Dehnübung fürs Herz – Zwölf Jahre in Gemeinschaft

Konstantin Mascher im Gespräch mit Christa und Günter Belz

Konstantin: Ihr seid vor zwölf Jahren gekommen. Warum geht ihr jetzt wieder?
Christa: Wir sind nicht zur OJC gekommen, weil wir auf der Suche nach unserer Berufung waren, sondern weil wir uns gefragt haben, wo wir uns mit dem, was wir an Erfahrungen gesammelt haben, noch einbringen können. Wir waren ja beide schon Ü50, das ist nicht das gängige Eintrittsalter in eine Gemeinschaft. Uns hat die Aufgabe hier im Jugendzentrum gereizt. Wir wussten, dass aus unserer Generation schon viele da sind und empfanden, etwas schnoddrig ausgedrückt, dass die OJC ja keine Legion von Senioren brauche. Von Anfang an war da der Gedanke, dass wir auch wieder gehen könnten. Gleichzeitig waren wir hörbereit, falls Gott uns etwas Anderes zeigen würde. Nach etwa zehn Jahren wurde immer klarer, dass dieser erste Gedanke richtig war. Deshalb ist es auch passend und richtig, wieder zu gehen.

Was hat euch zur OJC geführt und für die Aufgaben motiviert?
Günter: Unser ganzes Leben war geprägt vom Aufbruch. Vor zwölf Jahren wurde die innere Unruhe, ob in meinem Leben noch mal was dran sei, stärker. Gleichzeitig war die Aufgabe, die ich hatte, immer mehr vom pädagogisch-technischen Bereich, wo mein Herz schlägt, in den Verwaltungsbereich abgeglitten. Ich suchte eine veränderte Aufgabenstellung für meinen letzten beruflichen Lebensabschnitt. Dann kam die Anfrage, ob wir uns vorstellen könnten, zur OJC zu kommen.
Vor vielen Jahren hatten wir die OJC kennengelernt mit ihrer klaren biblischen Ausrichtung und der Verbindung zur Welt. Das Thema Bibel und Zeitung, dieses Weltweite der OJC, das hat mich begeistert. Themen wie „offene Häuser, offene Herzen, offene Hände“ fanden wir schon als junges Ehepaar attraktiv und wir haben diesen OJC-Gedanken gleich damals versucht, in unserer Wohnung zu leben. Über die Jahre wurde die Verbindung zur OJC immer tiefer oder stärker. Und die OJC war auch ein Ankerpunkt, ein Hafen in unseren 15 Jahren Afrika, in denen wir regelmäßig hier zu Gast waren.

Christa: Meine stärkste Motivation für den Aufbruch war es, nochmal etwas Neues zu lernen. Natürlich bringt man seine Erfahrungen mit ein, aber gemeinsames Leben ist doch etwas anderes als Gemeindeleben. Das kann man nicht vergleichen. Zu denken, hier könne man Kinder- und Jugendarbeit genauso machen wie da, wo man herkommt, funktioniert nicht. Das ist nicht einfach übertragbar.

In der OJC kann man nicht viel Geld verdienen. War das für euch ein Gesichtspunkt?
Günter: Wir haben uns schon angeschaut, was es bedeutet, mit weniger Geld auszukommen, auch mit Blick auf unser Rentendasein. Und haben dann im Sinne eines einfachen Lebensstils gesagt: Das können wir irgendwie hinkriegen. Bei einem stillen Ehewochenende auf dem Schloss haben wir das Buch „Berufung“ gelesen. In den Regeln des Ignatius stand so was wie: „Wenn du es im Herzen weißt, dann tu endlich einen praktischen Schritt.“ Und wir entschieden: Okay, im Herzen wissen wir es ja eigentlich. Jetzt machen wir es auch.

Christa: Wir haben es konkret ausgerechnet bzw. ausrechnen lassen und uns gesagt: Was unterm Strich übrigbleibt, das reicht uns zum Leben.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Also gerne ganz ehrlich.
Günter: Wir waren in der OJC zu Seminaren und um die Geschwister zu besuchen. Wir hatten hier Urlaub gemacht mit unseren Kindern. Aber den Alltag kannten wir nicht. Es war schon überraschend, wie anders manches war. Ich hatte die Vorstellung, mein Bestmögliches zu tun, um in diesem Zentrum alles gut vorwärts zu bringen und wollte vor allem Matthias (Casties) in der Kinder- und Jugendarbeit unterstützen. Dann erfuhren wir als erstes, dass Matthias aufs Schloss ins Erfahrungsfeld wechseln würde. Also sind wir in die Kinder- und Jungschararbeit eingestiegen. Dann wanderte die Tagungsarbeit vom Schloss ins REZ. Aber wir hatten in allem immer viel Gestaltungsfreiraum und das hat uns ermöglicht, hier die Räume zu füllen, Begegnungsflächen zu schaffen, unsere Gaben und Erfahrungen einzubringen.

Christa: Wie sollte man sich den Alltag hier vorstellen? Meine Vorstellung war von Bauwochen und Seminaren geprägt. Um zwölf Uhr legen alle alles aus der Hand und treffen sich beim Mittagsgebet. Wenn die Glocke läutet, wird wirklich der Hammer fallen gelassen. Aber das muss im Alltag immer wieder erkämpft werden, das ist kein Automatismus, denn hier herrscht eben ein sehr geschäftiger Alltag. Auch hatte ich erwartet, dass die Themen, die im Salzkorn veröffentlicht werden, richtig durch die Gemeinschaft durchgehen. Da konnte ich noch was lernen! Dass diese intellektuelle Arbeit gar nicht so durch die ganze Gemeinschaft geht, sondern nur von einem Teil erarbeitet wird, bedeutet, dass die eigene Motivation gefordert ist, einen Artikel noch zusammen zu lesen, z.B. in der Lebensgruppe, damit das irgendwie auch unseres wird.

