Freiwillig bei Wasser und Brot – Fasten macht satt

Maria Kaißling befragt Rudolf M. J. Böhm –

Seit 20 Jahren fastest du regelmäßig und lebst mittwochs und freitags von trockenem Brot und Wasser. Wieso tust du das?
Zunächst, weil meine Frau so fastete; ich wollte nicht, dass sie für mich allein kochen muss. Ich habe mich näher damit beschäftigt, es für mich selbst entdeckt und bin bis heute dabeigeblieben. Die Bibel spricht ja immer wieder vom Fasten. Die Propheten forderten das auserwählte Volk zum Fasten auf. Jesus hat über das Fasten gesprochen und fastete selbst. Auch die Apostel haben gefastet.

Im Volk Israel war es üblich, zweimal in der Woche zu fasten, am Montag und am Donnerstag. Später führte man in der Kirche ebenfalls zwei Fastentage ein, den Mittwoch und den Freitag. Nach kirchlicher Überlieferung ging Judas am Mittwoch der Karwoche zu den Pharisäern, um mit ihnen zu vereinbaren, wie er Jesus verraten würde. Freitags fastet man im besonderen Gedenken des Leidens und Todes Jesu.

Was gewinnst du beim Fasten?
Meine Freiheit, behaupte ich. Fasten wird häufig unter dem Aspekt der Einschränkung der persönlichen Freiheit gesehen. Wenn ich das und das nicht mehr darf, dann bestimme ich nicht mehr über mich selbst; ich verliere meine Freiheit. Tatsächlich geht es jedoch um einen freiwilligen Verzicht, eine freiwillige Beschränkung für eine bestimmte Zeit um eines größeren Gutes willen: Innere Freiheit! Zwei Tage mit allen Dingen, die wir haben, zu leben, ohne sie anzurühren, und dann zu sehen: Gestern keine Schokolade, keine Kekse, und ich lebe immer noch… Natürlich ist das nicht leicht. Aber es setzt Kräfte frei und schafft eine große innere Freiheit. Fasten zielt also nicht darauf ab, die Freiheit zu schwächen, sondern sie zu stärken.

Was unterscheidet dein Fasten vom Wellness-Fasten?
Wenn ich zweimal wöchentlich faste, tue ich zweifellos etwas Gutes für meinen Körper, meinen Geist und meine Seele. Das fällt quasi nebenbei ab. Meine Art des Fastens aber dient der Bekehrung. Schon in der Zeit vor Christus war im Judentum klar, dass vor Gott nur bestehen kann, wenn die Haltung der Buße bzw. der inneren Umkehr dahintersteht. Umkehren heißt Gott suchen, mit Gott gehen, seine Lehren willig befolgen. Im Unterschied zum Wellness-Fasten geht es nicht darum, mein Wohlbefinden zu steigern. Jesus hat hart gefastet, vierzig Tage in der Wüste. Er hat uns durch Leid und Schmerz am Kreuz erlöst. Das Leid hat im Christentum ebenso seinen Platz wie Freude. Vor Ostern kommt Karfreitag. Niemand nimmt Anstoß daran, wenn man Torturen auf sich nimmt, um ein paar Kilo abzunehmen, wenn man sich quält, um ein besserer Sportler zu werden. Geht es um Gesundheit und Schönheit, so ist man zu fast jedem – auch körperlichen – Opfer bereit. Doch geht es um die Liebe zu Gott und die innere Gesundheit, so höhnt man oder empfindet Abneigung.

Was motiviert dich zum Fasten?
Unser Herz ist für die Liebe gemacht, aber im Herzen findet ein geistlicher Kampf statt, der Kampf zwischen dem „ich diene“ und dem „ich diene nicht“. Dort führen wir die Auseinandersetzung um die Liebe, um den Willen Gottes; denn es geht um Leben und Ewigkeit. Wir können unmöglich in der Liebe zu Gott und dem Nächsten wachsen, ohne z. B. auf Besitz zu verzichten, ohne unsere Herzen vom Habenwollen zu befreien. Jesus beginnt seine Rede mit dem Lobpreis auf die Armut im Geist. Um seelisch stark zu bleiben, müssen wir unsere Schwäche anerkennen und uns dann Christus zuwenden und ihm erlauben, in unserem Leben zu wirken. Je mehr wir uns unserer Verlorenheit bewusst werden, umso näher kommen wir Gott. Fasten vermehrt also die Freude des Reiches Gottes.

