Giuseppe Arcimboldo (1527 – 1593) stellt in diesem Bild ein Wesen an der Grenze zwischen Mensch und Maschine dar

Entgrenzung – Wie die Transbewegung den Menschen überschreibt

Transhumanismus – wieder so ein „Modewort“, das die einen mit wissender Miene aussprechen, um andere gleich vor der Gefahr durch diese neuartige Denke zu warnen. Sie sehen darin einen weiteren Schritt von der Transgender-Ideologie zum Niedergang der Menschheit. Andere haben gerade erst begriffen, was es mit letzterer auf sich hat, sind aber unsicher, ob das denn wirklich so schlimm ist. Dabei ist weder eine Kampfansage an die „Trans-Ideologen“, noch eine Verharmlosung der Ziele beider „Trans“-Ideen angebracht, auch wenn sie uns Christen in den nächsten Jahren beschäftigen und uns eine offensive, lebbare Antwort abverlangen werden.
„Trans“-Ideen rühren an eine tiefe Sehnsucht des Menschen. An die Sehnsucht, angenommen und geliebt zu werden wie man ist, oder an die Sehnsucht nach höchstmöglichem Wohlbefinden, Gesundheit und einer langen Lebensspanne. Die meisten suchen beides. In einer Welt, in der Gott immer mehr an den Rand gedrängt wird, ist der Mensch zur Erfüllung seiner Sehnsüchte allein auf seine eigenen kognitiven Fähigkeiten und auf das, was er als gut empfindet, zurückgeworfen.

Die Vorsilbe trans „bedeutet in Bildungen mit Verben oder Substantiven hindurch, quer durch, hinüber, jenseits, über … hinaus“1. Es geht beim Transhumanismus, ähnlich wie bei Transgender, darum, dass der Mensch über sich hinauswächst, indem er die Grenzen seines biologischen Körpers überschreitet2. Allerdings sollen diese Grenzen, anders als nach den Gender-Theorien, nicht überwunden werden, indem man sie als eine Erfindung alter weißer Männer abtut, sondern indem die Grenzen des biologischen Menschen mithilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse und fortschrittlicher Technologie erweitert werden.
Nach Ansicht der Transhumanisten befindet sich der Mensch in einer frühen Phase der Evolution, wenn auch so weit entwickelt, dass er sie in die eigenen Hände nehmen kann. So kommt es nicht von ungefähr, dass der Begriff ursprünglich von dem Evolutionsbiologen Julius Huxley (1887–1975), dem ersten Generalsekretär der UNESCO, stammt:
„Die menschliche Spezies kann, wenn sie will, über sich selbst hinauswachsen – nicht nur sporadisch, ein Individuum hier auf die eine, ein Individuum dort auf die andere Weise, sondern in ihrer Gesamtheit als Menschheit. Wir brauchen einen Namen für diesen neuen Glauben. Vielleicht wäre Transhumanismus angebracht: der Mensch bleibt Mensch, aber er transzendiert sich selbst, indem er neue Möglichkeiten für seine menschliche Natur verwirklicht.“3

Die Anhänger der Bewegung hegen die gleichen Hoffnungen wie die Humanisten vor ihnen, die sich ihrerseits nach einer Verbesserung und Optimierung menschlichen Daseins sehnten: optimales Wohlbefinden, verlängerte Lebensspanne mit geistiger und körperlicher Gesundheit und die Steigerung von Wissen und Rationalität. Doch „während der geisteswissenschaftliche Humanismus die Bestrebungen des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, noch im Rückgriff auf die Antike und in Weiterführung ihrer Erziehungsprogramme mit dem Begriff der Bildung zu beschreiben versuchte, stellt der moderne Transhumanismus seine Zielsetzungen und Unternehmungen auf empirisch-experimentell verfahrende Rationalität und Technologien der Menschenverbesserung“4. Die im Menschen vorhandenen Anlagen genügen den Transhumanisten nicht, auch nicht, wenn sie durch Bildung gefördert werden.
Mittel der Wahl für diese selbstgeleitete Evolution sind sogenannte Human-Enhancement-Technologies (kurz HET), auf gut deutsch Menschenverbesserungstechnologien. Unterschieden werden dabei biotechnologische Methoden und die Verbindung von Mensch und Maschine/Technologie.