Was war besonders kostbar in dieser Zeit oder auch besonders herausfordernd?
Günter: Die Liturgie des Alltags, der geregelte geistliche Rahmen, auch wenn er erkämpft sein will, ist kostbar. Bewusst mit dem Kirchenjahr zu leben, die Feste zu feiern. Dazu kamen die Austausch- und die Lebensgruppe, die wir nicht suchen mussten, wie in der Gemeinde. Die waren einfach schon da.

Christa: Die Austauschgruppe war für mich total wichtig. Wir wurden reingenommen in ein ehrliches Gespräch über eigene Erfahrungen. Und die Herausforderungen kamen ja dann noch. In dieser kleinen, vertrauten Gruppe konnte ich sagen, jetzt wird es mir zu viel. Oder da verstehe ich was überhaupt nicht, ohne gleich mit Ratschlägen oder Lebensweisheiten überschüttet zu werden. Das war wirklich wertvoll.
Eine Herausforderung und Kostbarkeit gleichzeitig war das gemeinsame Leben mit einer Gruppe aus dem FSJ-Team. Wir haben zehn Jahre das Haus mit jungen Menschen, mit jungen Frauen, geteilt. Das hätten wir auch echt versemmeln können, aber es wurde uns zugetraut. Man lebt wie auf einem Präsentierteller, gibt viel preis von sich. Das auszuhalten und gleichzeitig so eine Nähe und Vertrauen zu spüren – das war etwas wirklich Wertvolles.

Günter: Wir waren vorher jeder eigenverantwortlich für etwas zuständig. Ich dachte, es wäre kostbar, gemeinsam mit Christa an einem Ort tätig zu sein. Und habe dann im Laufe der Zeit gemerkt, wie herausfordernd es ist.

Und wie seid ihr mit dieser Herausforderung umgegangen?
Christa: In einigen Punkten mussten wir wieder klären, was wessen Zuständigkeit ist und dann auch die unterschiedlichen Reaktionen aushalten. Mir wurde nicht so schnell was zu viel. Dachte, das geht auch noch. Günter hat seine Grenzen früher gezogen oder anders reagiert. Das mussten wir aushalten, bzw. darüber ins Gespräch kommen.

Günter: Selbsterkenntnis ist so ein wichtiges Thema. Es ist kostbar, dass man im Leben in Gemeinschaft sowohl die eigenen Möglichkeiten wie Grenzen kennenlernen kann. Dass man sich nicht so aus dem Weg gehen kann, wie in der Gemeinde oder im normalen beruflichen Kontext, ist auch eine Chance.

Ihr wart keine Kommunitätsmitglieder. Wie ging es euch denn dabei, ganz drin – und doch nicht ganz drin zu sein?
Günter: Das war nie ein Problem, weil von Anfang an ein großes Vertrauen da war. Es gab klare Absprachen, was das bedeutet, wenn wir nicht in der Kommunität sind. Wir sahen es als ein Privileg, so nah dabei sein zu dürfen. Beide waren wir eine Weile Einsatzstellenleitung für das FSJ. Und ich war als Nichtkommunitärer acht Jahre der Schatzmeister. Wir erlebten das immer als großes Vertrauen.
Der Gedanke des Wieder-Gehens war ja von Anfang an da, deshalb sahen wir uns als Brücke, als eine Übergangslösung. Wir sind die Überbrücker für was auch immer noch kommen wird.

Im August geht es für euch weiter. Wohin? Und was nehmt ihr aus dieser Zeit mit?
Günter: Wir gehen zurück nach Markgröningen, den Ort, von dem wir dreimal aufgebrochen und an den wir immer wieder zurückgekehrt sind.

Christa: Wir haben das große Glück, dass da ein Haus steht, das uns aber nie gebunden hat, weil es immer wieder vermietet war. Dorthin können wir zurückkommen. Wir kehren in ein gewohntes Umfeld zurück und doch hatte sich jedes Mal, wenn wir zurückkamen, auch was verändert. Darauf sind wir schon gespannt. Wir ziehen auch näher zu unseren Kindern und sind dann wieder die Homebase für die Familie. Sicher wird sich etwas in der Gemeinde ergeben und ich denke, dass wir auch sehr profitieren von unseren Jahren hier, auch als Ehepaar. Wir gehen ja nicht in die Berufstätigkeit zurück, sondern gestalten als Rentner unseren Alltag durchgängig selber. Der geistliche Rahmen, den wir hier eingeübt haben, hilft uns, in unserer Zweierschaft andere Akzente zu setzen, als Paare, die einfach aus dem Beruf aussteigen und plötzlich 24/7 zusammen sind.

Günter: Ein offenes Haus, offene Hände, offene Herzen haben wir am Anfang unserer Ehe in Markgröningen gelebt und nehmen jetzt vieles von dem, was wir an OJC-Spiritualität praktiziert haben, mit. Wie das dann im Gemeindekontext von uns altersentsprechend gelebt werden kann, wird sich finden. Was bleibt, sind sicher viele herzerfrischende und hilfreiche Beziehungen und Freundschaften.

Was würdet ihr denn anderen sagen, die auch so einen Schritt überlegen?
Günter: Macht es! Wenn ihr gute und sichere Lebenserfahrungen gemacht habt und diese einbringen wollt, wenn ihr bereit seid – macht es. Es weitet das Denken, es weitet das Herz, auch wenn Dehnübungen gelegentlich an die Schmerzgrenze gehen. Habt keine Angst, denn anschließend ist man auf jeden Fall beweglicher. Und das ist gut im Alter!

Salzkorn 1 / 2023: Einfach leben
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