Pforte: Malerei von Bruno Ritter©. Menschen gestikulieren und trinken Wein dabei.

Die Pforten auf – Fremde an meiner Herzenstür

Daniel Homann und Lonni Collins Pratt – Gastfreundschaft ist eine geistliche Übung, ein Weg ins Menschsein und in die Selbsterkenntnis. Sie ist viel mehr als das kleine Extra in einem ausgewogenen Leben. Gastfreundschaft gehört zu dem tiefen Bedürfnis jedes Menschen, erkannt zu werden und andere zu kennen. Im Innersten von jedem gibt es eine große Einsamkeit, der wir uns stellen müssen, auch wenn wir das in dem Gewusel unseres Alltags tunlichst zu vermeiden suchen. Sie hat eine Funktion.

Gastfreundschaft, wie Benedikt sie verstand, sieht Gott in den Menschen. Auch und gerade in den Schwierigen, den Kranken, den Aufsässigen sehen wir uns Gott gegenüber. Gastfreundschaft bedeutet, dass wir uns mit unserer Unfähigkeit zu lieben auseinandersetzen müssen. Sie entlarvt unsere Ausreden. Dabei war Benedikt Realist. Er wusste, dass wir uns um die Liebe bemühen und sie einüben müssen, wenn sie wachsen soll. Das kostet was.

Ursprünglich bedeutete Gastfreundschaft, Schutz zu gewähren vor den Gefahren des Alleinreisens. Wenn die Klöster ihre Pforten öffneten, haben sie damit Menschenleben gerettet, es war eine Frage des Überlebens. Heute wird Gastfreundschaft oft als Frage des guten Umgangs verstanden, so stört sie nicht, aber sie verändert auch nicht. Das hat Benedikt nicht gemeint, als er eine Lebenshaltung entworfen hat, zu deren Selbstverständnis Gastfreundschaft gehört.

Er beharrt darauf, dass wir uns auf andere einlassen müssen, wenn wir ganz werden wollen. So müssen wir uns unseren tiefsten Ängsten stellen. Dabei ist das größte Hindernis nicht die Welt als solche. Das größte Problem sind unsere Köpfe und unsere Herzen.

Andere aufzunehmen bedeutet auch heute, dass ich mich allen möglichen Gefährdungen aussetze, durch Bindung genauso wie durch Ablehnung. Wenn ich einen Fremden an mich heranlasse, können sich aber auch neue Möglichkeiten auftun. Wenn ich über mich selbst hinausreiche und mich für die Welt öffne, kann sich alles verändern. Das kann beängstigend sein, denn wir werden niemals wieder sein wie vorher.

Wie wir dabei vorgehen, ist ganz individuell. Es ist die Tür meines Herzens, an die geklopft wird. Wenn wir das hören, wissen wir, dass wir darauf reagieren müssen. Meine Antwort fällt anders aus als deine. In der Begegnung mit anderen wirken immer auch die Muster, die wir in Beziehungen gelernt haben und die mit Schmerz verbunden sein können. Aber wir können den Schmerz nutzen, er ist nicht sinnlos, auch wenn wir lieber darauf verzichtet hätten.

Überlegst du schon, was du tun kannst? Mach langsam! Konzentrier dich auf dein Herz. Denk nicht an die Zeit, die das kostet oder wie du das umsetzen kannst. Schau in dein Inneres und such nach dem leeren Fleck, wo du Platz für jemanden hast.

Wer vertrauensvolle und starke Beziehungen hat, dem fällt Gastfreundschaft leichter. Wir können voller Freude in unserem Herzen Raum machen für den anderen. Gastfreundschaft wächst aus der Liebe, die uns von Gott und anderen entgegengebracht wurde. Das Herz fließt über, wenn jemand teilt, was er erhalten hat.

Ein verschlossenes Herz hingegen kann niemals loslassen, niemals einfach nur sich am anderen freuen, spielen, den unerwarteten Überraschungsmoment genießen. Denn es geht immer davon aus, dass der andere im nächsten Augenblick zuschlagen wird.

Nur wer in sich ruht, kann mit offenem Herzen leben. Dazu gehört Mut. Wir werden missverstanden werden und uns abgelehnt fühlen. Menschen kommen in unser Leben, sie werden wichtig und sie verlassen uns wieder. Zweifel, denen wir aus dem Weg zu gehen versuchen, werden uns umschwirren. Wir werden uns der Frage stellen müssen, ob wir das Universum generell für einen sicheren Ort halten oder nicht.

Wenn wir uns öffnen, lernen wir uns selbst kennen und wachsen in ungeahnter Weise. Wir beginnen zu verstehen, warum es uns so schwer fällt zu lieben und zu vertrauen. Gleichzeitig stärkt es unsere Weisheit, wenn wir uns in der Gastfreundschaft üben. Was jeder Einzelne von uns tut, macht einen Unterschied.

Aber Gastfreundschaft meint unsere ganze Gesellschaft. Vorurteile verhindern eine Kultur der Gastfreundschaft, gleichzeitig wird es sie geben, bis wir, du und ich, uns ihnen stellen. Erst wenn wir Menschen aus anderen Völkern und Kulturen, mit anderen Überzeugungen, in unser Herz lassen, werden diese Unterschiede uns nicht mehr trennen. Erst wenn aus Schubladen menschliche Gesichter werden, werden die Mauern fallen.

Gastfreundschaft auf benediktinisch birgt Risiken, ist aber eigentlich das selbstverständlichste von der Welt. In einer weniger komplizierten, weniger schmerzlichen Welt müssten wir gar nicht über das Wie reden, wir würden es tun. Genauso wie sie nicht über ihre funktionierende Verdauung sprechen, machen Menschen mit gesunden Beziehungen davon kein Gewese, sie leben einfach so. Wenn unser Leben in Ordnung ist und unser Geist lebendig, fällt uns das gar nicht weiter auf.

In unserer Kultur wird viel von Spiritualität geredet, aber das sagt nichts über den Zustand unseres Geistes. Und genau da müssen wir anfangen. Wir müssen die Orte in uns aufsuchen, die wir lieber meiden. Wir müssen einmal tief Luft holen, anpacken und tapfer sein. Gastfreundschaft verlangt kein neues Kochbuch oder hübsches Geschirr. Was wir dafür brauchen, nannte man früher Umkehr.

In Anlehnung an ein Kapitel aus: Daniel Homan, OSB / Lonni Collins Pratt: Radical Hospitality. Benedict’s Way of Love, übersetzt und zusammengefasst von Birte Undeutsch. © Daniel Homan, OSB, und Lonni Collins Pratt, 2002.
Mit freundlicher Genehmigung von Paraclete Press: www.paracletepress.com

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