Du hast von Umkehr gesprochen: Was bedeutet Opfer, Verzicht, Fasten für die Umkehr?
Es geht darum, uns in die Lage zu versetzen, die Stimme Gottes zu hören und uns selbst wiederzufinden. Ich verspüre die Sehnsucht, ein reines Herz zu bekommen, und habe erkannt, dass die Reinigung nur von innen her geschehen kann. Gute Vorsätze und ein ausgeprägtes Pflichtgefühl reichen nicht. Wir sind schwache Menschen, vergesslich und von Natur aus taub und blind. Wenn das Herz von Blindheit geschlagen ist, hört es auf, Gott zu suchen, es sucht die Gnade nicht mehr und verspürt keine Reuegefühle mehr. Mit dem Fasten hat Gott uns ein wirksames Mittel zur Verfügung gestellt, um die Lauheit aus unserem Herzen zu entfernen und ein neues Leben in Christus zu leben. Gott wird unsere Herzen erst dann ganz in Besitz nehmen können, wenn wir alles andere daraus entfernt haben. Was wir brauchen ist eine radikale Umkehr zu Gott. Fasten erleichtert diese Umkehr.

Fasten als Waffe gegen die Mächte des Bösen?
Die jüdische und die daraus entstandene christliche Überlieferung lehren uns, dass das Fasten eine sehr wirksame Macht gegen den Satan ist, eine starke geistliche Waffe, durch die man viel bewegen kann, für sich selbst, für andere und auch als ganzes Volk. Dieser Punkt ist heute sehr wichtig, denn wir stehen unter dem Einfluss der Mächte des Bösen. Überflüssig die Verheerungen zu erklären, die er in den Familien, unter den Kindern und Jugendlichen anrichtet! In vielen Familien herrscht regelrecht Krieg, und um diesen Krieg schon im eigenen Herzen zu beenden, sind Beten und Fasten wichtige Mittel. Als die Apostel einmal ganz kleinlaut zu Jesus kamen, weil das Böse ihnen widerstanden hatte, sagte er ihnen: „Die bösen Geister lassen sich nur durch Gebet und Fasten austreiben.“ Ich bin überzeugt, durch Fasten rettet man viele Leben. Eltern, die um Heilung ihrer Kinder flehen, ebenso Kinder, die um Versöhnung ihrer Eltern flehen, möchte ich raten: Betet nicht, ohne auch zu fasten, und fastet nicht, ohne zu beten.

Willst du etwa heiliger werden als die anderen?
Nein, sondern ich bin der Meinung, dass heilig werden zu wollen unser aller Christenpflicht ist. Es lohnt sich, das eigene Bild von Heiligkeit zu überdenken. Vielfach haben wir lediglich Karikaturen von schrägen Himmelskomikern vor Augen und halten Heiligsein für eine Abartigkeit frommer Extremisten. Mutter Teresa hat dazu gesagt: „Heilig sein heißt nicht, Außergewöhnliches zu vollbringen oder Großes zu verstehen, sondern es besteht in einem einfachen Ja. Ich habe mich Gott geschenkt und gehöre ganz ihm, ich verlasse mich ganz auf ihn. Wahre Heiligkeit besteht darin, Gottes Willen lächelnd zu tun.“

Hängst du damit nicht einem Asketen-Ideal an?
Im Gegenteil genieße ich gutes Essen, koche selbst sehr gerne und habe dabei manche genüssliche Rituale kultiviert. Aber alles hat seine Zeit. Wer seinen Hunger nicht mehr spüren will, der kann nicht mehr unterscheiden, was ihm gut tut und was nicht. Ständiger Überfluss verdirbt den Geschmack und macht gierig nach immer neuen Sensationen. Alles zu konsumieren, wie es gerade kommt, lässt das Gebet unmerklich erlahmen. Durch Fasten werden wir offener für das Gebet. Wir werden offener, Gott zu begegnen und ihm gegenüberzutreten. Fasten kann durch nichts ersetzt werden, ist geradezu unentbehrlich, um im Gebet wachsen zu können. Auf eine Formel gebracht: Es ist leichter zu beten, wenn man fastet, und man fastet besser, wenn man betet.

Gibt es auch andere Wege des Fastens?
Sich z. B. jeden Tag 10 Minuten Zeit nehmen, um sich in der Gegenwart Gottes wahrzunehmen, einfach da sein und sich spüren, ohne irgendetwas anderes zu tun. Es kann sehr schmerzlich sein, wenn man seine innere Unruhe und Leere zu spüren beginnt, wenn wir unserer Seele entfremdet sind. Fasten fördert den Pilgerweg zu uns selbst. Die Seele ist jene Instanz in uns, die uns helfen will, dass wir größer, tiefer, freier und glücklicher werden. Das Problem ist nicht, dass die Seele nicht wüsste, was das Beste für uns ist, sondern dass wir verlernt haben, auf sie zu hören.