Biotechnologie

Auf biotechnologischen Anwendungen basieren im Grunde genommen alle medizinischen Behandlungen, die jetzt schon das Leben von Menschen verbessern, denn jedes Medikament greift in den biochemischen Haushalt des Menschen ein. Transhumanisten wünschen sich von der Biotechnologie aber mehr als nur die Heilung von Krankheiten, sprich die Rückführung des biochemischen Haushalts in seinen Normalzustand, wenn er einmal durcheinandergerät. Der Normalzustand an sich soll qualitativ verbessert werden.
Von der Gentechnologie erhofft man sich verbessertes Erbgut, das viele Krankheiten ausschließt, den Alterungsprozess hinauszögert und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten verbessert. Biochemische Mittel sollen dem Menschen unter anderem ein erhöhtes Wohlgefühl vermitteln, sein Bewusstsein optimieren, die Intelligenz vermehren, ja sogar seine moralischen Fähigkeiten verbessern. Und im Bereich der Nanotechnologie hofft man mit dem sogenannten Bioprinting ganze Organe im 3D-Drucker herstellen zu können, um kranke oder alte Organe auszutauschen.
Mit Bioprinting könnten auch Lebensmittel hergestellt werden. Die Ernährung wäre dann gesichert, Klimawandel kein Problem mehr, und falls der Platz auf der Erde nicht mehr ausreicht, könnte sich der Mensch damit auch auf einem anderen Planeten ernähren. Vieles, was uns heute ängstigt und belastet, wäre so überwunden.
Soweit sind wir noch nicht, aber der Fortschrittsglaube mancher Transhumanisten schließt auch die Kryokonservierung von Menschen ein. In den USA gibt es Geschäftsmodelle zum Einfrieren der Person zu einem bestimmten Zeitpunkt des Sterbeprozesses, um hoffentlich zum richtigen Zeitpunkt wieder aufgetaut und behandelt werden zu können.

Verbindung von Mensch und Maschine

Die Verbindung von Mensch und Maschine ist nichts Neues. Darunter fallen schon einfache Werkzeuge oder das Tragen von Brillen, Hörgeräten, Prothesen, Herzschrittmachern etc. Der Mensch hat schon immer technische Hilfsmittel benutzt, um seinen körperlichen oder geistigen Handlungsraum zu erweitern. In Zukunft sollen Mensch und Maschine noch enger miteinander verschmelzen. Dann ist es nicht mehr die handgeschriebene Notiz, die den Menschen an einen Termin erinnert, sondern ein Impuls des im Gehirn eingepflanzten Mikrochips. Solch ein Chip ist noch Zukunftsmusik, doch schon heute kann ein Mikrochip im Arm den Blutzucker messen und regulieren.
Ein besonderer Fokus liegt auf dem kognitiven Bereich. Transhumanisten glauben, nur eine gesteigerte Intelligenz würde sie befähigen, sowohl die biologische Evolution als auch den technischen Fortschritt voranzutreiben. Da trotz zukünftiger Fortschritte in der Biotechnologie die menschliche Intelligenz an Grenzen stoßen könnte, setzen sie viel Hoffnung auf die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz. Diese soll dann mit dem Menschen, z. B. mit tragbaren Computern, Informationsfiltersystemen, Visualisierungssoftware oder Gehirnimplantaten verbunden werden5. Manche träumen gar von der Entwicklung einer künstlichen Superintelligenz, die die Grenzen der Verbesserungsfähigkeit des biologischen Hirns übersteigt. Diese Superintelligenz wäre dann das, was man sich von einem transzendenten Wesen erhofft, eine Hilfe bei dem, was der Mensch alleine nicht bewältigt. Ein Götze, nicht aus Holz und Stein, sondern aus Metall und seltenen Erden.
Ein weiteres Anliegen ist der Ausbau des digitalen Raumes, in dem durch das Zusammenwirken von virtueller und physischer Realität das sogenannte Metaversum entstehen soll. Virtuelle 3-D-Handlungs- und Begegnungsräume sollen entstehen, die die reale physikalische Welt und die direkte Begegnung von Mensch zu Mensch in vielen Bereichen ersetzen. Diese virtuelle „Realität“ ist zwar nicht real, aber Transhumanisten verankern Realität ohnehin

