert. Die geschaffene Welt spürt im Kern, dass auf Golgatha ihre Neuschöpfung beginnt. – Der Superheld, er lebt!

Zurück ans Herz

Doch mit Tod und Auferstehung Jesu beginnt seine Mission erst. Pfingsten senden Vater und Sohn den Heiligen Geist und befeuern damit die Ausbreitung des Reiches Gottes. Das Ziel dieser Sendung: Mensch und Schöpfung an den eigentlichen Platz am Herzen Gottes zurückzuführen. Alles Geschaffene ist dazu erdacht und gemacht, Teil der liebenden Gemeinschaft von ­Vater, Sohn und Geist zu werden. [Christus] ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene, vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles ­erschaffen, was im Himmel und auf der Erde ist […] Er war vor ­allem anderen da, und alles besteht durch ihn. […] Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott gefallen […] durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, […] indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz (Kol 1,15-19). 

Verbunden und erdig

Markant an dieser Versöhnung ist ihr Bezug zum Materiellen. Erlösung ist im christlichen Sinn nicht Lösung vom Leib, sondern Rückführung auch des Leiblichen hinein in die versöhnte Wirklichkeit Gottes. Versöhnung hat Bodenhaftung. Doch diese Sicht von Erlösung ist anstößig, ja geradezu skandalös. Die Philosophen der Antike trennten die Wirklichkeit lieber in das niedere Materielle und das höhere Geistige. Erlösung bedeutete etwa für Platon, das Leibliche hinter sich zu lassen und ganz im Geist zu leben. Für ihn ist die Welt der geistigen Ideen das Eigentliche, der Körper nur das zu überwindende Gefängnis. 

Die platonische Materie-ist-doof-Weltsicht prägte auch das christliche Denken nachhaltig. Sie wurde zum Nährboden einer ungesunden Durchreise-Spiritua­lität. Man erwartete keine Neuschöpfung mehr, sondern fokussierte sich (gut platonisch) auf die Entrückung als erlösende Befreiung von allem Leiblich-Irdischen. Aber wer so glaubt, dem ist die Zukunft der Schöpfung egal. „Lasst doch. Je schneller die Erde vergeht, desto besser!“ Wenn Gott das Universum sowieso zerstören will, was sollen wir uns noch um den CO2-Fußabdruck kümmern? 

Zukunft als Hochzeit 

Doch Jesus ist nicht Platon. Christliche Zukunftshoffnung ist keine geistige Verjenseitigung. Ganz im Gegenteil: Christen hoffen und beten, dass Gottes Reich komme, wie im Himmel so auch auf Erden. Jesus lehrt uns hier, bittend zu erwarten, dass diese ganze Welt von der neuschöpfenden Kraft Gottes erfasst und durchdrungen wird. Folgen wir Jesus und beten das Vaterunser glaubend? Dann erwarten wir, dass Gott sein Reich hier „auf Erden“ im Vollsinne entfalten wird. Dann wäre die Erde eingedenk all ihrer materiellen Substanzialität das Rohmaterial für Gottes ewiges ­Königreich. – Ist das denkbar? Lehren uns nicht das Alte und das Neue Testament etwas anderes? Sprechen sie nicht davon, dass Himmel und Erde zusammen­gerollt und weggeworfen werden (Jes 34,4; Ps 102,26; 2.Petr 3,10; Offb 21,1f)? Und bestärken sie nicht gerade mit diesem transzendenten Wegwerfbild die immanente Praxis der Wegwerfkultur?

Tatsächlich offenbart Gott uns in seinem Wort zwei Fluchtpunkte in Bezug auf die Zukunft der Erde: Es gibt eine Perspektive der Kontinuität, dass die gesamte jetzt noch seufzende Schöpfung hineinversetzt wird in ihre eigentliche Bestimmung auf Gott hin ausgerichtet (vgl. Phil 2; Kol 1; Röm 14). Und eine andere der Diskontinuität, in der der endgültigen Erlösung eine ­umfassende Vernichtung der Welt vorausgeht (s.o.). Widerspricht sich Gott selbst? Nein, keineswegs! – Ganz offensichtlich wird es eine reinigende Erneuerung von Himmel und Erde geben. Doch der Ablauf und das Ziel dieser epochalen Neuschöpfung ist verwoben und verbunden mit Gottes Schöpfungshandeln. Genau wie Jesus in seinem neuen Körper gleicher­maßen himmlisch-erneuert und sichtbar von Narben gezeichnet war, so ist auch die Neuschöpfung der Welt zu denken: Erneuert unter Einbezug alles ­bisher ­Gewordenen.

Die von ihrer Vergänglichkeit (Römer 8) befreite Schöpfung findet den ewigen Ort ihres versöhnten Seins nicht im Himmel, sondern auf der Erde! Gott schenkt uns in Offb 21 einen beeindruckenden Blick auf seine neue Schöpfung: Das neue Jerusalem schwebt herab auf die Erde! Die Neuschöpfung ereignet sich als kosmische Hochzeit, bei der der Himmel seinen Platz auf der Erde findet. 

Von Dr. Andreas Rauhut

 

Salzkorn 4 / 2020: (W)erschöpft? Ökologie und Hoffnung
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