Fasten ist also ein Mittel, die Beziehung zu sich wiederzufinden?
Das, was ich bisher betäubt habe – Schmerz, Not, Angst – wird im Fasten deutlich, und: Was sind meine wahren Sehnsüchte? Wenn wir das wahrnehmen können, ist der erste Schritt zur Veränderung getan. Wenn man fastet, wird man scharfsichtiger für sich selbst. Es kann für jeden sinnvoll sein, sich zu fragen: Wie und womit betäube ich mich? Fast alles, was wir tun, auch eine Haltung, die wir einnehmen, können zur Betäubung werden. Ich kann zu viel arbeiten, zu viel um andere herumschwirren…

Ist nicht jeder froh, wenn die Fastenzeit rum ist?
Nun, es kann auch eine ermutigende Erfahrung sein, die z. B. zur Rückkehr zu einem gesunden Maß finden lässt, nach der Maxime: „Nichts im Übermaß.“
Fasten kann uns helfen, den goldenen Mittelweg neu zu erspüren. Mittelweg ist nicht zu verwechseln mit Mittelmäßigkeit und bedarf der Unterscheidung der Geister. Der eine kümmert sich zu viel um andere und muss lernen, besser auf sich zu achten, ein anderer denkt nur an sich und muss lernen, mehr auf andere Rücksicht zu nehmen. Beides sind Aufforderungen, das jeweils süchtige Verhalten zu reduzieren. Es gibt nur eine einzige Ausnahme von der Regel, dass alles ein zu viel und ein zu wenig hat. Bernhard von Clairvaux hat das im 12. Jahrhundert so formuliert: „Das Maß zu lieben ist zu lieben ohne Maß.“ Damit gemeint ist die Liebe, die durch Christus in dieser Welt zur Wirklichkeit wurde und die auch in uns Menschen heute Gestalt gewinnen will.

Fasten hat mit Loslassen zu tun. Dieses Loslassen zu lernen fordert uns aufs Höchste heraus. Wir legen unsere Sorgen im Gebet oft mit der einen Hand in die Hände von Gott. Doch mit der anderen Hand nehmen wir sie gleich wieder heraus und wollen selber eine Lösung suchen. Wir tragen die Sorgen, die Kreuze des Alltags, in unseren Gedanken weiter und verfehlen dabei die Erlösung von unserem „Sorgenkram“. Vielleicht versucht es der eine oder andere in dieser Fastenzeit einmal mit „Sorgenfasten“!

Bedeutet Fasten, sich abzusondern?
Als Jesus in der Wüste 40 Tage fastete, blieb er allein. Fasten kann heißen, eine Zeit lang auf menschliche Gemeinschaft zu verzichten. Doch solch eine Absonderung hat keinen Selbstzweck, sondern den Sinn, in Beziehung zu treten zur eigenen Seele und zum allmächtigen Gott. Rechtes Fasten hat zum Ziel, in eine ganz tiefe Beziehung zu kommen zur eigenen Seele und zu Gott und in der Folge auch wieder zu unseren Mitmenschen.

Was machst du, wenn Freitagabend eine tolle Einladung ist?
Wenn es am Mittwoch oder Freitag ein Fest gibt, faste ich eben einen Tag vorher. Das nimmt der Sache an sich nichts.

Was ist dir das Wichtigste am Fasten?
Der Hebräerbrief spricht davon, dass man „durch Gewohnheit geübte Sinne“ bekommt. Die Erfahrung zeigt nicht nur bei mir: Wer das Fasten entschlossen auf sich nimmt, in dem wächst das Verlangen nach Gott. Wenn man mit dieser Übung des Fastens lange genug unterwegs ist, verändert sich die Sicht auf das Leben, kann man die Dinge in ihrer Bedeutung – was wichtig und was unwichtig ist – leichter unterscheiden und besser einordnen. Man lernt sich selbst in seiner Armut und Bedürftigkeit und Gott in seiner Fülle und seinem Reichtum besser kennen und schätzen – das führt zu einer größeren Dankbarkeit. Man ist in der Lage, das Wort Gottes besser zu hören und in die Tat umzusetzen; Glaube und Vertrauen in Gottes liebende Vorsehung nehmen zu, und ich kann das Leben, so wie es ist, leichter annehmen. Das Mitgefühl zu den Mitmenschen wächst. Ich bin für die Liebe geschaffen und erlebe: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark! (2 Kor 12,10). In diesem Paradox liegt das Geheimnis der Menschwerdung Christi und meiner eigenen Menschwerdung. Fasten wird so zur Anbetung des Geheimnisses der Menschwerdung durch den Körper und mit meinem ganzen Sein. Das empfinde ich als ein großes Glück.

Maria Kaißling ist offensive junge Christin der ersten Stunde und 1998 als Kundschafterin nach Greifswald gezogen. Sie hat zusammen mit Rudolf und Renate Böhm die OJC-Einheit aufgebaut, deren Leitung inzwischen in die Hände einer jungen Generation übergegangen ist.
Dieses Interview erschien ungekürzt im Brennpunkt Seelsorge 1/2010: Entlastet. Fasten – die Kraft aus dem Verzicht.

Salzkorn 1 / 2023: Einfach leben
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