Gustave Doré, Jesus auf dem Weg nach Emmaus, ca 1866, Kupferstich, Große illustrierte Bibel

Ein Weggefährte für lange Strecken

Elke Pechmann – Meine Geschichte mit Jesus beginnt schon sehr früh. Als Vorschulkind habe ich ihm „mein Herz“ geschenkt. Jesus wollte, dass man die Kinder zu ihm kommen lässt, denn er weiß, dass sie einen Zugang zu Gott, dem Vater haben. Meine eigene Herzensbeziehung verhalf mir zu einem eigenständigen Glauben an den Vater im Himmel, zu einem inneren Schutz und zu der Gewissheit, dass er mit seinem guten heiligen Geist gegenwärtig ist. Ich war bei ihm mehr geborgen als beim eigenen, wenig liebevollen Vater. „Und erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken.“ So sagte es Papst Benedikt in seiner Einführungspredigt. Auch wenn ich diese Gewissheit nie verloren habe, war mein Weg zu einem erwachsenen Glauben, in eine größere Freiheit und Liebesfähigkeit hinein, nicht ohne Durststrecken. Ich musste mich mit meiner Tochtergeschichte versöhnen, um irgendwann fähig zu werden, meine demente Mutter in ihren letzten Lebensjahren zu pflegen und zu begleiten.

Aus der Enge des Herzens …

Immer wieder fand ich mich in aussichtslosen Situationen wieder: in Ehe- und Familienkrisen, in finanziellen Herausforderungen, Überforderungen, Enttäuschungen und im Dickicht des Gemeinschaftslebens. Immer wieder wurde ich mit meiner eigenen Unzulänglichkeit, Unzufriedenheit, Unbarmherzigkeit und weiteren „Un-Zuständen“ konfrontiert. Besonders litt ich darunter, wenn sogar meine Liebe für die Menschen, die mir am wichtigsten waren, an ihre Grenzen kam. Wo war Jesus in diesen bedrängenden Situationen? Er drängte sich jedenfalls nicht auf. Ich musste ihn immer wieder einladen, auch in die Unleidlichkeiten meines Herzens – jeden Tag neu. Erst recht im hektischen Alltag, wenn das Empfinden für die Gegenwart des lebendigen Gottes schwindet, liegt es an mir, ob ich ihn suche und ihm Raum gebe, mein Leben mitzugestalten. Er wartet, bis ich ihn frage: „Herr, was willst du?“ – „Du hast Worte ewigen Lebens.“

Bei Dietrich von Hildebrand habe ich gelesen: „Die Verfassung, in die wir durch Hass, Rachsucht, Neid, Schadenfreude und Eifersucht geraten, ist darum stets eine radikale Antithese zum echten Frieden, noch über die durch ihre Sündhaftigkeit bedingte allgemeine Trennung von Gott hinaus. Wir können, solange dieses Gift in uns verbleibt, nie zum wahren Frieden gelangen.“ (Die Umgestaltung in Jesus, Stuttgart 1971, S. 254) Nach Frieden sehnte ich mich sehr. So hielt ich Ausschau nach „Seelenführern“ und nahm seelsorgerliche Begleitung durch verschiedene Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen in Anspruch.

in die Weite der Sehnsucht …

Als ich mal eine Seelsorgerin fragte, weshalb Veränderungen so lange dauern, wenn wir doch bitten: Herr, sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund, gab sie mir zur Antwort: „Ich habe schon viele körperliche Spontanheilungen erlebt, aber die Seele benötigt eigene längere Wegstrecken der Gesundung und Veränderung.“ Das half mir, geduldiger mit mir zu werden. Inzwischen weiß ich mit meinen bereits zurückliegenden Lebensjahrzehnten, dass ich bis zum letzten Atemzug eine Lernende sein werde. Und ich weiß, dass die einzige Veränderung, die wirklich zählt, „die Wandlung meiner selbst ist“ (Martin Buber). Rein theoretisch wusste ich das auch schon, als ich noch mit dem Anspruch antrat, die Menschen um mich und die Welt zu verändern. Die großen Ideale und Erwartungen, mit denen ich angetreten war „gegen Hunger, Hass und Hoffnungslosigkeit“, wie es im ersten Leitbild der OJC heißt, und für Toleranz, Annahme, Solidarität und Frieden – sie alle beginnen im Kleinen und Konkreten, wo wir einander nicht ausweichen können, und wo ich Jesus nicht ausweiche.

… zu der Freude am Miteinander

Jesus möchte mir in der Stille und im Gebet begegnen. Seit der Kinderzeit lehrt er mich täglich Neues, und noch im Ruhestand lerne ich weiter. „Die Fähigkeit des Gebetes, uns zu tieferer Selbsterkenntnis zu führen“, schreibt Anselm Grün in Gebet und Selbsterkenntnis, „gründet darin, dass es uns mit Gott konfrontiert. Gebet ist nicht Monolog, nicht Selbstbespiegelung, sondern Gespräch, Begegnung mit einem Du. Gott ist nicht nur der Grund meiner Seele, sondern auch ein Gegenüber“. Deswegen halte ich das, was in mir ist, in das Licht Jesu, und halte es aus – wie er es mit mir aushält. Das reinigt das Herz, macht es weit und macht Raum für andere. Denn mit der gleichen Liebe, mit der er mich als Bruder aushält, bleibt er auch beim Anderen. Das verbindet uns als Kommunität und in der Nachbarschaft, als Kirche und im Freundeskreis, als Ehefrau wie auch als Mutter von erwachsenen Kindern und inzwischen als dankbare Oma. Wachstum und Veränderung ereignen sich im Gehen. Und immer bleibt Jesus mit mir, mit uns unterwegs.

Elke Pechmann (OJC) gehört seit über 40 Jahren zur Gemeinschaft. Inzwischen berentet ist sie immer noch familienpolitisch aktiv und in der OJC engagiert, z. B. in der Begleitung junger Menschen.

Salzkorn 2 / 2023: Jesus. Und wem folgst du?
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