Suche nach Antworten

Der Mensch wagt sich vielleicht in fragwürdige Bereiche vor, aber im Grunde sucht er nach Gutem, und wir sollten niemanden vorschnell verurteilen. Der Transhumanismus sucht nach Antworten auf die Probleme dieser Welt und auf die Sehnsucht im Herzen der Menschen, wobei diese Weltanschauung die Antworten nur in der rein materiellen Welt zu finden glaubt. In einer Welt ohne Schöpfer und ohne Ziel, mit einer Menschheit, die in ihrer Evolution möglichst soweit fortschreitet, dass sie sich irgendwann selbst aus dem Elend, indem sie sich befindet, erlösen kann.
Natürlich birgt diese Sicht auch Gefahren, denn der Mensch ist mehr als Materie, mehr als sein Bewusstsein: er ist ein Geschöpf Gottes. Nur wenn in der Suche nach Antworten auf die Not und die Probleme der Menschheit die ganze Wirklichkeit über das Wesen des Menschen miteingeschlossen ist und er sich seinem Schöpfer gegenüber zu verantworten weiß, wird er Wege finden, in dieser Welt etwas zum Guten zu verändern. Die Antworten, die er ohne diese Erkenntnis seiner wahren Essenz findet, machen ihn nicht humaner, sie berauben ihn eher seiner menschlichen Würde:
„Wo die Freiheit des Machens zur Freiheit des Sich-selbst-Machens wird, wird notwendigerweise der Schöpfer selbst geleugnet und damit am Ende auch der Mensch als göttliche Schöpfung, als Ebenbild Gottes im Eigentlichen seines Seins entwürdigt. … Und es wird sichtbar, dass dort, wo Gott geleugnet wird, auch die Würde des Menschen sich auflöst. Wer Gott verteidigt, verteidigt den Menschen.“6 (Papst Benedikt)
Gefahren, in die wir uns durch transhumanistische Vorhaben begeben, lassen sich nicht bannen, indem man den Transhumanismus bekämpft, sondern nur, wenn man das Unbehagen am Zustand dieser Welt ernst nimmt, teilt und das Menschenmögliche tut, um die Umstände zu verbessern. Als Christen sollten wir uns darüber hinaus wieder trauen, Gott in den Diskurs miteinzubeziehen und auf den hinweisen, der uns die Ewigkeit ins Herz gelegt hat und der allein die Sehnsucht unserer Herzen stillen kann.

Anmerkungen:
1 https://www.duden.de/rechtschreibung/trans_
2 Nicht zu verwechseln mit Transgender, wo man behauptet, es gäbe, was das Geschlecht angeht, keine biologischen Grenzen, THs sind in der Regel keine Postmodernisten.
3 Deutsche Übersetzung von: https://www.researchgate.net/publication/247718617_Transhumanism: Copyright, 1957, by Julian Huxley. Reprinted by permission from Julian Huxley and Harper & Brothers, New York. Originally titled New Bottles for New Wines, reprinted as Mentor Book by arrangement with Harper & Brothers under the title Knowledge, Morality & Destiny.
4 Otto Hansmann, Begriff und Geschichte des Transhumanismus, in Benedikt Paul Göcke und Frank Meier-Hamid (Hg.), 2018, Designer Objekt Mensch: Die Agenda des Transhumanismus auf dem Prüfstand, Herder Verlag (S.25)
5 Nick Bostrom, 2003, The Transhumanist FAQ, The World Trans humanist Association
6 Ansprache von Papst Benedikt XVI. beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium, die Mitglieder der römischen Kurie und der päpstlichen Familie, 2012

 

Salzkorn 4 / 2022: ÜberMensch? – Transhumanistische Ideen fordern Antworten
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